Martin Walser - Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte

  • Klappentext:

    «Was, bitte, wäre ich lieber als ich? Alles andere als ich.»

    Martin Walsers viel diskutierter Roman über Beziehungen und darüber, was passiert, wenn ein Mann gleich zwei Frauen liebt.

    Justus Mall, der früher einmal anders hieß, war Oberregierungsrat, zuständig für Migration, bis er etwas Unbedachtes machte. Seitdem ist er Philosoph, zuständig für alles und nichts. Doch das ist nicht das einzige Dilemma seines Lebens: Er liebt gleich zwei Frauen. Und weil das nicht gehen kann, beginnt er, einen Blog zu schreiben – auf der Suche nach einem Menschen, der genau das ist, was ihm fehlt.

    Ein völlig geklärt geschriebener Roman über lauter Ungeklärtes, ein ungeheuerliches, überwältigendes Buch. (von der Rowohlt-Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:

    Martin Walser, 1927 in Wasserburg geboren, lebt in Überlingen am Bodensee. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis, 1998 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels und 2015 den Internationalen Friedrich-Nietzsche-Preis. Außerdem wurde er mit dem Orden «Pour le Mérite» ausgezeichnet und zum «Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres» ernannt. (von der Rowohlt-Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:

    Brief-, bzw. Blog-Roman

    Das schreibende Ich redet an einigen Stellen von sich in der 3. Person

    chronologische Briefe vom 30. Oktober 2016 bis Sommer 2017

    107 Seiten


    Meine Meinung:

    Da ist also ein Philosoph – Philosoph darf sich jeder nennen – der nicht gern zwischen zwei Frauen steht, sondern lieber mit beiden leben würde. Je nach Bedürfnis wäre die eine oder die andere vorzuziehen, Gerda oder Silke. Weil aber immer noch etwas (eine) fehlt, erschafft der Mann, der sich Justus Mall nennt, eine unbekannte Geliebte, ist sich seiner Phantasie dabei durchaus bewusst.


    Möglichkeit 1:

    Mit 93 Jahren bedient Walser noch die gleichen Altmännerphantasien wie mit 70. Und mit 75. Und mit 80 … Wie schön, dass man anscheinend noch mit beinah 100 Jahren für Eros, Sex und Schönheit empfänglich ist. Nein, das Testosteron gibt niemals Ruh.


    Möglichkeit 2:

    Ironie: dick aufgetragen oder leise wie Hintergrundmusik? Allein die Situation, dass ein Mann sich in einem Blog, also einer in die Öffentlichkeit getragenen Sehnsucht an eine fiktive Frau wendet, ihr sein Leben erzählt, dabei nichts von dem auslässt, was er nicht ausgelassen hat, ist absurd.

    Wenn ein Sprachkünstler wie Walser sich Formulierungen bedient, die dem Leser Schauer über den Rücken jagen – wie ernst ist es ihm? Beispiel: „Und dieser Mund! Ein wohlgeschwungener, aber schwerer Vorhang für ein gleißend weißes Zähnetheater.“ (S. 21)

    Oder sarkastisch wird (es geht um Märtyrerlegenden aus dem Frühchristentum): „Als wir dann christlich waren, … da war es gesetzlich verboten, Jungfrauen zu erdrosseln. Also wurden alle Mädchen, die erdrosselt werden sollten, zuerst vom Henker geschändet.“ (S. 94)

    Oder die Geliebte / den Leser mit Bonmots beglückt: „Angesichts eines lächelnden Priesters: Vielleicht ist es leichter, keine Frau zu haben als nur eine.“ (S. 46)


    Möglichkeit 3:

    Immer wieder finden sich berührende Sätze; mir begegnen sie vor allem in der Lyrik, mit der Justus Mall einen Teil seiner Briefe beschließt.


    Mit „Das dreizehnte Kapitel“ hat Walser schon einmal einen Briefoman geschrieben, in dem es um Liebe geht, die sich nur im Kopf abspielt. Ging es dort noch um einen Dialog, also einen Briefwechsel, ist der Schreiber in „Gar alles“ allein und erfindet sich das Gegenüber.


    Ich zitiere aus meinem Bericht über Walsers Lesung mit „Das dreizehnte Kapitel“: Vom Veranstalter bedrängt, den die Frage beschäftigt, welch seltsame Liebe es sei, die keine körperliche Erfüllung finde, antwortet Walser, dass die Liebe in der Sprache liege und alles andere ohne hin nur Gymnastik sei.

    Merkwürdig nur, dass Gymnastik im Schreiben Walsers einen solchen Stellenwert einnimmt.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)