Andrej Platonow - Die Baugrube/ Котлован

  • Inhalt

    Am Rand einer großen Stadt heben Arbeiter eine riesige Grube aus, um ein »gemeinproletarisches Haus« zu errichten. Vom Kriegsinvaliden über den Handlanger bis zum Ingenieur bildet sich unter den freiwilligen Sklaven eine Hierarchie, die den sozialen Verhältnissen in Stalins Sowjetunion ähnelt.Mit Nastja, dem Waisenkind, das sich nach seiner bourgeoisen Mutter sehnt, ist der »neue Mensch« bereits unter ihnen. Doch am Ende wird es in der Baugrube beerdigt, dem kollektiven Grab, das sich die »Paradieserbauer« (Brodsky) geschaufelt haben.

    Platonows Helden verzehren sich in der Aufgabe, die glückliche Zukunft zu errichten. Die einen gehen zugrunde, weil ihnen die Wahrheit abhanden gekommen ist, die anderen weil sie ihrem herkömmlichen Leben entrissen wurden - von Träumern, die wie nebenher zu Mördern werden.


    1929 begann Platonow mit dem Schreiben „Die Baugrube“ und beendete das Buch 1930. Im Ausland wurde es erstmals 1969 publiziert und erst 1987 in der damaligen UdSSR. 1929 ist auch das zweite Jahr des ersten Fünfjahresplans in dem die Geschichte spielt. Es ist auch das Jahr in dem der Konflikt des Autors mit der stalinistischen Zensur beginnt.


    (Ich habe mich vor dem lesen im Netz etwas schlau gemacht, um ein Verständnis für die Geschichte und den geschichtlichen Hintergrund zu bekommen.)


    Eine Schlüsselszene ist der erste Absatz des Buches:

    Zitat

    Am dreissigsten Jahrestag seines persönlichen Lebens gab man Woschtschew die Abrechnung von der kleinen Maschinenfabrik, wo er die Mittel für seine Existenz beschaffte. Im Entlassungsdokument schrieb man ihm, er werde von der Produktion entfernt infolge der wachsenden Kraftschwäche in ihm und seiner Nachdenklichkeit im allgemeinen Tempo der Arbeit

    Anmerkung aus dem Buch: Andrej Platonow selbst war dreissig Jahre alt, als er "Die Baugrube" schrieb.


    Woschtschew ist auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Allerdings , in seiner Naivität sucht er in auf den Wegen welche im die Partei anzeigt um seine spirituellen Bedürfnisse zu finden.

    Zitat

    Das Glück kommt vom Materialismus, Genosse Woschtschew, und nicht vom Sinn. Wir können dich nicht halten, du bist ein Mensch ohne Bewusstsein, und wir möchten uns nicht am Schwanz der Massen finden.

    Anmerkung aus dem Buch : Mensch ohne Bewusstsein - Klassenbewusstsein; der Gegensatz von bewusst und unbewusst leben zieht sich durch das ganze Buch. -am Schwanz der Massen finden -parodiert eine politische Phraseologie (etwa hinterherhinken, Schlusslicht sein) Vorwurf gegen Gewerkschaften, die es Versäumen, für Arbeitsdisziplin und Produktionssteigerung zu sorgen


    Eine weitere Schlüsselszene ist

    Zitat

    Woschtschew hob das verdorrte Blatt auf und steckte es ins Geheimfach des Sackes, wo er alle möglichen Unglücks - und Vergessenheitsdinge verwahrte.

    Anmerkung aus dem Buch: Woschtschews Sammeln von allerlei Funden in seinem Sack, ist ein wesentliches Leitmotiv "Der Baugrube".


    Wie er aus der Fabrik entlassen wurde weil er den Rhythmus der Arbeit störte indem er durch sein meditieren diese verlangsamte hofft er inmitten der Arbeiterklasse seine Antworten zu finden, findet jedoch nur Unzulänglichkeit und Brutalität.


    Dann setzt er seine Hoffnungen in die Wissenschaft um mit Hilfe des Ingenieurs Pruschewskij herauszufinden wie die Welt funktioniert. Die Antwort ist jedoch seltsam und enttäuschend -

    Zitat

    Woschtschew fühlte noch immer nicht die Wahrheit des Lebens, aber fand sich ab aus Erschöpfung von dem schweren Grund - und sammelte nur an den freien Tagen allerlei Unglückskroppzeug der Natur, als Dokumente der planlosen Erschaffung der Welt, als Fakten der Melancholie eines jeden lebendigem Atems.

    - der Ingenieur selbst erwägt sein Leben zu beenden.

    Zitat

    Pruscheweskij sah nicht, von wem er so gebraucht würde, dass er sich unbedingt erhalten musste bis zum noch fernen Tod.

    Mit dem Wissen des Hintergrundes der damaligen Propaganda des Regimes - Fünfjahrespläne, Wachstum, Aufbau, Brigade , Hoffnung auf die Zukunft einer sozialistischen Welt - wird im zweiten Teil der Geschichte in einer Kolchose - welche die Landschaft verändert, indem sie die traditionelle Bauernwirtschaft gewaltsam beseitigt - das langsame Scheitern und Versagen des Staates weiter aufgezeigt.


    Zitat

    Schau Tschiklin, wie der Kolchos läuft auf der Welt - trübsinnig und barfüssig.

    Anmerkung aus dem Buch: Tschiklin - ist die zentrale Figur unter den Arbeitern mit der Bedeutung was diese vor allem tut: "tschikatj" - schlagen aber auch töten, abknallen.


    Obwohl Woschtschew bemüht ist sich dem kollektiven Gefühl der Gemeinschaft anzuschliessen gelingt es ihm nicht und findet keinen Frieden.

    Betrübt und enttäuscht wendet sich er von der Zukunft ab und richtet den Blick auf die Vergangenheit

    Zitat

    Woschtschew war in eine Brache geraten und entdeckte eine warme Grube für das Nachtlager; in diese Erdvertiefung gestiegen, legte er sich den Sack unter den Kopf, in den er zwecks Angedenken und Vergeltung allerlei Vergessenheit sammelte, betrübte sich und schlief ein.


    Die Anmerkungen am Schluss der Geschichte orientieren sich an den Kommentaren der Originalausgabe und dient mit den Hinweisen zum Leitmotiv zum Verständnis des Romans.


    Dank meines Lesens im Netz sowie den guten Anmerkungen gelang es mir, Platonows Figuren welche sich sprachlich und kulturell in einer Vergangenheit bewegen welche mir fremd ist ein gewisses Verständnis entgegen zu bringen.


    Woschtschew der zweifelnde Protagonist, der Name ist erfunden, wird aber dem Alter Ego Platonow zugeschrieben, im russischen sind es die Bedeutungen wie "wosk" Wachs - "woobschtsche", allgemein, das biblische "wotschtsche" vergebens.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Ich habe dieses Buch gelesen weil du tom leo es in der Rezension zu "Der Luftgänger" erwähnt hast. Durch die intensive Konzentration auf die Figuren in dieser Geschichte habe ich fast vergessen darauf zu achten, ob es im wesentlichen eine Verbindung gibt.

    Beide Romane haben die Zukunft - eine besser Zukunft zum Thema, welche sich jedoch im wesentlichen unterscheidet. Hier ist es eine fast brutale Realität welche die Menschen in den Abgrund treibt, ihre Hoffnungen zunichte macht und sie zweifeln lässt. Auch sprachlich unterscheiden sich die beiden Geschichten enorm, wobei die gewollten eigentümlichen Formulierung bei Platonow ihre eigen Faszination auf mich als Leser ausüben.

    Wobei in "Der Luftgänger" die Zukunft jedoch auch die Vergangenheit geprägt durch die Schönheit der Sprache viel hoffnungsvoller klingt. Wobei das Elend dessen was passiert ist nicht geschmälert jedoch nicht so erschütternd ist.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Sowohl Die Baugrube als auch Der Luftgänger hören sich nach sehr schweren Brocken an. Ich habe sie mir mal notiert, bin aber nicht sicher, ob und wann ich sie lesen werde. Ich finde es oft traurig zu sehen, wie wenig bei allen ehrbaren Zukunftsvisionen und -träumen erreicht wird.


    Ich bin niemand, der gern Lesetipps gibt, aber - keine Regel ohne Ausnahme - manchmal doch. Wenn ein Herz an russischen Themen hängt, wie meins auch, ist Boris Schitkows Buch Wiktor Wawitsch ein lohnendes Erlebnis. Für meine Auffassung sehr realistisch in Sprache und Handlung.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous

  • Platonow war ambivalent(er) als vermutet. Vor allem war er zunächst mal jemand, der eigentlich an den Fortschritt glaubte. Gerade fand ich noch auf einer von mir ab und zu besuchten Webseite folgenden Artikel:


    https://de.rbth.com/geschichte…wjetischer-schriftsteller