Ivy Pochoda - Visitation Street

  • Kurzmeinung

    SiriNYC
    Atmosphärisch dichte Schilderung der Lebensentwürfe verschiedener New Yorker am Rande der Gesellschaft
  • Kurzmeinung

    Irrlicht
    Gähn, für mich völlig unspannend, Milieustudie, kein Thriller, blasse Protas, etwas merkwürdige Mystik
  • Klappentext/Verlagstext
    Red Hook, Brooklyn/New York: ein Arbeiterviertel kurz vor der Gentrifizierung. Es ist Sommer. Die Hitze drückt. Aus Langeweile beschließen die beiden Teenager June und Val, auf einem Schlauchboot aufs Meer hinauszupaddeln. In der Schwärze der Nacht gehen sie verloren, und nur Val überlebt. Das tragische Ereignis geht nicht spurlos an den Bewohnern des Viertels vorbei. Unter ihnen Cree, ein schwarzer Jugendlicher, der vermutlich schuldlos zum Hauptverdächtigen der Polizei wird, Fadi, ein aufstrebender Bodega-Besitzer, der aus der Trauersituation Profit schlagen will, und Jonathan, ein gescheiterter Musiker, der mit den Sünden seiner Vergangenheit zu kämpfen hat. In einer überaus atmosphärischen Sprache erzählt Ivy Pochoda von der menschlichen Zerbrechlichkeit und Widerstandskraft, von zerbrochenen Träumen und einem dunklen Geheimnis, das Visitation Street bis zur letzten Seite zum hoch spannenden Thriller macht.


    Die Autorin
    Ivy Pochoda,geboren 1977, ist Schriftstellerin und lebt in Los Angeles. Sie wuchs in Brooklyn auf, studierte in Harvard und war professionelle Squashspielerin. Bei ars vivendi erschien bereits ihr Roman Wonder Valley (2019).


    Der Schauplatz


    Inhalt
    June und Valerie sind 15, an einem Punkt ihrer Kindheit, an dem Mädchen sich bereits erwachsen fühlen, sich in der Sommerhitze aber noch gemeinsam mit jüngeren Kindern im Wassernebel eines illegal geöffneten Hydranten abkühlen. Auf June Marinos wachsende Kurven stehen die Jungen aus Red Hook/Brooklyn, nur ihr Vater hat andere Vorstellungen, wer ein für June und ihre ältere Schwester passender Umgang sind. In einer heißen Nacht schleppen die beiden ein rosa Schlauchboot runter ans Wasser, um an einen kleinen Strand der Upper Bay in Sichtweite von Governors Island zu paddeln. Nur mit den Händen, ohne Paddel bewegen sie sich an einer vielbefahrenen Schiffsroute mit gefährlichen Strömungen. Am Ende wird Val unterkühlt und zerschunden kurz vor dem Ertrinken gefunden, von June gibt es keine Spur. Cree, der Junge, der die Mädels beobachtet, ist nachts unterwegs, um sich auf dem verrottenden Boot seines Vaters von dessen ungelebten Träumen zu verabschieden. Cree wohnt mit seiner Mutter in den „Projects“. Er war früher mit Vals Schwester Rita zusammen, bis deren Vater die Beziehung beendete; denn Cree ist schwarz und wohnt in der falschen Gegend. Lange scheint die Polizei nicht mehr zu tun, als Cree zu vernehmen. Gerüchte schießen ins Kraut, June wäre einfach abgehauen und lebte irgendwo auf der Straße.


    Die zurückgelassene Valerie ähnelt ohne ihre Hälfte June inzwischen einem fahlen Stück Treibgut, das sich mit magischem Denken notdürftig durchs Leben schleppt. Beinahe ein Dutzend Personen sind von Junes Verschwinden betroffen - Vals einzelgängerischer Musiklehrer Jonathan Sprouse, Fadi, der in anderen Zeiten vielleicht für sein Stadtviertel in die Politik gegangen wäre, und der Sprayer Ren, dem ein größeres Stück Lebenslauf fehlt. Junes Verschwinden wirkt auf die Beteiligten wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird und Kreise zieht. Um ihre Handlungsfäden am Ende zusammenführen zu können, muss Ivy Pochada ihre Figuren weit in deren Vergangenheit zurückblicken lassen. Zum Beispiel Cree mit dem Schicksal seines Vater konfrontieren und mit seiner Mutter Gloria, von der er sich beim Erwachsenenwerden kaum lösen kann, weil nur hier ihre Toten mit ihr sprechen. Der richtige Zeitpunkt um zu gehen könnte eine mögliche Moral der Geschichte sein.


    Fazit

    Ein Mädchen verschwindet an einer viel befahrenen Schifffahrtsroute; ihre Freundin, schwer verletzt, erinnert sich nicht, was geschah. Die Lösung des Rätsels könnte sich im dicht gesponnenen Beziehungs-Netz ihres Stadtviertels verbergen. Das Setting lässt einen Kriminalroman vermuten, doch Ivy Pochadas Porträt eines New Yorker Stadtteils hat als Genremix aus Großstadtroman und Coming-of-Age-Geschichte sehr viel mehr zu bieten. Der unnachahmlich getroffene Sound New Yorks, bildhaftes Sehen aus der Vogelperspektive auf die Stadt und konzentrierte Blicke auf die „Pieces“, die ein deutlich talentierter Sprayer in Sichtweite von Fadis kleinem Lebensmittelladen „Hafiz Superette“ hinterlässt, weiten den Blick auf ein ganzes Stadtviertel, in dem für Leute aus den „Houses“ bisher selten Jobs vergeben wurden.


    Ein atmosphärisch großartiger New-York Roman, im Original schon 2013 erschienen, ein Buch, das ich langsam inhaliert habe, um es länger zu genießen.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • ein Buch, das ich langsam inhaliert habe, um es länger zu genießen.

    Das kann ich genauso unterschreiben. Ich habe für die 309 Seiten auch deutlich länger gebraucht als sonst üblich.


    Ansonsten zitiere ich meinen bereits im „4,5 - Sterne - Thread“ wiedergegebenen Eindruck:


    Dieser New York - Roman erhält von mir emotionale 5 Sterne, d.h. er hat mich nicht nur gepackt, weil mir Inhalt und Stil gefielen, sondern auch, weil er mich wirklich berührt hat.


    Um es vorweg zu nehmen, es handelt sich hier nicht um einen Krimi oder Thriller, auch wenn der Klappentext dies nahelegen könnte.

    Zwei 15 - jährige paddeln nachts mit einem Schlauchboot aufs Meer hinaus und verunglücken, eines der Mädchen verschwindet.

    Das Schicksal der beiden ist mit denen vieler anderer Einwohner des Bezirks verwoben, u.a. sind da der libanesischen Shop - Besitzer Fadi, der schwarze Teenager Cree und seine hellsichtige Mutter sowie der alkoholsüchtige Musiklehrer Jonathan.

    Über allem schwebt die Hoffnung, aus dem Viertel heraus zu kommen oder, dass der Gegend eine bessere Zukunft z.B. durch den geplanten Kreuzfahrt-Terminal bevorsteht.


    Das Buch erinnert stellenweise an „Singt ihr Lebenden und ihr Toten, singt!“. Wer also mit diesem spirituellen oder mystischen Hauch nichts anzufangen wusste oder weiß, für den ist „Visitation Street“ nicht geeignet.

    Allen anderen sei der Roman wärmstens empfohlen.“

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Ivy Pochoda - Visitation Street / Visitation Street“ zu „Ivy Pochoda - Visitation Street“ geändert.
  • Ich habe gerade „Wonder Valley“ beendet, das in Los Angeles spielt und dabei festgestellt,

    dass es eine interessante Schnittmenge zu „Visitation Street“ gibt: