Zum Buch:
70 Seiten
Aufbau Verlag Berlin
neu erschienen November 2015
Zum Autor:
Leonhard Frank, * 4. 9. 1882 in Würzburg + 18.8.1961 in München
Leonhard Franks Leben ist unruhig und von Flucht und Exil geprägt. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Würzburg auf und durchlief zunächst eine handwerkliche Ausbildung, bevor er sich zum Kunststudium entschloss. Er fand rasch Anschluss an Münchner und Berliner Künstlerkreise, z. B. Jakob van Hoddis, Georg Heym u. a. Sein Roman „Die Räuberbande“ war sein erster große Erfolg. Während des 1. Weltkrieges musste er aus politischen Gründen in die Schweiz emigrieren. Nach dem Krieg engagierte er sich in der Münchner Räterepublik und zog sich nach deren Niederschlagung verwundet nach Berlin und Wien zurück. Er blieb politisch, v. a. sozialpolitisch aktiv und machte aus seinen pazifistischen und sozialistischen Ansichten kein Hehl. Neben seinen Büchern schrieb er erfolgreich Drehbücher. Im Mai 1933 sah er sich erneut zur Emigration gezwungen: seine Bücher fielen den Bücherverbrennungen zum Opfer, Gottfried Benn schloss ihn aus der Preußischen Akademie aus, die deutsche Staatsbürgerschaft wurde ihm aberkannt. Er floh über die Schweiz und London nach Frankreich, wo er mehrfach interniert wurde und sich der drohenden Auslieferung an die Gestapo durch die Flucht in die USA entzog, wo er als Drehbuchautor arbeitete, aber an seine früheren Erfolge nicht anknüpfen konnte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland machte er sich unbeliebt, weil er die fehlende Aufarbeitung der Nazi-Zeit mit all ihren Folgen in der Bundesrepublik anprangerte und sich dadurch gleichzeitig der SED-Kulturpolitik annäherte. Frank starb 1961 und liegt auf dem Nordfriedhof in München begraben.
Preise: verschiedene regionale Kunstpreise, Verdienstkreuz der Bundesrepublik, Dr. h. c. der Humboldt-Universität, Nationalpreis I. Klasse der DDR, Tolstoi-Medaille der UdSSR und andere Preise.
Die Erzählung wurde als Bühnenstück adaptiert und 2 x verfilmt, zuletzt 1985 als „Die Frau und der Fremde“, Goldener Bär der Berlinale.
Klappentext:
Im Krieg und in der Liebe...
Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs. Karl, aus russischer Kriegsgefangenschaft geflohen, gibt sich als sein Mitgefangener Richard aus und klopft bei dessen Frau Anna an die Tür. Sein Freund hatte unermüdlich von ihr erzählt und ihr Bild heraufbeschworen. Anna weiß, dass der Mann, der plötzlich in ihrer Küche steht, nicht Richard sein kann. Doch der Fremde kennt alle Geschichten aus ihrer Vergangenheit, und er befreit sie langsam aus ihrer Isolation.
In Leonhard Franks Heimkehrer-Erzählung „Karl und Anna“ (1927) ist es die Liebe, die über die Grausamkeit des Krieges siegt und die Hoffnung auf eine neue, bessere Welt aufrechterhält. Die Erzählung war ein großer Erfolg und wurde vom Autor für die Bühne adaptiert.
Mein Leseeindruck:
Der Klappentext informiert bereits über die wesentlichen Handlungselemente und kennzeichnet die Erzählung als Heimkehrer-Erzählung. Tatsächlich spielt die Erzählung die verschiedenen Szenarien der Heimkehr von jahrelang Vermissten, von Kriegsgefangenen, von Totgeglaubten durch, die zuhause nicht wie ersehnt die treu und keusch liebende und wartende Ehefrau vorfinden, sondern eine Frau, die sich mit der Situation auf ihre Weise arrangiert und keinen Platz mehr für den Heimkehrer hat.
Die Art und Weise, wie sich Frank diesem Thema nähert, fand ich beeindruckend. Einfühlsam stellt er die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten seiner Figuren vor und verzichtet auf jeden moralisch erhobenen Zeigefinger. Gesellschaftliche Konventionen gelten in dieser Erzählung nichts, sie werden bewusst über Bord geworfen zugunsten einer höchst individuell und emanzipiert gelebten Liebesbeziehung. Er zeichnet die Figuren mit großem psychologischem Einfühlungsvermögen und macht sie damit dreidimensional. Seine eher reduzierte, fast sachliche Sprache lässt sich gut lesen und vermeidet bei diesem Thema jeden Kitsch.
Leonhard Frank scheint mir ein stets unangepasster Autor zu sein, der nachhaltig vergessen wurde.
Ich finde: zu Unrecht.