Christian Hardinghaus - Die verdammte Generation

  • Autor: Christian Hardinghaus

    Titel: Die verdammte Generation

    Seiten: 327

    ISBN: 978-3-95890-297-8

    Verlag: Europa Verlag


    Autor:

    Christian Hardinghaus wurde 1978 in Osnabrück geboren und ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Fachjournalist. Nach seinem Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft (Film und TV) promovierte er an der Universität Osnabrück im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung. Im gleichen Jahr absolvierte er den Lehrgang Fachjournalismus an der Freien Journalismusschule. 2016 erwarb er zudem den Abschluss für das gymnasiale Lehramt in den Fächern Deutsch und Geschichte. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Hardinghaus lebt in Osnabrück.


    Inhalt:
    Holocaust und Judenverfolgung haben seit Jahrzehnten ihren berechtigten Platz im kollektiven Gedächtnis, doch wie sieht es aus, die Soldaten zu befragen, die auf deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben. Ein Versäumnis, welches begann, als man in Deutschland bereit war, ein Stück Geschichte aufzuarbeiten. Bisherige Versuche einer differenzierten Betrachtung scheiterten. Der Historiker Christian Hardinghaus befragte dreizehn Zeitzeugen, die schonungslos ehrlich über das Kämpfen und Töten im Zweiten Weltkrieg berichten. Damals und retroperspektivisch. Es sind die <berichte einfacher Soldaten und somit ein wichtiger Beitrag unserer Erinnerungskultur. (eigene Inhaltsangabe)


    Rezension:

    In den letzten Jahren füllten sich zunehmend die Archivsammlungen mit Zeitzeugenberichten und Interviews, die uns zur Aufgabe machen, diese Erinnerungen zu bewahren und nicht zu vergessen. Als nachfolgende Generation sind wir für damalige Taten und Ereignisse nicht verantwortlich, doch tragen wir Verantwortung dafür, mit den Erkenntnissen daraus verantwortungsvoll umzugehen und diesen gerecht zu werden. In verschiedenen Bereichen gelingt dies mehrheitlich. Doch, immer noch gibt es Themen, die weitgehend unbesprochen sind, so zum Beispiel die Rolle des einfachen Soldaten an den Fronten des Zweiten Weltkrieges, der ein kleines Rädchen im großen Getriebe war, auf die Entscheidungen der Politiker und obersten Führungsriege jedoch keinen Einfluss hatte.


    Wie gehen wir damit um? Zurzeit zeichnen sich zwei Wege ab. Einmal, die totale Verklärung, was falsch ist. Zum anderen, die totale Negierung von bestimmten Ereignissen im Zweiten Weltkrieg, was ebenso nicht richtig erscheint. Eine differenzierte Betrachtung, eben nicht nur der Extreme, sondern auch der Graustufen dazwischen, ist kaum vorhanden. Dies versucht der Historiker und Autor Christian Hardinghaus nun in seinem neuesten Werk und befragte dazu mehrere Zeitzeugen, unterschiedlicher Jahrgänge, die an verschiedenen Fronten des grausamsten aller Kriege auf deutscher Seite kämpfen mussten. Als einfache Soldaten. Und stößt damit ein Stück Erinnerungskultur an, die in anderen Ländern selbstverständlich ist, hierzulande jedoch stiefmütterlich behandelt wird.


    Die ehemaligen Soldaten berichteten dem Autoren nun in Abstand der vergangenen Jahrzehnte von ihren Erlebnissen mit einer differenzierten Selbstreflektion über das Leben als einfacher Soldat, das Töten und Sterben an der Front und den Grausamkeiten des Krieges an forderster Linie, ohne Holocaust und Verfolgung, hinter den Frontlinien zu negieren oder zu beschönigen. Stärke ist hier die Sicht des persönlichen Erlebens, welche den Lesern zugänglich gemacht wird, ohne dass dies Christian Hardinghaus wertet. Vielmehr dürfen und können die Leser sich eine eigene Meinung bilden. Fazit vielleicht, Krieg bringt nichts, er zerstört nur. Eben auch die Leben derer, die als Soldaten kämpfen müssen. Egal, ob freiwillig oder dazu gezwungen.


    So ist diese Gesprächssammlung, nichts weniger ist das vorliegende Werk, eine Ergänzung, die dazu anregen sollte, sich mit allen Perspektiven des Zweiten Weltkrieges zu beschäftigen und sich eben nicht nur auf bestimmte zu konzentrieren. Die bisherige Aufarbeitung ist richtig und wichtig, jedoch noch nicht vollständig. Gerade hierzu leistet der Historiker Hardinghaus einen wichtigen Beitrag, der durchaus, auch, kontrovers zu diskutieren ist. Diese Diskussion jedoch erst einmal anzustoßen, ist in unseren turbulenten Zeiten der Meinungsfrontenbildung wichtig, um ein differenziertes und ausgewogenes Bild zu bekommen.


    In kurzen übersichtlichen Kapiteln ist diese Sammlung der Gespräche gegliedert, abschließend mit jeweils drei ergänzenden Fragen an die Interviewpartner gestellt, die die Gespräche einordnen. Eine ausführliche Einführung in die Texte ist ebenso gegeben, wodurch das Ganze abgerundet wird. Ein wichtiges Dokument, welches den geschichtlichen Diskurs ergänzen sollte, wenn mir auch die Anzahl der geführten Gespräche als fast zu wenig erscheint, was jedoch dem zeitlichen Kontext geschuldet sein dürfte.

  • Eine differenzierte Betrachtung der Wehrmacht

    Christian Hardinghaus, Historiker, Sachbuch- und Krimiautor, hat mit diesem Buch ein längst fälliges geschrieben, denn der Umgang mit den Männern, die während des Zweiten Weltkrieges in der Wehrmacht gedient haben, lässt in Deutschland und in Österreich sehr zu wünschen übrig.


    Schon im Titel lässt sich ahnen, dass es diesen Männern zu keiner Zeit ihres oft langen Lebens leicht gemacht wurde. Sie sind quasi von Beginn an mehrfach verdammt. Verdammt dazu, in eine Zeit hineingeboren zu sein, die das Schlechteste und auch das Beste aus dem Menschen hervorholt, verdammt dazu, einem verbrecherischen Regime zu dienen, das rücksichtslos Millionen von Menschen in den Tod schickt, verdammt dazu, zu töten, um selbst zu überleben, verdammt dazu in Kriegsgefangenschaft zu geraten, verdammt dazu zu sein, verletzt an Körper und Seele zurückzukehren und mit niemandem über die Erlebnisse sprechen zu können, weil das Grauen der Shoa alle anderen Leiden verdeckt. Diese Generation wird von ihren Kindern verdammt, weil sie dem Regime zu wenig Widerstand geboten hätten. Mit dem Wissen von heute, den Väter ihre Taten oder Unterlassungen vorzuwerfen, ist verdammt billig.


    Christian Hardinghaus hat, stellvertretend für die abertausenden Männer, die er nicht mehr kennenlernen konnte, 13 Soldaten der Wehrmacht interviewt und ihre Geschichte aufgeschrieben. Dabei lässt er persönliche Eindrücke so stehen, wie sie ihm erzählt wurden. Behutsam setzt er die Berichte in den historischen Kontext und lässt für uns Leser die Zeit des Zweiten Weltkrieges auferstehen.


    Das sind die 13 Männer, an deren Lebensgeschichten wir teilhaben dürfen:


    • Otto (1916-2017)
    • Wigand (1920-2017)
    • Werner (1920)
    • Johannes (1921)
    • Hans-Werner (1922)
    • Karl-Friedrich (1923) und Josef (1923-2019)
    • Fritz (1923-2019
    • Jakob (1924)
    • Paul (1925)
    • Rolf (1927)
    • Ernst (1923-2017)
    • Wolfgang (1930-2016)


    Doch bevor wir uns den Einzelpersonen nähern können, müssen wir uns einigen Lügen, Mythen und Versäumnissen stellen, die über die Wehrmacht erzählt werden. So betrachtet Christian Hardinghaus die „Wehrmachtsausstellung“ mit gebotener Distanz. Diese Ausstellung, die zwischen 1995 und 1999 in zahlreichen deutschen und österreichischen Städten gezeigt wurde, räumt mit der „sauberen Wehrmacht“, die an keinen Kriegsverbrechen beteiligt war, auf und schwört dennoch ein falsches Bild der Soldaten herauf. Denn die meisten Soldaten wussten nicht, was in den Vernichtungslagern wie Auschwitz, Bergen-Belsen oder Mauthausen vor sich ging. Die Namen einiger Lager war zwar bekannt, doch hielt man sie für Straflager. Ein kleiner Teil der Wehrmachtsangehörigen war jedoch an Morden an der (jüdischen) Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten direkt oder indirekt beteiligt. Sei, dass sie selbst zum Hinrichtungspeloton gezwungen wurden oder als Logistiker Waffen, Munition oder Nahrungsmittel beschafften.


    Wir begleiten also die jungen Männer quer durch Europa, auf die diversen Kriegsschauplätze von der Normandie bis ins tiefste Russland.


    Jede Geschichte enthält biografische Daten wie Geburtsdatum, Herkunft und Elternhaus. Vor allem das Elternhaus prägt die jungen Soldaten, sei es, dass sie aus tief religiösen, christlichem oder humanistischen Elternhaus stammen oder, dass ein Vater doch bei der SS war. Anschließend lässt Christian Hardinghaus die betagten Männer erzählen. Die furchtbaren Ereignisse kommen wieder aus dem Inneren hervor und lassen den einen oder anderen in Tränen ausbrechen. Die Erzählungen werden - wie die Leser es vom Historiker Hardinghaus gewöhnt sind - in den historischen Kontext eingebettet, so dass der interessierte Leser auch von kaum bekannten Gefechten und Kriegsverbrechen (wie die „Allerseelenschlacht“ oder den „Bromberger Blutsonntag“ oder die Kriegsgefangenenlager der Alliierten wie die „Rheinwiesenlager“) erfährt.


    Anschließend stellt der Autor den ehemaligen Wehrmachtssoldaten jeweils drei Fragen. Eine davon ist jene, ob und was sie von der Shoa gewusst haben. Hier tritt Erstaunliches zu Tage: Die Wehrmacht wurde „künstlich dumm“ gehalten. Die Soldaten haben darüber offiziell nichts erfahren, denn Soldaten durften (erstaunlicherweise) nicht Mitglieder der NSDAP sein. Dass die jüdischen ehemaligen Schulkollegen und Nachbarn verschwunden sind, haben sie eher noch im früheren Zivilleben mitbekommen. Doch, und das ist das Perfide am System und der Propaganda, die hier ganze Arbeit geleistet hat, waren die jungen Männer der Meinung, dass die jüdische Bevölkerung umgesiedelt würde, um die neuen Lebensräume urbar zu machen. Und um näher nachzufragen, hatten sie keine Möglichkeit bzw. mussten sie um ihr eigenes Überleben kämpfen.


    Wir Nachgeborenen dürfen uns nicht vom Wissen von heute verleiten lassen, die Angehörigen der Wehrmacht zu verdammen. Die überwiegende Teil wollte kein Soldat sein, kämpften um das eigene Überleben und sind heute durchwegs Pazifisten.

    Wie sehr die Kriegstraumata auch den aktuellen Alltag beeinflussen, zeigt ein Detail von Rolfs Geschichte, der bei Regenwetter nie sein Haus verlässt. Er hat als junger Kriegsgefangener in einem der Rheinwiesenlager miterleben müssen, wie die völlig entkräfteten, weil von der US-Armee unversorgt gelassenen Gefangenen, in Matsch und Pfützen ertrunken sind. Obwohl Rolf Jahrzehnte lang als Psychiater auch Patienten mit Kriegstraumata behandelt hat, hat erst das Interview zu diesem Buch und die Bemerkung seiner Enkelin „Deshalb gehst du bei Regenwetter nicht aus dem Haus“ aus dem Verborgenen geholt.


    Christian Hardinghaus ist mit diesem Buch ein besonderer Blick auf die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs gelungen. Er rückt einiges zu Recht und gibt den abertausenden Soldaten, die in die Wehrmacht gezwungen wurden, ihre Geschichte zurück. Zahlreiche, zum Teil sehr private Bilder, ergänzen die Berichte.


    Ich muss hier (wieder) den deutschen Schauspieler Michael Degen, der als jüdisches U-Boot den Krieg überlebt hat, zitieren. Er sagt „Nicht alle waren Mörder“. Aber jede Armee hat ihr Kriegsverbrechen.


    Fazit:


    Ein aufwühlendes Buch, dass einen etwas anderen Einblick in die Wehrmacht bietet als die Propagandareden von Goebbels & Co. Das Buch erhält von mir 5 Sterne und die Leser die dringende Empfehlung, es zu lesen und, wenn es noch Verwandte gibt, die diese Gräuel miterlebt haben, einfühlsam zu befragen. Einige warten darauf, sich ihre Last von der Seele reden können.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)