Spannung und Psychologie
Gerecht ist nur der Tod...?
Zugegeben, ich hielt den Titel zunächst für etwas sperrig. Das musste doch wohl nicht sein! Ob es sich um eine übereifrige Übersetzung handelte…? Doch nein, es handelte sich um eine deutsche Originalausgabe; allerdings um das Pseudonym einer vorgeblich bekannten Autorin. Ich vermute, dass sie hier eine Art Experiment im Krimi-Genre gewagt hat. Dies ist ihr aus meiner Sicht auch sehr gut gelungen!
Die Handlung spielt in Köln, im Verlauf einer Woche. Von Samstag bis Samstag, mit kleinem Epilog. Jeder „Tag“ ist auch ein „Erzähltag“. Zumeist werden Vormittag und Nachmittag/Abend als eigener Abschnitt behandelt. Das sorgt für einen angenehmen Erzählrhythmus. Man kann sich die Abläufe gut vorstellen.
Erzählt wird die Geschichte in der ersten Person von Ina Reich, die in ihrer Funktion als Psychologin zu einer laufenden Ermittlung hinzugezogen wird. Sie soll – so erzählt sie es dem Kommissar und der Assistentin – mit Billigung des Polizeipräsidenten einen Artikel über die psychische Belastung von Kriminalbeamten schreiben. Allerdings bekommen sowohl die Ermittler als auch die Leser im Laufe des Buches Zweifel an dieser Aussage…
Ina Reich ist ein Paradebeispiel für das Modell des „unzuverlässigen Erzählers“, und aus dieser Spannung heraus bezieht das ganze Buch seinen Reiz. Einerseits erhält man Einblick in Inas verletzliche Seele, andererseits zweifelt man. Es stellen sich nach und nach diverse Sachverhalte heraus. Ina ist offiziell gar keine Psychologin mehr, sondern musste aus persönlicher Belastung heraus auf Journalismus umsatteln. Sie ist tief traumatisiert, tablettenabhängig, und hält ihren Wohnsitz geheim. Und sie liefert sich einen unterschwelligen Kleinkrieg mit der türkischen Kommissarin Bulut. Die anscheinend etwas „gewittert“ hat. Nur was…?
Der eigentliche Fall wird routiniert geschildert. Ein Prominenter Kölner wird auf dem Weg zum Traualtar in aller Öffentlichkeit erschossen. Mitten in der Kölner Innenstadt. Es folgen zwei weitere, zunächst scheinbar zufällige Opfer. Gibt es einen Zusammenhang? Dieser ist zunächst schwer zu finden. Es kommen Verdachtsmomente auf in Bezug auf die teils unsauberen finanziellen Geschäfte des Prominenten. Aber ob das Motiv so einfach gelagert ist…? Das fragt sich auch Kommissar Schellenberg. Denn der Ablauf der Verbrechen spricht eigentlich für ein lange geplantes Vorgehen aus Rache…
Sehr schön gezeichnet sind diverse Persönlichkeiten und Bevölkerungsschichten. Die Welt der Prominenten und Boulevardjournalisten. Die neureichen Eltern, die alles verdrängen. Ehemalige Angestellte. Arbeitslose. Die Abläufe in einer Soko. Und natürlich der Kommissar, der nach außen bärbeißig, nach innen aber feinfühlig ist. Dem gegenüber steht die „innere Perspektive“ Inas. Sie kommentiert alle Geschehnisse laufend, und es ergeben sich bedeutungsschwangere Lücken für den Leser. Bis zum Schluss wird dies nicht völlig aufgelöst, bis sich die Ereignisse überschlagen. Das Ende wirft wirklich jeden Gedanken über den Haufen, den man sich zum Motiv gemacht haben mag. Und obwohl dies in der Realität wohl unmöglich wäre – hoch spannend geschrieben ist es allemal.
Mir hat das Buch wirklich ausnehmend gut gefallen! Es war sicherlich von Vorteil, die weibliche Perspektive von einer weiblichen Autorin erzählen zu lassen. Trotz aller Brüche finde ich Ina beinahe schon sympathisch. Ich konnte ihre Zerrissenheit nachvollziehen. Glaubwürdig fand ich auch Kommissar Schellenberg in seiner Mehrfachbelastung. Nur Bulut fand ich ein wenig überzeichnet. Insgesamt wird dies vom ausgetüftelten Spannungsbogen und dem Knalleffekt am Schluss aber mehr als wettgemacht. Ich kann diesen Krimi wirklich nur jedem empfehlen, der Spannung in Verbindung mit Psychologie sucht.