Markus Orths - Picknick im Dunkeln

  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Raffinierter und süffisant-philosophischer hypothetischer Dialog zwischen zwei ungleichen Charakteren
  • Mehr als ein Roman


    Ich zögere, dieses Buch als einen „Roman“ zu bezeichnen. Das würdigt in meinen Augen irgendwie seine Bedeutung herab. Dies ist kein reines Stück Unterhaltung – obwohl die enthaltenen Gedanken sicherlich auch in weiten Teilen unterhaltend sind. Es ist aber auch keine geradlinige „Geschichte“, die einen klaren Anfang und ein klares Ende hätte. Für mich ist es eine Parabel, philosophisch und äußerst humorvoll ausgestattet, die zwei gar nicht so gegensätzliche Charaktere in einer Extremsituation zusammenbringt, um beide daran reifen zu lassen.


    Der Rahmen ist denkbar einfach erzählt. Das Buch stellt im Grunde ein Gedankenexperiment dar. Stan Laurel, der bekannte Komiker, und Thomas von Aquin, der mittelalterliche Denker, treffen in einem dunklen, bedeutungsschwangeren, zeitlosen Korridor aufeinander. Nur langsam geraten sie ins Gespräch. Sie versuchen, einen Sinn zu finden in ihrer prekären Situation. Und sie versuchen, 700 Jahre Zeitgeschichte zu überbrücken, was sich als unerwartet diffizil herausstellt. Letztlich nähern sich beide an, und lernen voneinander, bevor… doch das zu verraten, wäre schändlich. Das Ende des Buches ist wunderbar, und regt zum Nachdenken an! Ganz eindeutig ist es übrigens nicht.


    Der Autor Markus Orths hat fantastisch recherchiert. So ganz nebenbei, neben den Gesprächen der beiden Gestrandeten, lernen wir viel über ihr Leben. Stan erinnert sich an seine Freundschaft mit Ollie, und warum und wie es ihm stets ein Anliegen war, die Menschen zum Lachen zu bringen. Wie er durch Zufälle und Misserfolge schließlich zu seiner endgültigen „Form“ fand. Thomas von Aquin hat einen ebenso steinigen Weg hinter sich. Von der Familie wurde er monatelang eingesperrt, um seinem religiösen Wahn, Dominikaner zu werden, abzuschwören und bitteschön endlich Benediktiner-Abt zu werden.


    Weiterhin nutzt der Autor geschickt die Möglichkeit, durch eine 700 Jahre alte „Brille“ dezent Kritik an unserer Zivilisation zu treiben. Thomas will es partout nicht einleuchten, wie die heutigen Menschen ihre Freizeit verbringen, was „Filme“ eigentlich sollen, was Sport bedeutet, und und und. Auf unaufdringliche Weise lässt er Thomas von Aquin Werbung für den Glauben machen – bzw. selbst als neutraler Leser bekommt man eine Ahnung davon, was es bedeutet, von einer fundamentalen Gewissheit getragen zu werden.


    Die Sprache ist dabei so gehaltvoll, aber auch schön und lustig, dass man das Buch eigentlich zweimal lesen muss, um alle „Perlen am Wegesrande“ aufzulesen! Manche Formulierungen möchte man sich sofort abschreiben!


    Das Buch beginnt zwar mit Stan, und wird überwiegend aus seiner Perspektive erzählt. Dennoch vermeidet der Autor die Falle, dem Leser die alleinige Identifikation mit dem Komiker aufzudrängen. Man entwickelt Empathie für beide Charaktere, und fühlt sich in deren Situation ein. Was bedeutet die ständige Dunkelheit? Hat der Tunnel einen Ausgang? Und was wartet am Ende? So wird das Buch letztlich zu einem Sinnbild für das eigene Leben – und auch Sterben.


    Mir hat es ganz wunderbar gefallen – eines der Bücher, bei denen ich am Ende traurig war, es wieder verlassen zu müssen. An Leser ganz ohne philosophische Vorkenntnisse würde ich es vielleicht nicht empfehlen – auch nicht an solche, die schnelle Unterhaltung suchen. Doch als Leser, der bereit ist, nach Gold zu schürfen und mitzudenken, ist man hier richtig.

    "Ein Mensch, der Ideale hat/
    Der hüte sich, sie zu erreichen!/
    Sonst wird er eines Tags anstatt/
    Sich selber andern Menschen gleichen."
    (Erich Kästner) :):)