Inhalt:
"Ehrgeiz treibt ihn an. Rivalität beflügelt ihn. Aber Macht hat ihren Preis. Es ist der Morgen der Ernte der zehnten Hungerspiele. Im Kapitol macht sich der 18-jährige Coriolanus Snow bereit, als Mentor bei den Hungerspielen zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Die einst mächtige Familie Snow durchlebt schwere Zeiten und ihr Schicksal hängt davon ab, ob es Coriolanus gelingt, seine Konkurrenten zu übertrumpfen und auszustechen und Mentor des siegreichen Tributs zu werden. Die Chancen stehen jedoch schlecht. Er hat die demütigende Aufgabe bekommen, ausgerechnet dem weiblichen Tribut aus dem heruntergekommenen Distrikt 12 als Mentor zur Seite zu stehen – tiefer kann man nicht fallen. Von da an ist ihr Schicksal untrennbar miteinander verbunden. Jede Entscheidung, die Coriolanus trifft, könnte über Erfolg oder Misserfolg, über Triumph oder Niederlage bestimmen. Innerhalb der Arena ist es ein Kampf um Leben und Tod, außerhalb der Arena kämpft Coriolanus gegen die aufkeimenden Gefühle für sein dem Untergang geweihtes Tribut. Er muss sich entscheiden: Folgt er den Regeln oder dem Wunsch zu überleben – um jeden Preis."
Meine Meinung:
Ich war in letzter Zeit in einigen dystopischen Welten oder Fantasy Szenarien unterwegs und brauchte ein paar Seiten, um wieder in Panem anzukommen.
Das ging dann aber doch recht schnell, der "Ach ja, so war das" - Effekt setzte ein und zog mich wieder in den bekannten Bann.
Zuerst war ich allerdings ein wenig von der Zeitlinie irritiert, denn ich hatte mich im Vorfeld absichtlich nicht groß über das Buch informiert.
Anfangs musste ich dann auch ständig gegen den Drang kämpfen, meine Neugierde (vor)schnell zu befriedigen.
Natürlich wusste ich noch einiges aus den ursprünglichen Romanen und glaubte kommende Ereignisse bereits zu kennen oder auszuschließen.
Das stellte sich dann glücklicherweise als Irrtum heraus, aber lest am besten selbst!
Zunächst einmal hat das düstere Panem, errichtet auf den Ruinen des alten Amerikas, nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Trotzdem zeichnet Suzanne Collins hier erstmal ein vollkommen anderes Bild des übermächtigen Kapitols.
Vom rauschenden Luxus, dem abstoßenden Überfluss, skurrilen Maskeraden, medialer Allmacht oder der allgegenwärtigen (Überwachungs-) Technologie ist noch wenig zu sehen bzw nicht viel übrig geblieben.
Denn das Kapitol steht auf tönernen Füßen.
Vom Krieg gebeutelt, ausgebombt, von der Versorgung abgeschnitten, haben die einst so glamourösen Bewohner mit denselben Problemen zu kämpfen, wie die Menschen in den besiegten Distrikten.
Die Lage ist angespannt, unübersichtlich und selbst die alten Adelsfamilien haben Mühe den Schein des sozialen Status und der einstigen Macht aufrecht zu erhalten.
Sie hungern in ihren Seidenkleidern und Marmorpalästen, stets bemüht nach außen Normalität vorzuspielen, um ja keine Angriffsfläche zu bieten. Denn schon streben neue Familien nach Macht und Einfluss, es gibt tektonische Verschiebungen in der sozialen Rangordnung.
Davon betroffen ist auch ehemals reiche Adelsfamilie Snow, deren Besitztümer zusammen mit Distrikt 13 im atomaren Feuer verglüht sind.
Coriolanus Snow hat beide Eltern verloren und lebt nun mit seiner Großmutter und seiner Cousine Tigris im schicken Familiensitz des Hauses Snow. Doch die hübsche Fassade kann kaum noch über die Realität hinwegtäuschen:
Die wenigen teuren Kleider, die übrig gelieben sind, wurden inzwischen hundertfach geflickt, die Möbel ihres marmornen Penthouses sind längst verkauft oder wurden im harten Winter verheizt.
Familie Snow hungert und ist auf staatliche Zuwendungen und Almosen angewiesen.
Tigris verdient ein spärliches Zubrot als Schneiderin, während Coriolanus zur Schule geht und versucht ein Stipendium für die Hochschule zu ergattern. Nur die Großmutter hat sich von der neuen Realität entkoppelt, züchtet weiterhin auf dem Dach ihre Rosen und betrachtet quasi alle anderen Familien von oben herab.
Die Lage ist wirklich prekär, bis sich anlässlich der 10. Hungerspiele eine scheinbare Aufstiegschance bietet. Zum ersten Mal soll es bei den Spielen Mentoren geben und eine TV Show nebst Sponsoren System etabliert werden.
Coriolanus macht sich große Hoffnungen, selbst dann noch als er ein Mädchen aus Distrikt 12 zugeteilt bekommt, die kaum Siegchancen hat. Denn wenn er eines kann, dann ist das verkaufen. da er ist er sich sicher.
Und tatsächlich entpuppt sich Lucy Gray bereits am Tag der Ernte als Überraschung, als sie nicht nur die Zuschauer verzaubert, sondern auch das Herz ihres Mentors für sich gewinnt.
Dies ist der Ausgangspunkt einer tollen Geschichte, die gar nicht so sehr auf das große Spektakel abzielt, sondern sich viel Zeit für seine ambivalenten Figuren nimmt und moralische Fragen aufwirft, ohne zu langweilen oder zu werten.
Dabei nehmen die Spiele weniger Raum ein als ich gedacht habe und auch die Action hält sich in Grenzen. Hier wird viel mehr das Entstehen eines brutalen Regimes gezeichnet, von dem anfangs selbst die privilegierten Bewohner nicht sonderlich begeistert sind.
Genau darum mochte ich das Buch auch so, denn Collins geht weg von den skurrilen, stets maskierten und überdrehten Kapitol Bewohnern und stellt sie uns als Menschen vor.
Die Kinder sind nicht unbedingt mit den Spielen einverstanden, sehen das Grauen und erleben am eigenen Leibe, dass dieses brutale System auch vor ihnen nicht Halt macht.
Leider ziehen daraus nicht alle die richtigen Schlüsse, aber auch das gehört dazu. Das alles ist noch weit weh von dem bis in den letzten Winkel durch choreographierten Terror eines allmächtigen Staates.
Vor allem diese Aspekte haben "Die Tribute von Panem X" für mich so greifbar gemacht, vielleicht weil noch Hoffnung bestand.
Aber auch weil man sich sofort die Frage aufdrängt, wie Menschen die Krieg, Hunger und sogar den Tod der eigenen Kinder erlebt haben, so ein System etablieren, stützen und gut heißen können.
Was die nachfolgenden Bände umso furchtbarer erscheinen lässt und ihre Wucht unterstreicht.
Fazit:
Das Prequel ist gut gelungen und wertet die ursprünglichen Bücher tatsächlich nochmal um einiges auf!
Anders als bei M. Atwoods "Handmaids Tale" gab es hier glücklicherweise keine filmische Vorlage, die das Schaffen der Autorin beeinflussen konnte, was dem Roman ausgesprochen gut getan hat.
Suzanne Collins gelingt es auf ganz wunderbare Weise, den finsteren Präsidenten Snow aus seiner Rolle als Abziehbild Bösewicht zu befreien und ihm ein Profil zu verleihen.
Oh, wie sie mich auf`s Glatteis geführt hat, denn ich mochte diesen Coriolanus Snow, fast bis zur letzten Seite!*
Überhaupt muss man es erstmal schaffen, eine LeserIn der ersten Bände noch zu überraschen, die ja glaubte schon alles zu wissen. Aber hier ist wirklich nichts wie es scheint und die Hauptcharaktere sind wunderbar ambivalent.
Beeindruckt hat mich auch das Terror Regime Panem, in seinem unvollendeten Zustand. Hier wirkt vieles noch zufällig, wenig ausgearbeitet, der Terror ist noch im Werden Begriffen
Ständig hatte ich beim Lesen das Gefühl, auf einer Schwelle zu stehen, an der es auch gut in die andere Richtung hätte gehen können. Was die folgenden Bände nur umso tragischer erscheinen lässt.
Ich gebe dem Buch 4.5 Sterne und bin sehr froh darüber, es mir sofort gekauft zu haben. Normalerweise warte ich ja immer.
Besonders das Ende fand ich überaus gelungen. Auch weil ich bis zur letzten Seite keine Ahnung hatte, wie Collins das auflösen würde und sie mir dann nochmal richtig einen mitgegeben hat.
Der buchstäblich letzte Satz hat das gesamte Buch nochmal um einiges aufgewertet, und zwar auf eine grauenhafte und zynische Art und Weise. Ich musste regelrecht laut lachen, während es mir gleichzeitig im Halse stecken blieb.
Großartig!
*
Mich würde mal eure Meinung dazu interessieren: Glaubt ihr das Coriolanus ein Opfer des Systems Panem gewesen ist und sich am Ende dafür entschieden hat?
Oder hat er uns die ganze Zeit hinters Licht geführt und war ein eiskalter verlogener Intrigant, der nur auf seinen eigenen Vorteil aus gewesen ist?
Der Giftmord an seinem Dekan hat mich kalt erwischt und mir ein wirklich zynisches Lächeln auf`s Gesicht gezaubert. Wie ging es euch damit?