Fesselndes "Lesebuch"
Mit dem Genre „True Crime“ befasse ich mich noch nicht sehr lange, und auch nicht sehr intensiv. Für mich sind das vor allem Ferdinand von Schirach, und der eine oder andere Mark Benecke. Die sehe ich als die „Großen“ ihres Fachs an. Wohingegen mir das kürzlich erschienene Buch des YouTubers Jarow so gar nicht gefallen hat. Für das Buch von Adrian Langenscheid hatte ich mich interessiert, weil es sympathisch angekündigt wurde, als „Kurzgeschichten“. Ich wollte wissen, was dahinter steckt, und wie es sich in die „Szene“, so weit ich das beurteilen kann, einfügt.
Ich bin einigermaßen positiv überrascht! Ich habe es gerne gelesen, und bescheinige ihm Flüssigkeit und Engagement. Zudem hat der Autor an einer Leserunde teilgenommen, und ich konnte feststellen, dass er tatsächlich engagiert und leserfreundlich ist.
„Kurzgeschichten“ sind es in der Tat insofern, als eben die Lesbarkeit als Ganzes im Vordergrund steht. Die Texte haben einen deutlich erzählenden Ton. Der Autor tritt auch als solcher auf – als Erzähler und Vermittler. Es gibt zumeist eine kurze Einleitung, danach eine Chronologie der Ereignisse. Der Ton ist menschlich, und bemüht sich, Hintergründe und Gefühle zu erläutern. Es wird jeweils das Umfeld der Tat geschildert, mögliche Ermittlungswege, und auch Urteilsbegründungen, sowie Folgen für Opfer und / oder Hinterbliebene.
Es ist der dritte Band einer Reihe – diesmal handelt es sich um Fälle aus England. In den ersten beiden Bänden waren es Deutschland und die USA. Ich kann es nicht genau beurteilen, habe aber den Eindruck, dass der Autor mit jedem Band an Sicherheit und Versiertheit gewonnen hat. Das Buch enthält 20 Fälle, die fast alle aus der jüngeren Vergangenheit stammen, und eine große Bandbreite abdecken. Nur ein Fall fällt aus dem Rahmen; es handelt sich um den „Großen Postraub“ aus dem letzten Jahrhundert, ein echter Klassiker! Doch ausgerechnet Fred und Rosemary West fehlen, die ich aber unbedingt erwartet hätte.
In den restlichen 19 Fällen findet man fast alles, was man sich unter dem Stichwort „Verbrechen“ vorstellen kann. Kindesmissbrauch, Misshandlung, Vampirismus, spontane Gewalt, Verwahrlosung, eine vorgetäuschte Entführung, Eifersucht, Erpressung, Serientäter, und dysfunktionale Beziehungen aller Art.
Mein Urteil ist insgesamt, wie gesagt, gut. Jedoch habe ich durchaus Kritikpunkte. Da sind zum einen doch etliche Schreib- und Druckfehler. Dann wiederum rutscht der Erzählton gelegentlich (in meinen Augen) ab, und begibt sich auf das Niveau einer Gazette. Manche Sätze hätte ich ersatzlos gestrichen! Schade auch, dass manche Gelegenheit versäumt wurde, Hintergründe zu beleuchten. Zum Beispiel den Einfluss von frühkindlichen Erlebnissen auf das spätere Verhalten. Warum man sich in dysfunktionalen Gemeinschaften so oft „Opfer“ sucht. Wie man überhaupt zum Täter wird. Die Rolle des Internets. Und noch einiges mehr. Aber es sind eben „Kurzgeschichten“, und das, was ich erwartet hätte, mag auf meinen persönlichen Vorlieben beruhen.
Insgesamt würde ich das Buch empfehlen, und zwar für Leser, die eine große und gut lesbare Sammlung suchen, und diese als Ausgangspunkt nehmen möchten, sich selber Gedanken zum Thema Verbrechen zu machen. Vermutlich sollte man sich auch die ersten beiden Bände zulegen, um besser vergleichen zu können.