Autor: Carlo Emilio Gadda
Titel: Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana, aus dem Italienischen von Toni Kienlechner
Originaltitel: Quer pasticciaccio brutto de Via Merulana, erstmals veröffentlicht 1957
Seiten: 352 Seiten, unterteilt in 10 Kapitel
Verlag: Wagenbach
ISBN: 9783803123299
Der Autor: (Verlagshomepage)
Carlo Emilio Gadda wurde 1893 in Mailand geboren. Er diente als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg und studierte danach aus Liebe zur Mathematik Ingenieurwissenschaften. Viele Jahre arbeitete er als Ingenieur, zunächst in Italien, dann in Argentinien, Frankreich, Deutschland und Belgien. Zugleich begann seine schriftstellerische Tätigkeit. In kurzen Prosastücken, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, schilderte er die Welt eins vergangenen Mailands. Er lebte in Florenz, später in Rom, immer in bescheidenen Verhältnissen und schrieb. 1973 starb »der bedeutendste italienische Prosa-Autor des 20. Jahrhunderts« (FAZ) im Alter von neunundsiebzig Jahren. Erst Jahre nach seinem Tod setzte mit der Veröffentlichung von »Die Wunder Italiens« (1984) der Erfolg Gaddas auch in Deutschland ein.
Inhalt: (Verlagshomepage)
Das Hauptwerk des »Vaters der modernen italienischen Literatur«; einer der mustergültigen Romane der Moderne; zugleich ein verwirrender, bis zur letzten Seite spannender Kriminalfall.
Inspektor Ingravallo wird mit einem schrecklichen Mordfall konfrontiert: In einem Palazzo der gutbürgerlichen Via Merulana wird die von ihm bewunderte Liliana, die Frau seines Freundes Balducci, tot aufgefunden.
Der ebenso energische wie gedankenreiche Inspektor nimmt sofort die Ermittlungen auf, die ihn aus dem biederen Bürgermilieu in die Welt der Zuhälter, Streuner und Gangster führt.
Hinter der spießigen Moral lauert die Korruption, die »verdammte Schweinerei«, die »gräßliche Bescherung«.
Meinung:
Von Carlo Emilio Gadda hatte ich zuvor nichts gelesen und ich hatte einen unterhaltsamen Kriminalroman erwartet, den man zwischendurch lesen kann, in der Art Agatha Christie oder Georges Simenon. Denkbar schlechte Voraussetzung, um sich an ein solch komplexes, «sprachlich innovatives» Werk zu wagen. Okay, der Schreibstil war anspruchsvoller als erwartet, aber zeitweise meinte ich, ich sei zu blöde für den Text – was mir zuletzt bei Joyce’ Ulysses passiert ist. Der Kriminalfall bildet zwar die Rahmenhandlung, aber die Beschreibungen der römischen Gesellschaft zur Zeit von Mussolinis Faschismus stehen im Mittelpunkt. Es sind weitschweifige Überlegungen, innere Monologe, ausgiebige Beschreibungen von Strassen, der Natur, in einer ausholenden Sprache wie bspw hier über den Namen der Gräfin Menecacci:
Zitat von Kapitel 1Von ihren prunkenden Lippen stieg dieser venetische Name flussauf, wandte sich gegen den Strom, das heißt gegen die Erosion, welche der Lauf der Jahre angerichtet hatte. Die Anaphonesis bohrte sich den Abfluss, wie der Aal kraftvoll sich durchzwängt, oder gewisse Fische, die kilometerweit flussauf wandern, hinauf, hinauf, hinauf, bis sie die heimatliche Lymphe wieder trinken: bis zum Quellgebirge des Yukon oder der Adda oder des Rio Negro in den Anden. Aus den letzten Transliterationen der Pfarregister fand er wieder den Anschluss an die gutturale Sanftheit der Ursprünge, von Menegaccio zu Ménego und zu Menico, zu Domenico, Dominicus, zum «Possessivum, dessen ein und alles er war».
Ich habe mich durch einige Passagen gekämpft, andere waren überaus unterhaltsam und die Geschichte «kam voran». Allerdings verlaufen auch die Ermittlungen des Mordfalls (und genau genommen gibt es auch einen vorherigen Diebstahl, den der Klappentext vergisst zu erwähnen) ziemlich schleppend und verworren. Nein, wenn man einen Kriminalroman erwartet, dann kann man nur enttäuscht sein. Wenn man aber entsprechend vorgewarnt ist, sich auf ausschweifende Beschreibungen einlassen möchte, auf klare Handlungsstrukturen verzichten kann, und in die römische Gesellschaft zur Faschistenzeit eintauchen möchte, dann ist es sicherlich ein empfehlenswerter Roman, in dem man viel entdecken kann. Ich hingegen war überrumpelt, überfordert, bald gelangweilt und werde dem Roman sicherlich nicht gerecht. Es war für mich ein Buch zur falschen Zeit,und hatte eine völlig verkehrte Erwartungshaltung an den Roman.