Hermann Franck - Wenn Du dies liest

  • Verlagstext

    In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beschäftigte der Selbstmord von Hermann Franck und der vorangegangene mysteriöse Tod seines fünfzehnjährigen Sohnes Hugo das intellektuelle Europa. Hatten sie Selbstmord begangen oder waren sie eines überraschenden natürlichen Todes gestorben? Das Tagebuch für Hugo ist der bisher unveröffentlichte Bericht über das Aufwachsen des begabten Kindes, das psychologische Dokument zu einem nie restlos aufgeklärten Fall und das herzbewegende Zeugnis einer ungewöhnlichen Vater-Sohn-Beziehung. Andreas Feuchte, ein Nachkomme des Bruders von Hermann Franck, hat das Tagebuch nach der Handschrift nun zum erstenmal herausgegeben. Harmut von Hentig stellt es in seiner Einführung auf eine Stufe mit den zehn bedeutendsten Kindheitsbüchern der Kulturgeschichte, darunter Rousseaus Emile.


    Der Autor

    Hermann Franck, 1802 in Breslau geboren, war Schüler von Hegel und bekannter Literaturkritiker und Schriftsteller. Er starb 1855 in England.


    Inhalt

    Das Tagebuch Hermann Franckhs (*1802) ist Zeugnis einer sehr innigen Beziehung zu seinem begabten Sohn Hugo (*1840) und schildert vermutlich den ersten allein erziehenden Vater überhaupt, zumindest den ersten des 19. Jahrhunderts. Franckhs umfangreiche Aufzeichnungen sind ein wichtiges Dokument der Geschichte und Sozialgeschichte Berlins; denn Franckh war Gesprächspartner Alexander von Humboldts, verkehrte bei Mendelssohns, arbeitete als Autor und Journalist und war nicht zuletzt Zeitgenosse des Vormärz. Franckh heiratete 1838 die Tochter des Prinzen Heinrich von Preußen. Hugo Franckh wurde von seinem Vater erzogen und betrat an seinem ersten Schultag am Gymnasium zum ersten Mal eine Schule. Die Todes-Umstände von Vater und Sohn Franckh konnten nicht aufgeklärt werden. Franckhs akribische Aufzeichnungen geben Einblick in seine Erziehungsziele und den speziell für seinen Sohn entwickelten Bildungskanon.


    Fazit

    Das Buch mag zwar durch seinen Umfang von über 600 Seiten abschrecken, ist jedoch für jeden eine fesselnde Lektüre, der sich für die Geschichte Berlins, für Erziehung, Bildung oder das Vater-Sohn-Verhältnis interessiert.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Ravik Strubel - Blaue Frau

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Ich lese dieses Buch gerade und bin bisher sehr, sehr angetan. Wenn ich's nicht vergesse, werde ich etwas dazu schreiben, sobald ich es beendet habe. Wie schön, dass ich nicht die einzige bin, der das Buch gefällt !

    Umso überraschender, dass du es magst, denn ansonsten scheint unser Geschmack eher sehr unterschiedlich zu sein.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous

  • Ich lese dieses Buch gerade und bin bisher sehr, sehr angetan. Wenn ich's nicht vergesse, werde ich etwas dazu schreiben, sobald ich es beendet habe. Wie schön, dass ich nicht die einzige bin, der das Buch gefällt !

    Umso überraschender, dass du es magst, denn ansonsten scheint unser Geschmack eher sehr unterschiedlich zu sein.

    Nicht möglich! Viel zum Vergleichen gibt dein virtuelles Bücherregal noch nicht her ... :wink:

    Da ich mich schon immer für Kindheit, Bildung, Erziehung, (Frauen-)studium und Lebensumstände von Figuren interessiert habe, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Buch bei mir landet.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Ravik Strubel - Blaue Frau

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Wow, Hartmut von Hentig war der Leiter der Odenwaldschule ? Wusste ich nicht. Vor ein paar Wochen erst habe ich im Fernsehen Die Auserwählten gesehen. Der Film bezieht eindeutig Stellung dahingehend, dass an der Schule über viele Jahre Kinder sexuell missbraucht wurden. Vor allem auch vom Schulleiter. Möglicherweise ist so ein Film zu plakativ. Aber dass die erzählte Geschichte wahr ist, kann man schon glauben.


    Sein Vorwort ist ewig lang, das eigentliche Tagebuch beginnt erst auf Seite 77. Ich habe es trotzdem fast komplett gelesen, weil es sehr gut geschrieben ist. Er betrachtet und beschreibt das Buch in erster Linie als ein Buch der Pädagogik (was ich jetzt, nachdem ich weiß, wer er war, gut verstehe). Und betont, dass es gleichzeitig ein frühes Beispiel dafür ist, dass sich die Fixierung auf das Funktionieren herkömmlicher pädagogischer Institutionen allmählich aufhebt. Seiner Vorstellung nach müsste diese Fixierung ganz abgelöst werden. Und man müsste mit Kindern in der Weise umgehen, dass "man ihnen die eigene Lebenserfahrung mitteilt, ihnen das geschuldete Beispiel für ein gelingendes gutes Leben in einer guten Gesellschaft zu geben sucht."

    Ich merke gerade, dass ich - jetzt wo ich weiß, wer er war - das Vorwort noch einmal lesen muss.

    Ich selbst sehe in dem Buch vor allem den Versuch eines Vaters, dem Sohn den allzu frühen Verlust der Mutter dadurch zu erleichtern, dass er ihm seine eigene Kindheit erzählt.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous

  • Hartmut von Hentig war der Leiter der Bielefelder Laborschule. Gerold Becker, der Leiter der Odenwaldschule, war sein langjähriger Freund und wahrscheinlich auch Lebensgefährte.

    :study: Jutta Aurahs - Katzen :cat:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Dietrich Krusche (Hg.) - Haiku (Reread)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • An das Vorwort kann ich mich nach der langen Zeit nicht mehr erinnern. Wer sich für Schulexperimente interessiert wie von Hentig, wird vermutlich das Homeschooling idealisieren. Hausunterricht war natürlich auch Merkmal einer strikten Klassengesellschaft.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Ravik Strubel - Blaue Frau

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Inhalt


    Am Tag nach der Beerdigung seiner Frau beginnt ein Mann, ein Tagebuch für seinen Sohn zu schreiben. Der Sohn ist erst sieben Jahre alt und soll, wenn er erwachsen ist, anhand der Eintragungen seine Kindheit und das Aufwachsen ohne Mutter erlesen können; begreifen wie er wurde, was er ist, vielleicht Erklärungen und Erkenntnisse darüber gewinnen, was ihm wegen der Abwesenheit der Mutter fehlte und von Gleichaltrigen unterschied.


    Der erste Eintrag ins Tagebuch erfolgt am 10. Dezember 1847.


    Danach schreibt der Vater praktisch täglich und vordergründig geht es immer und ausschließlich um den Sohn, von dem sehr bald deutlich wird, dass er ein überaus begabtes Kind ist, das viele Talente und Neigungen hat, vor allem das Zeichnen. Bis er mit elf Jahren auf ein Gymnasium kommt, wird er größtenteils vom Vater zu Hause unterrichtet. Keine Seltenheit in der Zeit und in den gehobenen bürgerlichen Schichten der beide angehören.


    Das Tagebuch schildert die täglichen Lernfortschritte des Jungen – aber genauso die Rückschläge. Schon bald wird klar, dass der Sohn, Hugo, bei aller Begabung dazu neigt, schusselig, vergesslich, flüchtig und ungenau zu arbeiten. Er besitzt außerdem einen großen Widerspruchsgeist und möchte immer das letzte Wort haben. Keine Maßnahme, die der Vater trifft, kann daran dauerhaft etwas ändern. Beim Eintritt ins Gymnasium verschlimmern sich diese Anzeichen, hinzu kommen Probleme mit Lehrern. Obwohl es den Vater schmerzt, dass Hugo nicht die guten Leistungen erreicht zu denen er fähig wäre, erfreut er sich doch viel mehr daran, dass sein Sohn ausgelassen ist, sportlich, praktisch veranlagt, über Wortwitz, Humor und Familiensinn verfügt.


    Hugo ist die Schule derart zuwider, dass sich sein Vater zunehmend damit abfindet, dass wohl kein Künstler aus ihm werden wird, dass er auch nicht studieren wird. Irgendwann taucht der Berufswunsch „Seemann“ auf, was den Vater erschreckt. Und obwohl er hofft, es möge eine vorübergehende Idee sein, sieht er bald ein, dass Hugo bei der Idee bleibt.


    Wie alle vorangegangenen Wege, will er seinem Sohn auch diesen Weg ebnen. Zu dem Zweck ziehen beide nach England, wo Hugo sechs Vorbereitungsmonate verbringen soll, bevor er als Seekadett auf einem englischen Handelsschiff anheuern kann. Dazu kommt es nicht mehr. Wenige Wochen bevor es soweit ist, sterben beide in einem Hotel in Brighton. Hugo – inzwischen fünfzehn Jahre alt – unter ungeklärten Umständen in seinem Hotelbett. Der Vater in derselben Nacht durch einen Sprung aus dem 3. Stock des Hotels.


    Meine Meinung


    Am Anfang stand die Frage, was soll mir ein Tagebuch sagen, das das Leben zweier Menschen schildert, die seit 170 Jahren tot sind. Jetzt, wo ich es zu Ende gelesen habe, ist die Antwort: Es sagt mir was über Liebe und Treue. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt ein Buch gelesen habe, das mich derart tief berührt hat. Hermann Franck war ein bekannter Schriftsteller der Zeit, der Kontakte zu Wagner, Liszt, Robert Schumann, Chopin hatte. Sein 1847 begonnenes Tagebuch wird oft als ein wichtiger Beitrag zur Pädagogik des 19. Jahrhunderts bezeichnet und genauso bedeutend ist es für die Sozialgeschichte der Zeit.


    Ich fand einen anderen Aspekt wichtiger. Da ist ein Vater, der seiner toten Frau das Versprechen gibt, sein Leben dem gemeinsamen Kind zu widmen und der darüber vereinsamt und depressiv wird. Ein Mann, der sein Leben und seine Karriere in den Hintergrund rückt, um immer für das Kind da zu sein und seinem Leben die besten Chancen zu bereiten. Es entsteht daraus ein sehr enges Vater-Sohn Verhältnis, das ihnen beiden irgendwann immer weniger Raum lässt. Das kommt in den Einträgen im Buch jedoch nicht zur Sprache. Im Gegenteil, das Freudige, Angenehme, Liebevolle in der Beziehung zueinander wird ständig vom Vater betont, aber es gibt leise Zwischentöne, die das unterschwellig vorhandene Aggressionspotential verraten. Vor allem vom Sohn ausgehend auf den Vater gerichtet. Die ständige Nähe, das viele Alleinsein miteinander – vor allem in der Pubertät findet Hugo keine Handlung oder Worte, sich dagegen zu wehren. Nur hin und wieder, wenn er über die Maßen frech zu sein scheint, erkennt man als Leser, was in ihm vorgehen muss. Das Tragische an diesem Verhältnis ist, dass der Vater, der vom ersten Tag an geschworen hat, nichts in das Buch zu schreiben, das nicht zu hundert Prozent wahr ist, sich darüber so sehr irrt. Denn das, was seiner Ansicht nach die Wahrheit ist, die er niederschreibt, ist irgendwann nur noch Schein. Die Beziehung verändert sich umso stärker, je älter Hugo wird. Und obwohl der Vater ohne Unterbrechung die Nähe betont, merkt man an kleinen Äußerungen, wie weit sich das Kind schon entfernt hat. Hermann Franck deutet in den Einträgen einige Male an, dass er zu schwermütiger Stimmung neigt, aber aus seinen Handlungen ab einer bestimmten Zeit kann man auf Depressionen schließen mit denen er ganz allein ist. Der mysteriöse Tod von Vater und Sohn in dem Hotel in Brighton hat allen Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Unmittelbar nach den Ereignissen war man sich ziemlich einig, dass der Vater den Sohn erwürgt und sich dann aus dem Fenster gestürzt hat. Nachdem das Tagebuch gefunden war, drehte sich die Meinung dahingehend, dass ein so liebevoller Vater, wie er im Tagebuch erscheint, niemals seinen innig geliebten Sohn umbringen würde.


    Meine eigene Interpretation ist die, dass der Vater schon lange nicht mehr zwischen sich und seinem Sohn unterscheiden konnte, dass es ein erweiterter Selbstmord war.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous