Band 3 und Abschluss der Scythe Reihe
Neal Shusterman hat hier eine Zukunftsversion erschaffen, die einerseits viele gesellschaftliche Probleme löst, andererseits aber natürlich auch eine Kehrseite hat, eine, bei der Menschen andere Menschen töten müssen: mit dem Segen des Systems.
Denn in dieser Zukunft ist die Sterblichkeit Geschichte. Die Weiterentwicklung der Technik hat es möglich gemacht, mittels Naniten im menschlichen Körper bei Krankheiten gegenzusteuern und ältere Menschen in jüngere zu "resetten".
Die Wirtschaft und Umwelt wird perfekt überwacht und geleitet vom Thunderhead. Er ist ein unerschöpflicher Wissenspool, der sich aus der Cloud entwickelt und eine Art Bewusstsein erreicht hat. Ein neutraler, unkorrumpierbarer Lenker, der aber auch über Empathie und Mitgefühl verfügt.
Durch ihn werden alle Ressourcen perfekt abgestimmt und das Leben ist für viele ein Paradies.
Das Problem: Die Überbevölkerung.
Kein Sterben heißt eben auch überdimensionales Wachstum, was die Scythe auf den Plan ruft. Diese sogenannte Elite ist dafür zuständig, dieses Wachstum einzuschränken und Menschen zu töten. Sie unterliegen strengen Richtlinien, dürfen aber in deren Rahmen selbst entscheiden, wen sie "nachlesen".
Der Thunderhead und die Scythe sind streng getrennt und dürfen keinerlei Kontakt miteinander haben oder in das Wirken des anderen eingreifen.
Soviel zum Grundgerüst der Handlung was ich schon eine sehr originelle und geniale Idee finde!
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Ich war so mega gespannt auf den Abschluss dieser Reihe und vor allem, wie Neal Shusterman dieses mega geniale Zukunftskonstrukt enden lassen wird.
Die Handlung steigt drei Jahre später nach dem verheerenden Unglück vom Ende des zweiten Bandes ein, während die Entwicklung, die in dieser Zeit fortgeschritten ist, in Rückblicken erzählt wird.
Nachdem das System 200 Jahre funktioniert hat, brechen alte Muster und neue Reformen bilden sich heraus, auf die der Thunderhead mit rigoroser Vehemenz reagiert. Seine Rolle fand ich von Anfang an ziemlich genial - er kommt der Vorstellung eines Gottes sehr nahe, denn er ist gerecht, verzeihend, aber auch konsequent in all seinen Handlungen und hat dabei jeden Einzelnen, aber auch das große Ganze im Blick.
Vor allem der konrete Hinweis, dass man als Mensch nicht alles verzeihen kann, aber dennoch verstehen, fand ich hier besonders schön.
Die Mächtigen im Scythetum allerdings demonstrieren den Machthunger der Menschen und den Glauben, die natürliche Ordnung unterwerfen und kontrollieren zu können. Die "Nachlese", also das Töten von Menschen, nimmt ungute Formen an, denn Ethik und Moral werden außer Kraft gesetzt und die Willkür weicht einer gezielten "Auslese".
Außerdem wird die Sekte der "Tonisten" immer aktiver und stellt mir ihrem neuen "Toll", eine Art Heilbringer des Glaubens, eine Gefahr für die Winkelzüge der Scythes dar.
Auszüge aus späteren schriftlichen Berichten werden zwischendurch kurz "eingeblendet" und auch die verschiedenen Deutungen, die sich daraus ergeben.
Überhaupt werden immer wieder Auszüge aus verschiedenen Edikten und ähnliches eingestreut, die zum Verständnis sämtlicher Entwicklungen beisteuern. Das hat der Autor auch schon in seiner Vollendet Reihe gemacht und das finde ich ein ziemlich gutes Mittel, was der Geschichte noch mehr Dynamik verleiht.
Besonders spannend finde ich hier auch das uneingeschränkte Vertrauen in die Technik, die die Menschen entwickelt haben. Der Thunderhead gilt ja als unfehlbar und durch die Gewohnheit, von ihm unterstützt und gelenkt zu werden, ist das Vertrauen in das eigenhändige Handeln und damit verbundene Fehler bei einigen zum großen Teil verloren gegangen. Damit auch das Verständnis, dass sich eine Weiterentwicklung an sich ja erst ergibt, wenn man Fehler macht und daraus lernt!
Insgesamt fand ich es deshalb wieder perfekt aufgebaut und sehr spannend, da die Perspektiven immer wieder wechseln und man somit alle Konflikte an allen Fronten direkt miterlebt. Der große Plan, der sich schon angekündigt hat, und der jetzt immer größere Formen annimmt, hat mich sehr überrascht und deckt auch gleichzeitig einige vergrabene Missstände und Täuschungen auf, auf die das System sich bisher gestützt hatte.
Neal Shusterman geht sehr schön ins Detail, was auch die Beziehungen der Menschen untereinander betrifft, ohne zu ausschweifend zu werden und stellt eher die Handlungen und Konsequenzen in den Mittelpunkt, was das Überleben und die Form der Gesellschaft betrifft.
"Menschen sind wie Gefäße", hatte Jeri zu ihr gesagt.
"Sie nehmen das auf, was in sie hineingeschüttet wird." Seite 425
Mich konnte der Abschlussband jedenfalls vollauf begeistern, denn die philosophischen und moralischen Fragen, die hier auf allen Ebenen mitschwingen, werden nicht aufdringlich gestellt, sondern schwingen immer wieder zwischen den Zeilen mit, während man spannende Momente erlebt und ein großes Finale, das ein sehr gelungenes Ende findet.
Mein Fazit: 5 Sterne