Friedrich Chr. Delius - Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus

  • Kurzbeschreibung:
    In der Mitte seines Lebens, im Sommer 1981, beschließt der Kellner Paul Gompitz aus Rostock, nach Syrakus auf der Insel Sizilien zu reisen. Der Weg nach Italien ist versperrt durch die höchste und ärgerlichste Grenze der Welt, und Gompitz ahnt noch keine List, sie zu durchbrechen. Er weiß nur, daß er die Mauern und Drähte zweimal zu überwinden hat, denn er will, wenn das Abenteuer gelingen sollte, auf jeden Fall nach Rostock zurückkehren. So beginnt F. C. Delius? Chronik eines ungewöhnlichen, schweijkschen Abenteuers aus unserer Zeit.
    Nach siebenjähriger Vorbereitung gelingt es dem Kellner im Juni 1988, mit einer Jolle von Hiddensee aus die Seegrenze der DDR zu überqueren und nach Gedser in Dänemark zu segeln - ein "einfacher Grenzdurchbruch", wie Gompitz meint, Vergehen gegen § 213 Abs. 1, weil nicht in Gruppe und nicht unter Mitführung gefährlicher Gegenstände bewerkstelligt und auch keine Grenzanlagen beschädigt wurden. Delius erzählt von der Mühsal der Vorbereitungen, von der Hartnäckigkeit, wie Gompitz das Segeln lernte, sein Boot tarnte, auf tragikomische Weise versuchte, Geld in den Westen zu schaffen, wie er gegen jede Gefahr eine List fand, immer etwas schlauer als die Staatssicherheit, alles ohne Mitwisser. Einfach auf sein Recht auf eine Bildungs- und Pilgerreise pochend, auf den Spuren Johann Gottfried Seumes, dessen "Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802" er seit Jugendzeiten im Kopf hat, von Triest über Terni und Rom bis zum Ziel seiner Reise, Syrakus. Doch zunehmend, wir schreiben Oktober 1988, ein Jahr vor dem Fall der Mauer, irritiert ihn die Frage: "Wie kommst du am besten wieder zurück?" - und er schafft auch das mit List und Tücke.


    Meine Meinung:
    Von dem Buch hatte ich mir eine Reisebeschreibung erhofft, die aber (sicher auch wegen der Dünne des Buches) arg vernachlässigt wird.
    Dennoch ist die Geschichte unterhaltsam und interessant zu lesen. Auch ohne die Verhältnisse in der damaligen DDR zu kennen, erhält man einen -wie ich denke- recht realistischen Eindruck über das Leben dort.
    Ein lesenswertes Buch, das bestätigt, dass die Weide auf der anderen Seite des Zaunes fast immer schöner aussieht, als auf der eigenen :wink:

    Liebe Grüße,
    Rita


    ~Ich wäre lieber ein armer Mann in einer Dachkammer voller Bücher als ein König, der nicht lesen mag.~
    Thomas Babington

  • Uiuiui, zwölf Jahre alt diese Buchvorstellung und so wenig beachtet. Dabei hat Rita eine wirklich gute Zusammenfassung gegeben, auch wenn es sicherlich nicht die von ihr erhoffte Reisebeschreibung war.
    Ich hingegen hatte eher eine Befürchtung: ein DDR-Flüchtlingsroman, geschrieben von einem „Wessi“ in den 1990ern? Steckt die Erzählung nicht voller Klischees? Jemand, der den Alltag in der DDR gar nicht selbst erlebt hat, beschreibt nun die alltäglichen Gefahren, wenn ein Kellner sieben Jahre lang die Flucht plant? Aber F. C. Delius, 1943 in Rom geboren, hat in der Vergangenheit zahlreiche Romane zur jüngeren deutschen Geschichte geschrieben, die sehr gut recherchiert sind. Und auch diesmal hat er das meines Erachtens prima hinbekommen, denn die Erzählung ist keine reine Fiktion. Tatsächlich basiert die Geschichte auf einer wahren Begebenheit, denn 1988 ist Klaus Müller mit einer Segeljolle für ein paar Wochen aus der DDR geflüchtet, um die ihm immer wieder verwehrte Bildungsreise nach Italien durchzuführen, und ist anschliessend wieder nach Rostock heimgereist.
    Und so las ich eine abenteuerliche, kurzweilige Erzählung, in der jemand mehrere Jahre Gefängnis in Kauf nimmt, um sich einen Kindheitstraum zu erfüllen. Im Westen, zunächst in Dänemark, dann Deutschland und schliesslich in Italien angekommen, schreibt er seine Erlebnisse in Briefen nach Hause. Landschaftlich schön, aber teuer alles, und wenig sozialer Zusammenhalt angesichts der Obdachlosen in den Strassen. Mit seinem Fall überforderte, aber freundlichere Behörden... Klingt nun doch etwas klischeehaft, und neue Erkenntnisse muss man bei der Lektüre nicht erwarten, aber unterhaltsam und amüsant war die eigentlich unglaubliche Geschichte auf jeden Fall.

  • Original: Deutsch, 1995


    INHALT:

    F.C. Delius erzählt die spannende und komische Geschichte eines kritischen DDR-Bürgers, der einmal etwas von der Welt sehen wollte, Italien sehen, um dann heimzukehren - und dem es gelang, so wie Schwejk oder der Hauptmann von Köpenick Großes gelungen ist.

    "Die tragikomische Geschichte seines Helden, der reisen wollte, um bleiben zu können ... Es geht um den - auch skurrilen - Behauptungswillen von Sehnsüchten gegen alle gesellschaftliche und staatliche Bevormundung" (Rhein-Neckar-Zeitung)

    (Quelle: Klappentext)


    BEMERKUNGEN:

    Das historische Vorbild des Johann Gottfried Seume und seines Spazierganges nach Syrakus im Jahre 1802 ist sehr präsent. Unser Paul Gompitz ist schon ein sehr gebildete Bürger,Zudem weisen Beruf und Geldmittel auf eine doch fast schon aussergewöhnliche Situation hin. Er hat sich in den Kopf gesetzt hat, einmal nach Syrakus zu kommen. Und das von einem Land aus, das, eigentlich Reisen nahezu unmöglich machte. Dabei geht es ihm eben nicht um Flucht, sondern ums Reisen selbst, um die Traumerfüllung, und durch diese dann eben “hierbleiben” zu können.


    Amüsant ist sicherlich in dem Zusammenhang das Wort “Spaziergang”. War es wohl schon bei Seume ein Riesending, soviele Tausend Kilometer zu Fuss zu gehen (und wohl kein leichthin gemachter Spaziergang?), so steht auch unser Paul vor nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten. Welche Hartnäckigkeit, welch langen Atem muss man doch haben, um über sieben Jahre solch einen Plan durchzuziehen und vorzubereiten! Und die Grenzüberwindung ist das eine Problem, die westdeutschen Behörden und gewisse Kategorisierungen das andere. Oder auch seine ja uninformierte Frau, die ihn drängt, die Reise abzukürzen. Und dann der Wille, ja auch wieder heimzukehren, wenn(s geht ohne ellenlangen Gefängnisaufenthalt… Ist man hier und da eben Ossi mit Westträumen? Erst in Italien -interessante Erfahrung – wird er zum “Deutschen”, ganz einfach.


    Gerne hole ich den Fred nochmals hoch (ich entdeckte ihn erst spät, als ich meine Gedanken schon nahezu geschrieben hatte).


    AUTOR:

    Friedrich Christian Delius, geboren 1943 in Rom (wo sein Vater Pfarrer war), gestorben 2022 in Berlin, war das älteste von vier Geschwistern und wuchs in Hessen auf und lebte seit 1963 in Berlin. Das Abitur erlangte er 1963 an der Alten Landesschule in Korbach.

    Von 1963 bis 1970 studierte er Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin sowie an der Technischen Universität Berlin, wo er bei Walter Höllerer 1971 mit der Dissertation Der Held und sein Wetter zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. Von 1970 bis 1973 arbeitete er als Lektor im Verlag Klaus Wagenbach, von 1973 bis 1978 in derselben Funktion im Rotbuch Verlag. Ab 1978 war er freier Schriftsteller.

    Delius wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis, dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Georg-Büchner-Preis geehrt. Seine Werkausgabe im Rowohlt Taschenbuch Verlag umfasst derzeit einundzwanzig Bände.

    (Quelle: und mehr bei wikipedia)


    ASIN ‏ : ‎ 3499259931

    Publisher ‏ : ‎ Rowohlt Taschenbuch; 7. Auflage, Neuausgabe (1 Feb. 2013)

    Language ‏ : ‎ German

    Pocket Book ‏ : ‎ 160 pages

    ISBN-10 ‏ : ‎ 9783499259937

    ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3499259937

    Dimensions ‏ : ‎ 11.5 x 1.06 x 19 cm

  • Das historische Vorbild erschien in vielen Fassungen!


    Johann Gottfried Seume - Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802


    Ein Mann verwirklicht seinen Lebenstraum: Er reist von Grimma bei Leipzig nach Syrakus in Sizilien – und wieder zurück. Johann Gottfried Seumes Bericht seiner neunmonatigen Wanderschaft machte den Autor über Nacht berühmt und ist bis heute so populär wie Goethes Italienische Reise. Eher unpolitisch gestimmt, wandert Seume los, will seine Stubenhockerei als Lektor aufgeben und eine unglückliche Liebesgeschichte vergessen, doch im Verlauf der Reise wird er zum Italienbegeisterten. Was er gesehen und erlebt hat, hält er in seinen kurzweiligen und unterhaltsamen Aufzeichnungen fest. Dabei sind ihm die zeitgenössische Politik und Kultur und vor allem die Menschen, denen er unterwegs begegnet ist, wichtiger als jede Bildungsschwärmerei.


    ASIN ‏ : ‎ 3458351833

    Publisher ‏ : ‎ Insel Verlag; 6th edition (22 Feb. 2010)

    Language ‏ : ‎ German

    Paperback ‏ : ‎ 489 pages

    ISBN-10 ‏ : ‎ 9783458351832

    ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3458351832

    Dimensions ‏ : ‎ 10.8 x 2.5 x 17.6 cm

  • Julia Trefzer - Vergleich der Werke: Johann Gottfried Seumes "Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802" mit Friedrich Christian Delius "Spaziergang von Rostock nach Syrakus"


    Studienarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Universität Karlsruhe (TH) (Literaturwissenschaft), Veranstaltung: Das Mittelmeer in deutschen und europäischen Texten, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Mittelmeerraum hört nicht auf, sich selbst zu erzählen und sich selbst zu erneuern. Unzählige Landschaften und sämtliche Zivilisationen treffen aufeinander. Dort zu reisen heißt, auf römische und prähistorische Lebensbereiche zu treffen. Denn schon immer ist das Mittelmeer Schnittpunkt verschiedener Welten. Die Bildungsreisenden im 18. Jahrhundert brachen vorwiegend nach Italien auf, um die Faszination eines „besseren Landes“, indem Schönheit und Freiheit sich als zusammengehörig erweisen, zu erfahren und sich in die fremde Welt einzuleben. Johann Gottfried Seumes Blick auf Italien ist von Anfang an entgegengesetzt orientiert. Er beharrt auf seiner deutschen Andersartigkeit. Für ihn stellt sein Spaziergang keine Seelen-Kur dar, wie das Rom-Erlebnis für Goethe, sondern es geht ihm um eine Bestandsaufnahme durch einen kritischen Blick. In seinem Reisebericht Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 läuft er zu Fuß fast 6000 Kilometer von Rostock zu seinem Ziel Syrakus. Nicht, der Kunst oder der Sehenswürdigkeiten willen, sondern um sich selbst und der Menschen willen. Seine Wanderung quer durch ungesicherte, mitunter auch weglose Gegenden, ist eine „modern“ anmutende Mischung von Abenteuerlust, physischer Grenzerfahrung, radikalem Aufbruch ins Ungewisse und Flucht aus der gewohnten Umwelt, in der nicht immer leicht Fuß zu fassen ist. Diese Obsession kann ansteckend sein. Zwei Jahrhunderte später ist Seume für viele Menschen wieder aktuell, beispielsweise als Wanderer und kritischer Reiseschreiber. Und er erregt unsere Neugier, schon weil der unangepasste Querdenker in kein gängiges Klischee passt

    Genau diese Reise aktualisiert Friedrich Christian Delius und zwar zu DDR-Zeiten. Er erzählt die Geschichte eines DDR-Bürgers, dessen größter Traum es ist, auf Seumes Spuren den Spaziergang von Rostock nach Syrakus nachzulaufen. Er bereitet ihn sieben Jahre lang vor, bis ihm kurz vor der Wende die abenteuerliche Flucht im Segelboot tatsächlich gelingt.

    Im Hauptteil der Arbeit widme ich mich Seumes Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Welche Motivation hinter Seumes Reise steckt und worin sich seine Kulturauffassung von all den anderen unterscheidet, werde ich näher beleuchten. Warum läuft er gerade zu Fuß, wo es doch zu seiner Zeit schon einige bequemere Fortbewegungsmittel gab? Was bedeutet die mediterrane Welt in ihrem Ursprung und was ist sie jetzt? Und inwiefern unterscheidet sich Seumes Reise von den herkömmlichen Bildungsreisen?

    (Quelle: amaz.)