Douglas Stuart - Shuggie Bain

  • Kurzmeinung

    nordlicht
    Sehr emotional und eindringlich, die Geschichte hat mich traurig, aber auch wütend gemacht.
  • Kurzmeinung

    Libby
    Unglaublich eindringliche und traurige Geschichte eines Jungen, der seine Mutter retten will.
  • Dieser Roman (obwohl das Nachwort des Autors erahnen lässt, das vieles in dieser Geschichte autobiografisch ist) handelt von der alkoholkranken Agnes, ihrem jüngsten Sohn Shuggie und der totalen Perspektivlosigkeit im Industrie geprägten Glasgow in den 80ern, unter der Thatcher Regierung.


    Agnes, bildschön und Mutter zweier Kinder verlässt ihren langweiligen Ehemann für den viel aufregenderen Frauenhelden Douglas „Shug“ Bain. Schnell folgt deren gemeinsamer Sohn Hugh, genannt Shuggie. Die Patchwork Familie lebt bereits ein paar Jahre bei Agnes Eltern, als Shug Agnes überredet an den Außenbezirk Glasgows zu ziehen. Shug hat zu diesem Zeitpunkt schon eine Affäre und keine Lust mehr, sich mit Agnes Alkoholsucht auseinander zu setzten. Kaum umgezogen verlässt Shug Agnes und die Kinder und lässt diese zurück in einem Stadtteil der von Arbeitslosigkeit, Drogensucht und Kriminalität geprägt ist.


    Agnes ist eine sehr stolze Frau. Sie legt viel Wert auf ihr Äußeres. Immer wieder werden Männer von ihrer Schönheit angezogen. Auch legt sie viel Wert darauf „The Queens English“ zu sprechen. Etwas das sie auch Shuggie beibringt. Ständig korrigiert sie ihn wenn dieser ins Glaswegian verfällt.


    Dies kommt bei den Nachbarn nicht gut an. Die einen sehen sie als das Weib das mit ihren Männern fremd geht, die anderen finden sie arrogant mit ihrem schicken Äußeren und ihrer vornehmen Art zu sprechen. Immerhin sind hier alle arm und haben Suchtprobleme. Was bildet sie sich also ein, etwas Besseres zu sein.


    Die Leistungen vom Staat die Agnes für sich und ihre Kinder bezieht, werden von dieser meist versoffen. Das älteste Kind, Catherine macht sich als erste vom Acker und auch der mittlere Sohn schmiedet bereits Pläne auszuziehen sobald sich ihm die Möglichkeit bietet.

    Nur der kleine Shuggie (5 Jahre zu Beginn des Romans) gibt die Hoffnung nicht auf das seine Mutter gesund werden kann. Hingebungsvoll kümmert er sich um sie wenn sie vom Alkohol Konsum das Bewusstsein verliert. Mit viel Liebe versucht er sie aufzubauen, wenn die Verzweiflung sie einholt. Mit unendlicher Geduld erträgt er all die verletzenden Dinge die sie ihm entgegen schleudert wenn sie so richtig betrunken ist.


    Doch auch außerhalb seiner Familiensituation selbst, hat Shuggie es nicht leicht. Er lebt in einer Stadt die von Männern geprägt ist, die ihr Geld mit dem Biegen von Stahl, dem Ackern unter Tage oder den Bau von Schiffen verdient haben. Männlichkeit ist hier in den Achtzigern genau definiert. Und Shuggie erfüllt diese Kriterien nicht. Zum einen redet er komisch. Zum anderen mag er Dinge die nur Mädchen mögen dürfen und es hilft auch nicht, das er sich viele Aussagen und Redewendungen von seiner Mutter abgeguckt hat und somit etwas versnobt rüberkommt.

    All dies führt unter anderem dazu das er tyrannisiert wird.


    Und immer im Hintergrund dieser Geschichte um Agnes und Shuggie ist die desolate Lage in Glasgow in den Achtzigern. Eine Stadt die von schwerer Industrie geprägt war und die nach dem Monetarismus von Margaret Thatcher, all diese innerhalb weniger Jahre verlor. Die Folge war Massenarbeitslosigkeit, die fast so schlimm war wie zur Zeiten der Großen Depression. Dies resultierte in einem enormen Anstieg an Suchtkrankheiten.


    Man muss nicht viel Phantasie haben was die Menschen, die von Thatchers Politik direkt betroffen waren wohl dachten als sie 1981 dieses Zitat von ihr hörten.

    Zitat

    “My policies are based not on some economics theory, but on things I and millions like me were brought up with – an honest day’s work for an honest day’s pay, live within your means, put by a nest egg for a rainy day, pay your bills on time.”

    Zu sagen das Thatcher im Norden Großbritanniens nicht sehr beliebt war, wäre eine Untertreibung.




    Man merkt dem Buch an keiner Stelle an das es ein Debüt ist. Gleich die ersten Sätze zeigen dem Leser mit welch schöner Sprache man den Rest des Buches über rechnen kann.

    Zitat

    The day was flat. That morning his mind had abandoned him and left his body wandering down below. The empty body went listlessly through its routine, pale and vacant-eyed under the fluorescent strip lights, as his soul floated above the aisles and thought only of tomorrow. Tomorrow was something to look forward to.


    Die meisten Dialoge sind in Glaswegian, einem schottischen Dialekt. Der Rest der Handlung aber nicht. Wobei der ein oder andere Slang Ausdruck schon mal vorkommen kann. Die Erzählweise ist klassisch und bis auf das erste Kapitel linear.

    Dieses Debüt besticht vor allem durch die unglaubliche Tiefe mit denen einem die Charaktere näher gebracht werden. Diese sind so vielschichtig, das ich teilweise meine Meinung über sie mit jedem Kapitel geändert habe.


    Es geht um die Liebe und wie lange man versucht diese aufrecht zu erhalten, auch wenn die Vernunft einem sagt, dass sie nicht zu retten ist. Es geht um Träume und Hoffnungen und wie lange man diese hegt, obwohl die Umstände diese geradezu ersticken. Und es geht darum was mit einer Gesellschaft passiert wenn man ihnen den Stolz und den Glauben an die Zukunft nimmt.


    Ein wirklich trauriges, desolates Buch das es aber dennoch schafft das man die Hoffnung nie ganz aufgibt. Genauso wie Shuggie.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:



  • Klappentext von der Verlagsseite:


    Für seinen Roman „Shuggie Bain“ wurde Douglas Stuart mit dem Booker Preis 2020 ausgezeichnet. „Das beste Debüt, das ich in den letzten Jahren gelesen habe.“ (Karl Ove Knausgård) „Dieses Buch werdet ihr nicht mehr vergessen.“ (Stefanie de Velasco)

    Shuggie ist anders, zart, fantasievoll und feminin, und das ausgerechnet in der Tristesse und Armut einer Arbeiterfamilie im Glasgow der 80er-Jahre, mit einem Vater, der virile Potenz über alles stellt. Shuggies Herz gehört der Mutter, Agnes, die ihn versteht und der grauen Welt energisch ihre Schönheit entgegensetzt, Haltung mit makellosem Make-up, strahlend weißen Kunstzähnen und glamouröser Kleidung zeigt – und doch Trost immer mehr im Alkohol sucht. Sie zu retten ist Shuggies Mission, eine Aufgabe, die er mit absoluter Hingabe und unerschütterlicher Liebe Jahr um Jahr erfüllt, bis er schließlich daran scheitern muss. Ein großer Roman über das Elend der Armut und die Beharrlichkeit der Liebe, tieftraurig und zugleich von ergreifender Zärtlichkeit.


    Autoreninfo von der Verlagsseite:


    Douglas Stuart, geboren und aufgewachsen in Glasgow, studierte am Royal College of Art in London. Nach seinem Abschluss zog er nach New York, wo er als Modedesigner arbeitet. Seine Texte erschienen im New Yorker und auf Literary Hub. Für seinen ersten Roman, Shuggie Bain, wurde er mit dem Booker Preis 2020 ausgezeichnet.


    Erster Satz:


    Der Tag war mau.


    Meinung:


    Für “Shuggie Bain” wurde Douglas Stuart im vergangenen Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Schon damals fiel mir das Buch ins Auge und ich hoffte sehr, dass sich ein deutschsprachiger Verlag die Lizenz sichern würde. Der Hanser Verlag hat dies schließlich getan und mit Sophie Zeitz eine sehr gute Übersetzerin für das Werk gefunden. Mit der Übersetzung steht und fällt jedes Werk und Sophie Zeitz hat "Shuggie Bain" sehr gekonnt übersetzt.

    Das Buch nimmt mich immer noch mit, obwohl ich es schon vor ein paar Tagen beendet hatte. Die Geschichte von Agnes und Shuggie musste sich erst einmal setzen, bevor ich meine Gefühle in Worte fassen konnte. Douglas Stuart ist mit “Shuggie Bain” ein atemberaubendes Debüt gelungen, für das er zurecht den “Booker Prize” 2020 gewonnen hat. Es ist zum Teil autobiografisch und beginnt im tristen Glasgow der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zur Zeit der Thatcher-Ära.

    Shuggie Bain ist anders, für einen Jungen unheimlich feinfühlig und feminin, er passt sogar nicht in die raue Arbeiterwelt Glasgows. Hineingeboren in eine Familie, die alles andere als eine behütete Kindheit gewährt. Ein gewalttätiger Vater, eine alkoholkranke Mutter und zwei Geschwister, die versuchen sich so schnell wie möglich aus der desaströsen Familiensituation zu befreien. So bleibt Shuggie auf sich selbst gestellt und versucht verzweifelt seine Mutter zu retten. Dieser kleine Junge ist mir ans Herz gewachsen. Seine Sensibilität, die Art wie er versucht seine Mutter zu retten brechen einen das Herz, gleichzeitig kann er auch unheimlich schlagfertig sein, sodass ich über diesen kleinen Jungen lachen musste, da gerade diese Szenen dann, die Trostlosigkeit seines Lebens durch den Humor unterbricht.


    Auch Agnes ist mir nahegekommen. Stellenweise wollte ich diese Frau einfach nur schütteln und ihr sagen, komm zur Besinnung, du hast einen wundervollen kleinen Sohn. Dann gab es Momente, in denen ich sie am liebsten in den Arm genommen hätte, und getröstet hätte, immer dann, wenn ihr Mann mal wieder unmöglich war, das knappe Geld nicht reichte und das Sozialamt herhalten musste.

    Der gewaltige Sprachstil von Douglas Stuart lässt einen nicht los. Oft musste ich das Buch mal zwischendurch zuklappen um wieder Atmen zu können. So sehr hat mich Shuggies Geschichte, die im Grunde genommen die Lebensgeschiche von Douglas Stuart ist, mitgenommen. Zugleich ist dieser autobiographische Roman eine Milieustudie der Thatcher-Zeit in Glasgow. Er beschreibt diese Trostlosigkeit, die Armut, das raue Klima unter den Bürgern Glasgows deutlich und prägnant. Das gesamte Buch hat einen traurigen Unterton und Shuggies Leben war hart mit dem Mobbing in der Schule, den stets wechselnden Liebhabern der Mutter und der Armut. All dies schreibt Douglas Stuart mit einer wohlklingenden Sprache, bildreich, detailreich, hart, teilweise liebevoll, teilweise deutlich nieder. Eine Sprachgewalt, die ihresgleichen sucht. Eine Sprache, die einen fordert, eine Sprache, die einen dranbleiben lässt, eine Sprache, die einen nicht loslässt – wie das Buch auch. Shuggie Bain klingt nach und wird eines meiner Jahreshighlights sein. Wenn, nicht sogar das Highlight des Jahres.


    Fazit


    “Shuggie Bain” ist ein grandioses Debüt. Ein wundervolles Buch über eine Mutter-Kind-Beziehung, die einen nicht loslässt, die einen aufrüttelt und nachdenklich zurücklässt. Klare Leseempfehlung.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Glasgow in den 1980er-Jahren: Seine Mutter Agnes ist Alkoholikerin, sein Vater Shug geht erst fremd und verlässt dann die Familie. Als schmächtiger, schüchterner und feminin anmutender Junge hat es Hugh Bain, genannt Shuggie, schwer. Das Leben in der Arbeitersiedlung ist hart, der Absturz der Mutter nicht leicht zu verkraften. Trotzdem versucht Shuggie alles, um Agnes zu retten. Das macht er zu seiner Mission…


    „Shuggie Bain“ ist der mit dem Booker-Preis 2020 ausgezeichnete Debütroman von Douglas Stuart.


    Meine Meinung:

    Sprachlich ist der Roman sehr eindrucksvoll. Wortgewaltig, atmosphärisch, intensiv, eindringlich und - dank vieler gelungener Metaphern - bildstark, das zeichnet den besonderen Schreibstil aus. Anzumerken ist, dass im Original viel schottischer Dialekt und Slang vertreten ist. Dies macht die Übersetzung nicht einfach und an einigen wenigen Stellen etwas unrund. Im Großen und Ganzen hat Sophie Zeitz beim Übertragen ins Deutsche jedoch hervorragende Arbeit geleistet.


    Die Handlung umfasst die Jahre 1981 bis 1992, wobei es immer wieder größere Zeitsprünge gibt. Die Jahre 1981, 1982, 1989 und 1992 stehen im Fokus und gliedern den Roman. Dabei geht es 1992 los, bevor der Roman an den Beginn der 1980er-Jahre wechselt und ab dann chronologisch erzählt. Des Weiteren besteht das Buch aus 32 Kapiteln. Dieser Aufbau funktioniert gut.


    Anders als der Titel vermuten lässt, konzentriert sich der Roman nicht nur auf die Sicht von Shuggie, sondern nimmt auch die Perspektive seiner Mutter und weiterer Personen ein. Die Protagonisten wirken authentisch. Man kommt nicht nur Agnes Bain und ihren Kindern nahe, sondern lernt das Arbeitermilieu Glasgows in der Thatcher-Ära kennen.


    Inhaltlich ist der Roman recht düster und deprimierend. Armut, Alkoholsucht, Vernachlässigung, Perspektivlosigkeit und weitere tragische Themen, die ich hier nicht vorwegnehmen möchte, haben es mir zunächst schwer gemacht, mich auf die Lektüre komplett einzulassen. Immer wieder aufs Neue zu lesen, mit welchen Schwierigkeiten Shuggie in dem tristen Milieu zu kämpfen hat, ist nicht einfach zu ertragen. Trotzdem hat es der Autor geschafft, mich immer stärker zu fesseln und für die emotional herausfordernde Geschichte einzunehmen.


    Wie aus den Danksagungen am Ende des Buches zu entnehmen ist, beinhaltet der Roman autobiografische Züge. Der Schriftsteller verweist auf die Erinnerungen an seine Mutter, deren Kampf gegen die Sucht und seine Verbindung zu den Geschwistern. Das Wissen um die tatsächlichen Hintergründe des Romans hat die Geschichte für mich ganz besonders bewegend gemacht. Ich bin mir sicher, dass die Lektüre noch länger nachhallen wird.


    Erfreulicherweise hat der Verlag den Originaltitel 1:1 übernommen. Das deutsche Cover gefällt mir ausgesprochen gut und weist einen inhaltlichen Bezug auf.


    Mein Fazit:

    Mit seinem berührenden und sprachlich herausragenden Roman „Shuggie Bain“ hat mich Douglas Stuart gefordert, aber auch begeistert. Die Auszeichnung mit dem renommierten Literaturpreis ist mehr als verdient. Ein sehr empfehlenswertes Lesehighlight 2021.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Alkohol, Armut und Arbeitslosigkeit im Glasgow der 80er Jahre


    Die vielen begeisterten Rezensionen hatten mich neugierig gemacht, auf diesen Shuggie Bain und sein Leben im schottischen Glasgow der 80er Jahre. Shuggie tritt jedoch in der ersten Hälfte des Romans eher in den Hintergrund, denn den Vordergrund nimmt seine Mutter Agnes ein; Typ Liz Taylor und ebenso dem Alkohol zugetan. Elegant, immer gut angezogen, geschminkt und mit erhobenem Kopf unterwegs. Zunächst wohnt die fünfköpfige Familie noch in einer Wohnung zusammen mit Agnes' Eltern, um später nach Pithead überzusiedeln. Doch die erhoffte Verbesserung der Lebensumstände tritt nicht ein. Dort beziehen sie eine Sozialwohnung und leben nun inmitten von Kohlenstaub, geschlossenen Minen und verwahrlosten und ebenfalls trinkenden Menschen. Agnes' Alkoholsucht überschattet das Leben der ganzen Familie und bestimmt den kompletten Alltag. Shuggie übernimmt daher immer mehr Verantwortung und versucht, seine Mutter vor sich selbst und dem Alkohol zu retten. Zusätzlich wird er immer öfter gehänselt und attackiert, da er sich einfach nicht wie ein "richtiger" Junge verhält, so geht oder spricht. Kleine Momente des Glücks und inniger Zweisamkeit lassen ihn die Sorgen nur kurzzeitig vergessen, denn Agnes denkt immer nur an den nächsten Drink.


    Mich hat das Buch erschüttert. Die 80er Jahre waren auch meine Jugendzeit, aber was zeitgleich in Pithead und sicherlich nicht nur dort für Lebensumstände geherrscht haben, hätte ich mir nie vorstellen können. Der Roman schildert schonungslos, was Arbeitslosigkeit, Armut und Alkohol aus Menschen machen können. Gewalt in jeder Form gegen Frauen und Kinder und das zieht sich durch den gesamten Roman. Es gibt kaum Verschnaufpausen, immer kommt es noch schlimmer. Deshalb sehe ich hier eher eine Sozialstudie, in der detailliert das Elend geschildert wird, auch für mein Empfinden mit Distanz. Selbstverständlich habe ich mit Shuggie mitgelitten, wenn er sich z.B. einnässt, weil seine Mutter wider Erwarten sturzbetrunken nach Hause kommt oder wenn er vor Hunger nicht in den Schlaf kommt, weil seine Mutter vom Kindergeld Bier kauf, er die Schule schwänzt, weil er aufpassen müssen, dass die Nachbarinnen nicht mit Alkohol anrücken oder Männer mit eindeutigen Interessen. Dennoch kommt mir seine Innensicht zu kurz, es gibt nur kleine Szenen, in denen er seine Gedanken teilt. Der vorherrschende Schreibstil ist beschreibend und beobachtend. Wir begleiten Shuggie und Agnes über einen Zeitraum vom zehn Jahren und sehen wie aus dem 5-Jährigen ein Jugendlicher wird. Die Kapitel sind sehr szenisch. Es gibt oft ein zentrales Ereignis oder eine Entwicklung und dann sind im nächsten Kapitel schon Monate, manchmal Jahre vergangen und ein neues Ereignis steht im Fokus.

    Eine große Herausforderung für die Übersetzerin war der Arbeiterslang, der eine wichtige Rolle spielt, weil Agnes und Shuggie sich durch ihre gehobenere Aussprache von den anderen abheben. Zunächst klang dieser Slang künstlich für mich, irgendwie zusammengewürfelt, das hat mich sehr gestört. Später hat sich das gelegt, da bin ich nur noch an einzelnen Wörtern hängengeblieben.


    Ingesamt läßt mich das Buch zwiegespalten zurück. Es ist eine großartige Sozialstudie über eine düstere Zeit an einem düsteren Ort. Ich habe schrecklich mitgelitten, aber ich hätte das Buch nicht lesen müssen. Ich kann es auch nicht uneingeschränkt empfehlen, es zieht die Leser*innen wirklich runter. Wie auf dem Klappentext das Zitat stehen kann, "dass man abwechseln in Tränen ausbricht oder von Lachkrämpfen überwältigt wird", kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Zu lachen hatte in dem Buch niemand etwas. Ich vergebe vier Sterne für den Kampf eines kleinen Jungen gegen die Alkoholsucht seiner Mutter.

  • Autor: Douglas Stuart

    Titel: Shuggie Bain

    Seiten: 494

    ISBN: 978-327108-1

    Verlag: Hanser Berlin
    Übersetzung: Sophie Zeitz


    Autor:

    Douglas Stuart wurde 1976 in Glasgow geboren und ist ein schottisch-amerikanischer Schriftsteller. Nach der Schule studierte er Modedesign und zog nach New York City, wo er als Modedesigner für Calvin Klein, Ralph Lauren und Gap arbeitete. "Shuggie Bain" ist sein erster Roman, für den er 2020 mit den Booker Prize ausgezeichnet wurde, zudem gelangte sein Werk auf die Shortlist des amerikanischen National Book Awards.


    Inhalt:

    Glasgow zur Thatscher-Zeit. Shuggie wäre gern wie die anderen Jungen in der Arbeitersiedlung, aber sein Gang ist feminim und er hasst Fußball, was in der Schule brutal geächtet wird. Er liebt alles Schöne, vor allem seine Mutter Agnes, die der Armut und Tristesse ihres Daseins mit stolzer Eleganz und makellosem Make-up entgegentritt, egal wie viel sie getrunken hat.

    Sie vorm Trinken zu bewahen, ist die Aufgabe, der sich Shuggie mit unbedingter Liebe verschreibt, bis er irgendwann erkennen muss, dass er nur sich selbst retten kann. (Klappentext)


    Rezension:

    Offenbar scheinen sie gut zu funktionieren, die Romane, die autobiografisch angehaucht vom Strukturwandel, besser vom brutalen Umbruch der Thatcher-Jahre, erzählen, als vor allem in Arbeiterstädten die Menschen dank der rücksichtslosen Reformen plötzlich vor dem Nichts standen.


    Das hat mit "Billy Elliot" von Lee Hall geklappt, auch mit der Kulisse der benachbarten irischen Inseln im Roman "Die Asche meiner Mutter" von Frank McCourt ist das so, auch wenn dessen Handlung ein paar Jahrzehnte früher angesetzt ist. Brüche können sie dort wunderbar ausformulieren. Da fügt sich das Autorendebüt von Douglas Stuart gut ein.


    Erzählt wird eine Geschichte der Trost- und Hoffnungslosigkeit aus der Sicht des zu Beginn fünfjährigen Shuggie, und die ihn umgebenden Menschen, die mit der Schließung der Zechen und Tagebaue in ihrer Umgebung auf der Verlierseite der Reformen Thatchers stehen. London ist weit weg, Alternativen nicht in Sicht und so ist ein Großteil der Glasgower Bevölkerung plötzlich arbeitslos.


    Die Armut drängt die Menschen, so auch Shuggies Familie, in die Armenviertel der Stadt, seine Mutter Agnes in die Alkoholsucht. Der Vater ist ohnehin in absentia. In den ersten Jahren kann der Abstieg noch kaschiert werden. Die Mutter trägt schöne Kleider, der Gaszähler wird da schon mehrmals manipuliert und auch sonst kämpft sich die Familie so durch. Die Fassade indes bekommt bereits zu Beginn der Geschichte, Anfang der 1980er Jahre, erste Risse.


    So kommt sie ins Rollen, diese traurige Erzählung, in der Shuggie all das erleidet, was man keinem Kind zumuten möchte. Mittelpunkt des Romans ist die titelgebende Hauptfigur, doch genau wie der Autor durch die Jahre springt, wechselt er auch die Perspektiven, so ist Shuggie nicht der Einzige, aus dessen Sicht erzählt wird.


    Das macht die Figuren greifbar, für manches Verhalten mag man ein wenig Verständnis aufbringen. Das verpufft dann mit den nächsten Abschnitten gleich wieder. Wie viel vermag ein Mensch zu etragen, möchte man fragen.


    Douglas Stuart vermag es der Hoffnungslosigkeit einer ganzen Generation und der Sicht eines Kindes eine Stimme zu geben. Das gelingt, zumal der Autor hier einzelne Punkte seiner Biografie und Kindheitserinnerungen einfließen lässt, so dass man sich von Zeile zu Zeile fragt, welche beschriebenen Punkte nun auf tatsächlichem Erleben beruhen.


    Die Protagonisten, auch Shuggie, sind Figuren mit Ecken und Kanten. Schnell hat man ein entsprechendes Bild von ihnen vor Augen, muss ob der Schilderungen mehr als einmal innehalten und durchatmen. Anders ist die Geschichte nicht zu ertragen. Düstere Momente durchziehen den Roman, nur selten unterbrochen, durch Hoffnungsschimmer. Das Erzähltempo tut das Übrige. Momente der Länge gibt es kaum.


    Ein Debüt ist das, von den man kaum merkt, dass es eines ist. So gekonnt geht der Autor mit Sprache um. Anders ist die eindrückliche Übersetzung von Sophie Zeitz nicht zu erklären. Man darf also gespannt sein, was da als nächstes kommt. Und dann könnte sogar das Ende ein wenig runder werden. Hier merkt man es an einigen Stellen doch.

  • Immer näher zum Abgrund

    Hier wird eine Familientragödie im Glasgow der 80er Jahre beschrieben, die vor dem Hintergrund der Zechenschließung und der daraus folgenden Massenarbeitslosigkeit und Armut spielt. Unmittelbare Folge der Perspektivlosigkeit dieser Zeit war der Griff zum Alkohol, der die Sorgen und Probleme vernebeln sollte.

    Agnes lebt wegen ihres geringen Einkommens zunächst noch mit ihren drei Kindern und ihrem Mann bei ihren Eltern in sehr beengten Umständen. Dadurch ergeben sich ständige Probleme, und die Familie zieht um in eine abgeschiedene Sozialsiedlung, in der Tristesse und Verzweiflung auf der Tagesordnung stehen. Schnell stellt sich heraus, dass ihr Mann die Familie quasi loswerden wollte, denn er lässt sich dort selten blicken, geht eine neue Beziehung ein und zieht sich weitgehend aus dem Familienleben zurück. Nur ab und an lässt er sich blicken, um seine sexuellen Wünsche abzureagieren. Die Restfamilie ist auf sich allein gestellt und lebt von den staatlichen Zuwendungen. Shuggie ist der jüngste Sohn und er liebt seine Mutter abgöttisch, schon bald merkt er, dass seine Mutter dem Alkohol immer mehr verfällt und möchte sie retten. Nun sind die Rollen vertauscht. Ab einem Alter von acht Jahren muss Shuggie sich um seine Mutter kümmern und sie versorgen, was ein Kind in diesem Alter natürlich überfordert. Und es wird immer schlimmer, so schlimm, dass oft kein Geld für einfache Lebensmittel da ist, weil alles in Alkohol investiert wird. Shuggie muss beobachten, dass seine Mutter sich erniedrigt, um die Sucht zu befriedigen. Trotzdem liebt er sie, denn es ist seine Mutter, sonst hat er keinen Freund....auch in der Schule läuft es nicht gut, Mobbing ist an der Tagesordnung, ausgelöst durch die desaströse Familiensituation.

    Das Buch hat mich sehr betroffen gemacht, denn die Hoffnungslosigkeit und die Qualen des jungen Shuggie in dieser Situation sind extrem. Man möchte dem Jungen helfen, ihn herausziehen aus dieser Misere, aber das Milieu hält ihn gefangen.

    Der Roman ist eine intensive Milieustudie, sehr fein und authentisch ausgearbeitet, so dass man das Elend spürt. Auch wenn man das Buch beiseite legt, beschäftigt es einen in Gedanken weiter. Ebenso wird der Alkoholismus mit einer Vehemenz beschrieben, dass man den drohenden Absturz deutlich wahrnimmt. Der Schreibstil insgesamt ist sehr sprachgewaltig, angelehnt an den Glasgower Arbeiterdialekt. Sicher war es sehr schwer, diesen Slang ins Deutsche zu übertragen, an einigen Stellen scheint mir die Übersetzung etwas daneben zu greifen. Aber ich wusste immer, was ausgedrückt werden sollte.

    Der Autor hat den Booker-Preis mit Recht bekommen! Der Roman, mit teilweise autobiographischen Geschehnissen, ist herausragend und hinterlässt Spuren. Keine leichte Unterhaltungslektüre, aber von mir eine klare Leseempfehlung!

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Prägende Kindheit


    Das Buch "Shuggie Bain von Douglas Stuart ist ein Debüt Roman. Es geht um Shuggie und seine Mutter die Alkoholikerin ist und wie ein Junge daran glaubt das seine Liebe sie davon wegbringt und in den 80ger Jahren in Glasgow die nicht einfach waren.

    Shuggie lerne auf den ersten Seiten als jungen Teenager kenne. Doch schnell geht es in die frühe Kindheit von Ihm. Er war das 3te Kind von Agnes ihr geliebtes Kind. Die beiden Geschwister stammen aus erste Ehe. Shuggie ist aber auch anders als die anderen Jungs. Er ist zurückhaltend, zartbesaitet, fantasievoll und femininer als es normal ist.
    Mit all seine Eigenschaft will er seine Mutter retten, das ist für Ihn seine Mission die er erfüllen will egal welche Steine Ihm in den Weg gelegt werden. Agnes nimmt das Glück Ihres Lebens allerdings nicht war und erstickt die tristes, die Armut mit Alkohol und das mit einem Erscheinungsbild das Schönheit ausstrahlt.

    Das Buch hat so viele Facetten die zum Vorschein kommen. Womit die Menschen in der Zeit konfrontiert wurden. Aber auch viel Emotionen von Shuggie, Agnes und den andern Charakteren. Es hat eine mitgenommen auch wenn ich es manchmal etwas zu lang fand.

    Der Schreibstil ist sehr angenehm zum lesen und man wird davon durch das Buch getragen.

    Ich persönlich bin noch etwas unschlüssig mit dem Buch. Es ging immer mehr um Agnes als um Shuggie aber trotz allem hat man gesehen was das verhalten der Eltern bei einem kleine Menschen bewirkt und wie es ihn prägt. Hier im Buch ist es die Mutter die Alkoholikerin ist und ein Vater der nie da war. Aber ich nehme mit das es egal ist was man tut alles prägt unsere Kinder und schnürt Ihnen den Rucksack fürs ganze Leben.

    Diese Buch ist etwas andres und daher fällt es mir schwer eine Leseempfelung auszusprechen, denn dazu ist es einfach zu individuell.

  • Es ist ein autobiografischer Roman des Autors und ein Debüt. Dazu muss man sagen - ein großartiger. Der Booker Preis ist absolut verdient und nachvollziehbar. :pray:


    Es geht um eine Familie in Glasgow 80er Jahre. Armut, Alkohol, Arbeitslosigkeit, Untreue, sexuelle Ausschweifungen, Einsamkeit und das Außenseiter-Dasein stellen eine Seite des Romans dar. Auf der anderen Seite steht grenzen- und bedingungslose Liebe eines Kindes zu seiner Mutter, Co-Abhängigkeit, Hingabe und Treue, Hilfsbereitschaft und Hoffnung.


    Emotional sehr schwer verdauliches Buch. :cry: Denn man kann keine Sekunde beim Lesen kalt bleiben. Die Charaktere sind so lebendig, dass man sich problemlos alle Beteiligten vorstellen kann, man leidet mit denen. Und man freut sich nicht, da es nichts zu freuen in dieser Geschichte gibt. Eine düstere und deprimierende Geschichte, die sehr authentisch wirkt und auch sehr schlimm, da die auf wahren Begebenheiten basiert.


    Zutiefst bewegend und traurig. Ich blieb betroffen und nachdenklich zurück. Es ist mein erstes Highlight in diesem Jahr. Von mir gibt es volle :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: Sterne Bewertung.

    2024: Bücher: 87/Seiten: 38 703

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

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    Lese gerade:

    Newman, T. J. - Absturz

    Müller, Asta - Kairra

  • Nach einem Drittel hatte ich von der aus allen Seiten quellenden Brutalität genug. Leider gibt es dieses Milieu, aber ich muss es mir nicht so im Detail vor Augen führen.

    Erzähltechnisch könnte mich der Autor mit einem anderen Thema aber durchaus ansprechen.

    Liebe Grüße von Lorraine :)


    "Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen." (Karl Kraus) :study:

  • Nach einem Drittel hatte ich von der aus allen Seiten quellenden Brutalität genug. Leider gibt es dieses Milieu, aber ich muss es mir nicht so im Detail vor Augen führen.

    Verstehe ich, der Roman ist schwer verdaulich. :cry: Allerdings bei mir funktioniert es anders: Ich habe das Gefühl, dass ich es wissen muss, weil es den Tatsachen entspricht. Weil solche Geschichten tatsächlich existieren. Aber gut, dass du abgebrochen hast, wenn du es nicht so gut verarbeiten kannst. :friends:

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  • Ich habe das Gefühl, dass ich es wissen muss, weil es den Tatsachen entspricht.

    Du hast es genau richtig ausgedrückt; wir empfinden hier gerade "verkehrt" herum, liebe Emili.

    Bei diesem Buch hatte ich zunehmend das Gefühl, dass ich das alles in seinem Grauen und seiner Brutalität schon unzählige Male gelesen habe, und es nun nicht noch einmal aus anderer Sichtweise noch genauer wissen muss.

    Es hätte aber natürlich auch sein können, dass der Autor ein Wunder vollbracht, und etwas geschrieben hat, das mich überrascht. Auf dieses Buch warte ich aber noch.

    Liebe Grüße von Lorraine :)


    "Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen." (Karl Kraus) :study:

  • Es hätte aber natürlich auch sein können, dass der Autor ein Wunder vollbracht, und etwas geschrieben hat, das mich überrascht.

    Bei mir sind solche Geschichte vermutlich u.a. auch vom Mitgefühl getragen. Ich erlebe das Erzählte durch die Protagonisten, und habe das Gefühl, dass ich es mir anhören sollte, um besser die Menschen verstehen zu können. Oder besser nachfühlen zu können.

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  • Ich erlebe das Erzählte durch die Protagonisten, und habe das Gefühl, dass ich es mir anhören sollte, um besser die Menschen verstehen zu können. Oder besser nachfühlen zu können.

    Ich versteh dich ganz gut, Emili! :friends: Das ist ja auch eine schöne Art der Annäherung.

    Bei mir ist es so, dass ich mir jede Art von Quälerei oder Brutalität, egal, ob es Menschen oder Tiere betrifft, immer so gut und genau vorstellen kann, dass kleinste Andeutungen genügen. Das ist aber nicht nur beim Lesen so, sondern auch im realen Leben, wie jetzt bei der Ukraine-Kriegsberichterstattung. Da muss ich ganz gezielt aussuchen, wie viel Information ich an mich heranlasse.

    Ich war schon als Kind so extrem sensibel, und das hat sich auch im Alter nicht geändert. Zur Heldin bin ich also nicht geboren. :wink:

    Liebe Grüße von Lorraine :)


    "Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen." (Karl Kraus) :study: