Franziska Hauser - Die Glasschwestern

  • Klappentext/Verlagstext

    Dunja lebt mit ihren zwei Kindern und deren Vater in der Großstadt, ihre Zwillingsschwester Saphie in einem kleinen Dorf an der ehemals deutsch-deutschen Grenze. Als der Zufall auf irrwitzige Weise zuschlägt und innerhalb kurzer Zeit die Männer der beiden sterben, nähern die Schwestern sich einander wieder an. Dunja zieht in Saphies Hotel und damit zurück in die Welt ihrer Kindheit. Die Geschichte zweier sehr verschiedener Frauen und über die menschliche Fähigkeit, sich immer wieder neu erfinden zu können.

    Ein Generationenroman aus dem ehemaligen Grenzgebiet, der alte Geschichten, Geheimnisse und Lügen zutage fördert und gleichsam ein Vergeben der Vergangenheit und Annehmen der Gegenwart ermöglicht.


    Die Autorin

    Franziska Hauser, geboren 1975 in Pankow/Ostberlin, hat zwei Kinder. Sie studierte Fotografie an der Ostkreuzschule bei Arno Fischer und ist Autorin. Ihr Debütroman Sommerdreieck erhielt den Debütantenpreis der lit.COLOGNE und stand auf der Shortlist des aspekte-Literaturpreises. Ihr zweiter Roman „Die Gewitterschwimmerin war“ für den Deutschen Buchpreis 2018 nominiert.


    Inhalt

    Dunja und Saphie Lenzing sind Zwillingsschwestern, die in der Pubertät entdeckten, dass ihnen ihre Verschiedenheit viel bedeutet. Saphie wurde in ein Familienhotel geheiratet, noch ehe sie wusste, was sie selbst wollte. Dunja wurde jung von Winne schwanger, der sein Leben lebte, unangefochten von Frau und Kindern. Nun sind die Schwestern überraschend verwitwet und mit einem Neuanfang konfrontiert, Saphie ist kinderlos und Dunja hat beinahe erwachsene Kinder. Die dritte Schwester Lenka, fast 10 Jahre jünger als die Zwillinge, wollte schon immer ein außergewöhnliches Leben führen und schlug stets den komplizierteren Weg ein. Für Dunja bedeutet der Tod ihres Ex-Partners eine Auseinandersetzung mit ihrer Trennung von Winne – und warum sie sich die meiste Zeit allein für die Kinder zuständig fühlte, während er sich im Beruf als Restaurator weiterentwickelte. Saphie ist bereits länger in Therapie und muss entscheiden, wie sie sich vom Hotel abnabeln kann, das sie bisher wie ein treuer Hütehund unter ihrem Schutz hatte. Dunjas erwachsene Kinder erben vom Vater einen alten, noch nicht fertig renovierten Bahnhof, der die Frage aufwirft, wo und wie sie zukünftig leben wollen. Kurz vor dem 40. Geburtstag der Schwestern zwingt ihr Heimatort nahe der ehemaligen DDR-Grenze sie zur Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte und der passiven Haltung, mit der ihnen bisher ihr Leben geschehen ist.


    Mit ihren ungewöhnlichen Vornamen repräsentieren die Zwillingsschwestern den Wunsch ihrer Mutter, sich von den Dorfbewohnern abzuheben, wie auch die Sehnsucht nach der unerreichbaren Welt außerhalb der DDR. Bis heute verläuft im Ort ein Graben quer durch die Bewohner zwischen Eingesessenen, die die unausgesprochenen Normen festlegen, und „den anderen“. Schritt für Schritt wird die Geschichte des Vaters Lenzing aufgeblättert, der als Glasbläser nur „schwarz“ außerhalb der sozialistischen Planwirtschaft seine Ideen verwirklichen konnte, und einer verrückten Flucht-Idee, die er in der DDR-Zeit angeblich mit Nachbar Bernd erdacht haben soll.


    Fazit

    Bis zur Hälfte des Romans hatten sich mir zu den Figuren und den beruflichen Perspektiven in ihrer alten Heimat mehr Fragen gestellt, als ich Antworten entdecken konnte. Trotz der überschaubaren Kernfamilie aus weniger als 10 Personen fiel z. B. die Figur der jüngeren Schwester Lenka recht blass aus. In der zweiten Hälfte entpuppt sich das Schicksal der Schwestern, die bisher noch nie für sich entschieden hatten, doch noch zu einer humorvollen deutsch-deutschen Geschichte.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Weber - Bannmeilen (Paris)

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

    Die beiden Zwillingsschwestern Saphie und Dunja verlieren am selben Tag ihre Ehemänner. Der eine fällt vom Gerüst in den Tod, der andere kippt vom Fitnessrad. Besonders traurig scheinen die beiden allerdings zunächst nicht zu sein. Dunja, deren toter Ehemann ohnehin ihr Ex war, den sie oft wie ein drittes Kind empfand, zieht weg aus der Stadt und zu ihrer Schwester aufs Land, wo diese ein Hotel betreibt. Saphie war bisher immer die Zupackendere der beiden, jetzt verkehren sich die Rollen und Dunja übernimmt immer mehr die Leitung des Hotels, während Saphie eine Auszeit nimmt. Auch die Jüngste der drei Schwestern, Lenka, erscheint im Hotel und bringt einiges durcheinander, nicht zuletzt das Gefühlsleben ihres Neffen Jules.


    Der Leser erfährt bruchstückhaft von einem Tunnel, der zu DDR-Zeiten angeblich vom Vater der Zwillinge gebaut wurde. Hier wird viel Geheimniskrämerei betrieben, doch wer auf eine befriedigende Auflösung hofft, wird enttäuscht.


    Außerdem erscheint seltsamerweise beiden Zwillingen im Traum ein gläserner Mensch, welche Bedeutung diesem zukommt, muss der Leser schlussendlich auch für sich selbst entscheiden.


    Obwohl das Buch auf über 400 Seiten viel über Dunjas und Saphies Leben, ihre Erfahrungen und Gefühle erzählt, bleiben mir die beiden fremd, ja, sie wurden mir sogar zunehmend unsympathisch. Es ist nicht gerade nett und entspricht auch nicht meinem Humor, wenn Touristen als lachhafte, debile Gestalten und ältere Gäste als Kaffee-Sabber-Rentner beschrieben werden.


    Es gab durchaus Passagen, die ich gern gelesen habe, aber im Großen und Ganzen überwiegen bei mir Enttäuschung und Frust, denn aufgrund der Leseprobe hatte ich mehr Handlung und weniger Nabelschau erwartet. Vieles wird angerissen, aber nicht zu Ende geführt. Es ist ein Buch über Vergangenes und Neuanfänge, doch der Zauber dieser Neuanfänge hat sich mir nicht erschlossen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bei diesem Roman bis zum Ende durchgehalten hätte, wenn ich nicht Teil einer Leserunde gewesen wäre. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Während die 39-jährige Dunja Lenzing mit ihren Kindern Jules und Augusta in der Großstadt lebt und dort Deutschkurse gibt, ist ihre Zwillingsschwester Saphie in einem Hotel in einem thüringischen Dorf an der ehemals deutsch-deutschen Grenze heimisch. Dann schlägt der Zufall auf irrwitzige Weise zu: An ein und demselben Tag sterben ihre langjährigen Lebenspartner. Restaurator Winne, der Vater von Jules und Augusta, kommt bei einem Sturz ums Leben. Hotelchef Gilbhart stirbt durch einen Schlaganfall. Obwohl sich Dunja bereits von Winne getrennt hatte und der alkoholabhängige Gilbhart es Saphie zuletzt schwergemacht hat, leiden die beiden Schwestern unter dem Verlust und nähern sich einander wieder an. Dunja entscheidet sich, in Saphies Hotel zu ziehen und somit in die Heimat ihrer Kindheit zurückzukehren. Dort werden beide mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.


    „Die Glasschwestern“ ist ein Roman von Franziska Hauser.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus 40 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Jedes ist mit einem anderen Sprichwort überschrieben – eine sehr schöne Idee. Erzählt wird im Präsens zunächst nur aus der Sicht von Dunja, später auch aus der von Saphie. Der Roman ist chronologisch aufgebaut, aber es gibt immer wieder kurze Rückblenden in die Vergangenheit in Form von Erinnerungen. Der Aufbau ist sehr durchdacht und funktioniert gut.


    Auch in sprachlicher Hinsicht hat mir der Roman sehr gut gefallen, denn sein Stil ist besonders. Ungewöhnliche Bilder und Vergleiche konnten mich begeistern. Dabei wirkt der Schreibstil eindringlich und stellenweise poetisch, aber nicht blumig oder gekünstelt. Der Roman ist unaufgeregt und atmosphärisch recht dicht.


    Die zu Beginn ziemlich unterschiedlichen Zwillingsschwestern, die ich als interessante Charaktere empfunden habe, stehen im Vordergrund. Beide machen eine Entwicklung durch. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr gut deutlich. Allerdings habe ich mit den meisten Figuren zunächst gefremdelt, denn viele der Personen erscheinen etwas seltsam. Dazu passen die ausgefallenen Namen in der Geschichte, die nicht nur die Protagonisten, sondern auch einige der Nebenfiguren tragen.


    Die Handlung braucht ein wenig, um Fahrt aufzunehmen. Dennoch konnte mich die Geschichte von Anfang an fesseln. Zwischendurch gibt es auf den mehr als 400 Seiten zwar einige kleinere Längen. Im Großen und Ganzen bleibt die Geschichte aber abwechslungsreich und unterhaltsam.


    Inhaltlich ist der Roman sehr vielschichtig. Es geht um die Zeit vor der Wende und die Vergangenheit der Protagonisten, um Tod und Trauer, um wichtige Entscheidungen und die Suche nach einem neuen Sinn im Leben. Zugleich ist es aber auch eine Familiengeschichte und ein Generationen umfassender Roman, der Geheimnisse und Lügen beinhaltet. Eine Lektüre, die Fragen aufwirft und dazu einlädt, das Buch immer wieder zur Seite zu legen, um eigenen Gedanken nachzuhängen.


    Toll finde ich auch das ansprechende Cover, denn es greift die melancholische Stimmung der Geschichte auf und symbolisiert durch die Spiegelung die Zwillingsschwestern. Auch der Titel, der sich schon nach wenigen Kapiteln erklärt, aber auch mehrdeutig interpretiert werden kann, passt sehr gut.


    Mein Fazit:

    Mit „Die Glasschwestern“ ist Franziska Hauser ein ungewöhnlicher, komplexer Roman gelungen, der mich sprachlich beeindrucken konnte. Das lesenswerte Buch ist nicht nur unterhaltsam, sondern bietet auch eine Menge Denkimpulse.


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