Im vorliegenden Buch dreht sich alles darum, das persönliche Wohlbefinden durch Stricken zu steigern. Die Autorin richtet sich dabei sowohl an Gesunde als auch an Kranke. Sie setzt therapeutisches Stricken vor allem bei Depressionen, chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Angstzuständen und Panikattacken sowie sozialer Isolation und Suchtverhalten ein.
Im 1. Teil des Buches erklärt Betsan Corkhill gut verständlich, welche positiven Veränderungen das therapeutische Stricken im Gehirn hervorruft. Dabei müssen Hände und Gehirn äußerst präzise zusammenarbeiten. Dass diese Bewegungen an der Körpermitte stattfinden, steigert die Gehirnleistung noch zusätzlich. Somit bleibt weniger Kapazität, um sich gedanklich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Negative Gedanken- und Verhaltensmuster können auf diese Weise durchbrochen und die neuralen Pfade positiv stimuliert werden.
Gesunden hilft das Stricken ebenfalls bei der Bewältigung normaler Stress- und Belastungssituationen des täglichen Lebens.
In den weiteren Kapiteln befasst sich die Autorin sowohl mit den Auswirkungen des „stillen“ Strickens, das die meditative, beruhigende Komponente hervorhebt, als auch mit dem „gemeinsamen“ Stricken, das den sozialen bzw. karitativen Aspekt berücksichtigt.
Im 2. Teil geht es um praktische Ratschläge, etwa das richtige Sitzen, genügend Pausen, um Planung und Vorbereitung der Projekte.
Eine kleine Strickschule und einfache Modelle mit detaillierten Anleitungen bilden den Abschluss des schön gestalteten Buches. Jedes Kapitel wird mit stimmungsvollen Bildern eingeleitet, und bietet Platz für Notizen, da jede Leserin, jeder Leser eigene Schwerpunkte setzen wird. Viele Zitate mit positiven Rückmeldungen an die Autorin runden den lesenswerten Band ab.
Betsan Corkhill absolvierte eine Ausbildung zur Physiotherapeutin in London. In der Schweiz lernte sie die Methode der ganzheitlichen Behandlung kennen, und wendete sie bei ihrer Arbeit erfolgreich an.
Schließlich suchte die Autorin neue Herausforderungen als freie Produktionsredakteurin für eine Reihe von Freizeitmagazinen. Im Rahmen dieser Tätigkeit kam sie mit dem therapeutischen Stricken in Berührung, und befasste sich intensiv mit dessen Auswirkungen auf Gesunde und Kranke.
Heute folgen Schmerzkliniken auf der ganzen Welt diesem Ansatz und integrieren therapeutische Strickgruppen in ihre Leistungsangebote.
Was Strickbegeisterte schon lange aus eigener Erfahrung wissen, ist endlich wissenschaftlich bewiesen, und liegt - durch Studien untermauert - nun auch in Buchform vor.
Betsan Corkhill bietet ihren Lesern einen äußerst interessanten Überblick über die positiven Auswirkungen des therapeutischen Strickens. Erfreulicherweise bemüht die Autorin den schon leicht strapazierten Begriff des „positiven Denkens“ in ihren Ausführungen nicht. Sie nimmt den Menschen in seiner Ganzheit wahr, und möchte Wohlbefinden und innere Ausgeglichenheit nicht bloß von positiven Schicksalswendungen abhängig machen oder negative Erfahrungen schönreden. Da jeder Mensch auch unangenehme Situationen aushalten und Rückschläge hinnehmen muss, findet es die Autorin viel wichtiger, dass jeder in seinem Inneren einen sog. „Wohlfühlkern“ entwickelt, der ihm in den Stürmen des Lebens als Kraft- und Inspirationsquelle dient.
Das therapeutische Stricken kann ein Weg sein, um dieses Ziel zu erreichen, da es zur Förderung kreativer Fähigkeiten genutzt werden kann. Kreativität ermöglicht flexibles Denken und Handeln, wodurch sowohl generelle Lebensprobleme als auch krankheitsbedingte Beschwerden besser bewältigt werden können.
Betsan Corkhill erklärt ausführlich, welche positiven Auswirkungen die rhythmische Bewegung der Arme vor der Körpermitte auf die Gehirntätigkeit beim Stricken hat. Abschalten oder Ablenkung – alles ist möglich, je nach gewähltem Strickprojekt.
Die Autorin gibt zahlreiche Ratschläge zur Arbeitsweise, und wendet sich vor allem an Menschen, die mit gesundheitlichen Einschränkungen leben müssen. Dass auch sie vom therapeutischen Stricken profitieren werden, zeigt sie an vielen Beispielen.
Dennoch ist das Ziel für Gesunde und Kranke dasselbe: Entspannung, das Erlangen innerer Ruhe, verbesserter Schlaf, und positive Stressbewältigung im Alltag.
Interessant fand ich, dass bereits die Visualisierung des Strickens in stressigen Situationen zur Beruhigung und Entspannung beitragen kann. Auch die Vorfreude auf ein Projekt, das sich noch in Planung befindet, hat dieselbe Wirkung.
Bisher war mir auch nicht bewusst, dass sich der Gemütszustand des Strickenden in seinem Werk widerspiegelt. Sehr fest gestrickte Maschen deuten auf Stress und Anspannung, die es nun durch lockeres Stricken abzubauen gilt.
Mir hat sehr gut gefallen, wie ernsthaft sich Betsan Corkhill mit einer Handarbeitstechnik auseinandersetzt, der bis heute der Geruch einer leicht muffigen Großmutter-Beschäftigung anhaftet. Obwohl das Stricken in den letzten Jahren auch für junge Frauen wieder attraktiver geworden ist, kann man es nach wie vor nicht als sonderlich prestigeträchtig betrachten. Gibt man Handarbeiten als Hobby an, erntet man eher mitleidige als bewundernde Blicke. Deshalb finde ich es beeindruckend wie vehement die Autorin die Bedeutung des Strickens für die seelische Gesundheit verteidigt. Der täglichen Ausübung räumt sie einen ebenso hohen Stellenwert ein wie für genügend Bewegung zu sorgen.
Leider gibt Betsan Corkhill keine Auskunft darüber, ob es eine Alternative für Menschen gibt, die dem Stricken nichts abgewinnen können, und diese Beschäftigung ablehnen. Ob mit anderen handwerklichen Tätigkeiten derselbe Effekt zu erzielen ist, wird nicht diskutiert.
Dies bleibt aber auch mein einziger Kritikpunkt an diesem bemerkenswerten Buch, das mit den üblichen Ratgebern überhaupt nicht verglichen werden kann.