Volker Kutscher - Märzgefallene

  • Inhalt

    Rosenmontag 1933: Gereon Rath feiert Karneval in Köln, und der Morgen danach beginnt für ihn mit einem heftigen Kater, der falschen Frau im Bett und einem Anruf aus Berlin: Der Reichstag steht in Flammen! Sofortige Urlaubssperre!

    Zurück in Berlin wird Rath in die Kommunistenhatz der Politischen Polizei eingespannt und soll eine mysteriöse Mordserie aufklären, der immer mehr Weltkriegsveteranen zum Opfer fallen. Dazu muss er einen Geschäftsfreund des Gangsterbosses Johann Marlow aus den Klauen der SA befreien und sich um die Hochzeitsvorbereitungen mit seiner Dauerverlobten Charlotte »Charlie« Ritter kümmern.

    Volker Kutscher zeigt wieder seine außergewöhnlichen Qualitäten: atemlose Spannung, ein komplexer Fall, zwischenmenschliche Komplikationen gepaart mit historischer Genauigkeit und Anschaulichkeit.

    (Quelle: Amazon.de)


    Bewertung

    Düster.

    Das fällt mir als Erstes ein, wenn ich meinen Eindruck zu diesem Buch beschreiben muss.

    Es ist der bisher düsterste der Gereon Rath - Romane. Kein Wunder, es ist 1933. Der Reichstag brennt, kurz darauf sind Wahlen und auf einmal wird alles anders.

    Oh ja - wirklich? Fällt die SA auf einmal aus der Luft oder waren sie nicht schon länger unter uns, nur haben wir sie nicht ernst genommen?

    Diese Braunhemden. Halbstarke.

    Früher oder später wird Hindenburg dem ganzen Spuk ein Ende machen und dann wir alles so wie früher, davon is Rath auch überzeugt.

    Seine Naivität geht mir schon mächtig auf den Zwirn.

    Wenn das so wäre, warum können dann SA - Schläger ein stadtbekanntes Lokal kurz und klein schlagen und niemand hindert sie daran? Es passierte vor seiner Nase.

    Hat Adenauer nicht letztens, als er bei Gereon's Vater zu Besuch war, gesagt: diesen Hitler, den hätte man schon vor einem Jahr aufhalten sollen, jetzt ist es zu spät?

    Seine Verlobte Charly, die sieht die Zeichen der Zeit. Schon seit dem letzten Buch, nachdem die ganze Berliner Polizeispitze ausgewechselt worden war. Bernhard Weiss, der ehemalige Vizepolizeipräsident, ist ja Jude. Und nun ist er degradiert, aus seiner Wohnung gejagt...und es kommt noch schlimmer.

    Charly macht sich Sorgen. Sie guckt aus dem Fenster und sieht die erloschene Leuchtreklame des Transvestitenclubs...der Club ist geschlossen worden, er passt nicht mehr ins Neue Deutschland.

    Und ihre Vorgesetzte zeigt auf einmal den Hitlergruss.

    Es ist Schluss mit lustig in Berlin, jetzt werden andere Saiten aufgezogen.

    Nach der Lektüre der ersten vier Bände, kriegt man hier die Ernüchterung auf's Tablett wie einen Kater nach einer wilden Partynacht.

    Nur der Gereon, der merkt noch nichts….obwohl langsam beginnt es ihm zu dämmern. Warum muss er all die Kommunisten verhören, was soll das bringen? Und manche sehen doch ziemlich lädiert aus. Von der Treppe gestürzt, sagen die Wärter. Der Gefangene ein hohes Tier in der Berolina, einem Ringverein.

    Kann es sein, dass irgendetwas die Macht ergriffen hat, etwas das mächtiger ist als die berüchtigten Ringvereine? Das sogar so einen abgebrühten Gangster gebrochen hat?

    Am Liebsten möchte Gereon sich wieder auf seinen aktuellen Fall konzentrieren, Der tote Stadtstreicher, ein ehemaliger Soldat aus dem Weltkrieg und das Buch, das bald erscheinen soll, über einen vergrabenen Schatz und Kameraden, die nichts verraten.

    Es war ein wirklich spannendes Buch, in die Geschehnisse der Zeit eingebunden.

    Absolut lesenswert.

    Ich würde sogar sagen, der Beste bisher aus der ganzen Reihe.

    Ich bin schon gespannt, wie es in den kommenden Bänden weitergeht.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Anyone who stops learning is old, whether at twenty or eighty. Anyone who keeps learning stays young. The greatest thing in life is to keep your mind young.

    - Henry Ford-

  • Soeben beendet und Höchstwertung für den 5. Band der Gereon-Rath-Reihe :thumleft: :applause:

    Was für ein Buch wieder, ich verneige mich vor dem Autor der es schafft, das alte Berlin so lebendig werden zu lassen. Das ich ja so nicht erlebt habe aber ich liebe Lokalkolorit. Und ich bin mittendrin, ich kenne viele Orte, viele Strassen sehr gut. Hier beschreibt er u.a. bspw. in der Behrenstrasse ein Gebäude in dem ich mal 5 Jahre lang gearbeitet habe. Mich fasziniert diese ganze Verbindung von Polizeiarbeit (diese Fälle sind auch so raffiniert angelegt) persönlichen Schicksalen und historisch genauen geschichtlichen Ereignissen. Das ist eine Mischung und eine wunderbar geschickte Verknüpfung die ich so noch nie kennengelernt habe. In mir wächst immer mehr der Wunsch, Herrn Kutscher mal in einer Lesung kennenzulernen, da würde ich sogar allein hingehen.


    Dieser Band hat mich sehr beeindruckt und berührt, zeigt er auch die Entwicklung der Protagonisten und auch die Veränderung vieler Menschen im Jahre 1933, beschreibt Machtergreifung, Reichstagsbrand, Bücherverbrennung und dieses Stück für Stück "Verlorengehen" des normalen und gewohnten Alltags in Berlin.


    Es treten auch Ereignisse aus dem 1. Weltkrieg auf, welche mir bis dato unbekannt waren.

    Noch nie habe ich bei einer Buchreihe so viel gegoogelt und nachgelesen wie bei dieser und ich finde es wunderbar.


    Jedes Mal und nicht oft genug möchte ich es erwähnen, David Nathan als Sprecher ist unübertroffen und wie gemacht für diese Reihe. :applause: Er hat eine Stimme und eine Empathie für diese Geschichten, diesem Bann kann man sich nicht entziehen.

    Ich freue mich auf die weiteren Bände !


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    (Ich würde zehn Sterne geben wenn ich es könnte ! )

  • Karneval 1933 ist für Gereon Rath nicht gerade lustig, obwohl er eigentlich in der alten Heimat Köln mit seinem Kumpel Paul einfach mal wieder ordentlich feiern wollte. Aber zuerst pfuscht ihm sein standesbewusster Vater ins Handwerk, dann wacht er übel verkatert neben einer quasi fremden Frau auf und wird schließlich auch noch zurück nach Berlin beordert, weil wegen des Reichstagsbrandes eine Urlaubssperre verhängt wurde und die Obrigkeit deshalb zur Jagd auf Kommunisten geblasen hat.


    Darüber kommt auch der Fall zu kurz, dessen sich Rath eigentlich viel lieber annehmen würde: ein toter Obdachloser, der nicht wie zunächst vermutet wurde erfroren ist, sondern mit einem Grabendolch aus dem 1. Weltkrieg erstochen wurde - aber so unauffällig, dass es beinahe unbemerkt geblieben wäre. Kurze Zeit später meldet sich ein Kriegsveteran namens Achim von Roddeck, der darin die Handschrift seines ungeliebten Vorgesetzten aus dem Einsatz in Frankreich zu erkennen glaubt. Pikantes Detail Nr. 1: Hauptmann Benjamin Engel gilt seit 1917 als tot. Pikantes Detail Nr. 2: Engel war Jude.


    Roddeck hat einen pompösen Schlüsselroman über "Todesengel" und die Ereignisse während des Krieges verfasst, der kurz vor der Veröffentlichung steht, und spätestens als ein weiterer Mann getötet wird, der ebenfalls zu Engels Einheit gehörte, sieht Roddeck sein eigenes Leben in Gefahr und ersucht um polizeilichen Schutz.


    Rath kommt das alles reichlich seltsam vor, fast als sei es bloß ein großer PR-Coup, und auch Engels jüdische Abstammung passt ein bisschen zu gut ins Bild. Doch irgendetwas muss damals bei Cambrai tatsächlich vorgefallen sein. Rath versucht weitere Kameraden von Roddeck ausfindig zu machen und Licht ins Dunkel zu bringen. Kein leichtes Unterfangen, das ihn einige lange Fahrten ins Rheinland und ordentlich Nerven kostet, aber auch einige hochinteressante Informationen ans Tageslicht fördert.


    Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: diese Reihe ist das Beste, was man momentan auf dem deutschen Krimimarkt findet, zumindest, wenn man historischen Background mag. Hier stimmt einfach alles. Hintergründe, Atmosphäre, Figuren, Spannung, man könnte es wirklich nicht besser machen als Volker Kutscher in diesem Band.


    Mit der Machtergreifung der Nazis verdüstert sich auch die Stimmung im Buch, bereits wenige Wochen danach ist spürbar, wer die neuen Herren im Lande sind. Auch in der "Burg" müssen altgediente Kollegen ihren Hut nehmen oder werden unter fadenscheinigen Vorwänden aus dem Dienst entfernt, während sympathisierende Emporkömmlinge ihre Plätze einnehmen und die SA als "Hilfspolizei" immer größere Kompetenzen bekommt (oder sie sich einfach nimmt). Überhaupt fängt Kutscher auch hier wieder die Atmosphäre der Zeit mit lauter akribischen Details wunderbar ein.


    Rath selbst hofft immer noch (wie so viele), dass sich der ganze unappetitliche Nazispuk mit der Wahl im März '33 in Wohlgefallen auflöst, wird aber rasch eines besseren belehrt. Charly hat da leider den besseren Riecher. Ihr sind die neuen Machthaber zutiefst suspekt, sie geht buchstäblich nur noch mit Bauchschmerzen zur Arbeit und kann es kaum ertragen, wie ihre Kolleginnen teilweise schon in schwärmerischen Tönen von Hitler und seinen Spießgesellen reden.


    Der aktuelle Fall passt mit seinen düsteren militärischen Untertönen auch irgendwie gut ins Gesamtbild und ist wie immer komplex, verschlungen und sehr spannend, während im Privatleben bei Gereon und Charly einiges in Bewegung ist (was dann auch zu einer sehr schönen Schlussszene führt).