Roy Jacobsen - Die Unsichtbaren / De usynlige

  • Kurzmeinung

    mapefue
    Anspruchsvolle Prosa für anspruchsvolle Leser
  • Kurzmeinung

    anemone75
    Leben, Überleben, Arbeitsabläufe, Alltag auf einer Nordnorwegischen Insel. Detailgenau, dicht, eindrücklich, atemberaube
  • So muss es gewesen sein - vor über 100 Jahren. Im Norden Norwegens auf einer kleinen Insel Barrøy. Inselleben. Eine einzige Familie. Fern ab vom Festland. Für dieses sind die Inselbewohner Exoten. Sprödheit der Insel – Sprödheit der Menschen. Es beginnt die Geschichte der Ingrid Marie Barrøy, einem dreijährigen Mädchen.

    Das Leben auf der Insel wird durch Ebbe und Flut, von Wind und Wetter und den Jahreszeiten bestimmt. Vom Älterwerden, vom Geborenwerden und Sterben. Die Familie wird auf natürliche Weise dezimiert und auf unerwartete vermehrt. Es werden Tote und Halbtote an die Küste gespült. Ein halbtoter russischer Flüchtling erholt sich ganz gut – Ingrid wird nach neun Monaten eine Tochter Kaja zur Welt bringen. Der Russe entpuppt sich als Alexander Michailowitsch Nischnikow und die Suche nach ihm wird zum Auslöser einer alptraumhaften „Rundreise“ durch Norwegen und Schweden im ersten Jahr nach dem Ende des 2. WK. „Die Reise war zu einer verzweifelten Suche nach dem Wendepunkt geworden“ (Zitat aus „Die Unsichtbaren“) ist der Glanzsatz für Ingrids Such nach Alexander, mit der sie innerlich abgeschlossen hatte. Ingrid ist eine hartnäckige Spurensucherin, findet ihren Frieden mit der Rückkehr nach Barrøy, und in Mariann ihr Alter Ego.

    „Die Unsichtbaren“ von Roy Jacobsen erfordert konzentriertes Lesen und Überwindung. Ein halbes Jahrhundert norwegischer Geschichte, besetztes und befriedetes Norwegen mit bitteren Nachwehen der Kriegszeit. Anspruchsvolle Prosa für anspruchsvolle Leser, so sollten diese wenigsten sein. Die gewohnte direkte Sprache wird oft von der ungewohnten indirekten Sprache abgelöst. Die deutsche Übersetzung klingt manchmal wie die aus einem Übersetzungs-Automaten. Drei Teile auf über 600 Seiten, Durchhaltevermögen ist eine Voraussetzung. Bewundernswerte literarische Dichtheit über Land, Mensch und Leben. Pflichtlektüre für alle Norweger.

    In dieser Insel-Saga „Die Unsichtbaren“ von Roy Jacobsen verbirgt sich eine unglaubliche Magie, der sich der Leser nicht entziehen kann.

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  • Das erste Drittel des Buches ist unter dem og. Titel 2014 bei Osburg erschienen und 2015 unter dem Titel "In jenen hellen Nächten" als Insel TB.

    ISBN 978-3458360865


    Inhalt

    Die kleine norwegische Insel Barrøy heißt wie ihr Besitzer, Hans Barrøy. Erzählt wird die Geschichte der Familie mit Blick auf die Tochter Ingrid, das einzige Kind von Hans und Marie. Hans erwachsene, leicht behinderte Schwester Barbro lebt mit ihnen, nachdem Hans den Versuch abgebrochen hat, Barbro als Dienstmädchen auf eine andere Insel zu geben. Irgendwo muss Krieg herrschen, was die Inselbewohner daran bemerken, dass ein paar schwedische Burschen nur gegen Kost und Unterkunft für Hans einen Bootsschuppen mit Anleger bauen. Der gemauerte Kai zeigt Hans geschäftliche Weitsicht, dass er als Bauer und Fischer nur existieren kann, wenn das Boot zwischen den Inseln bei ihm anlegen kann. Ein Bruder von Hans arbeitet in der Fangsaison als Fischer vor den Lofoten und lässt von den Barrøys seine Leinen anfertigen.


    Ingrid wird zur Schule auf eine Nachbarinsel gerudert, wo sie die Woche verbringt und am Wochenende zurückkehrt. Als sie konfirmiert werden soll, wird sie dort währenddessen in der Pfarrersfamilie einquartiert. Sie erlebt zum ersten Mal, dass andere Kinder Geschwister haben, die Pfarrerstochter beim Gegenbesuch wiederum kennt es nicht, dass ein Kind frei von Hänseleien seiner Geschwister aufwachsen kann. Auf der Insel gibt es Dinge, die offensichtlich jeder bemerkt, über die man jedoch besser schweigt. Einige Zusammenhänge erzählt Roy Jacobsen in einem einzigen lakonischen Satz. So die Sitte, dass jahrelang die Frauen der Familie keine Stühle hatten und im Stehen aßen, bis sich die Dinge durch einen Zufall änderten. Die Insel steht exemplarisch für ein empfindliches Ökosystem, Einsamkeit und Selbstgenügsamkeit, aber auch dafür, dass Erwachsene wie Kinder als Arbeitskräfte ihren festen Platz haben. Wer keinen Torf sticht und trocknet, wird im Winter den Ofen nicht heizen können. Jeder muss für das Boot, die Tiere und die anderen Familienmitglieder Verantwortung tragen. Ein Fehler kann jederzeit tödliche Folgen haben.


    Fazit

    Eine Reihe von Schicksalsschlägen bringt schließlich die gewohnte Ordnung aus dem Tritt, in der ein Kind jahrelang Vater und Mutter bei der Arbeit begleitet, bis es alle Handgriffe selbst beherrscht. Wer hier überleben will, muss nicht nur kräftig sein, Respekt vor den Naturgewalten zeigen, sondern auch aufmerksam verhindern, dass er von Geschäftspartnern über den Tisch gezogen wird. Als aus Kindern notgedrungen tatkräftige und entscheidungsfähige Fischer und Bauern geworden sind, wundern sie sich vermutlich selbst am stärksten, was sie alles bewältigen können.


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Roy Jacobsen - Die Unsichtbaren“ zu „Roy Jacobsen - Die Unsichtbaren / The Unseen“ geändert.
  • Roy Jacobsen ist ein norwegischer Autor. Im Original heisst der Roman "De usynlige". Die norwegische ISBN ergibt leider nicht das Titelbild, daher hier ein Link dazu.

    Bitte meinen Beiträgen keine Herzen geben, ich verteile auch keine.


    "Nicht jedes Buch ist seinem Klappentext gewachsen." (Peter Schifferli, Schweizer Verleger, 1921–1980)

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Roy Jacobsen - Die Unsichtbaren / The Unseen“ zu „Roy Jacobsen - Die Unsichtbaren / De usynlige“ geändert.
  • m Original heisst der Roman "De usynlige"

    Tatsächlich, das sagt auch seine Wiki-Seite. Da der Man Booker-Preis eigentlich nur an Titel vergeben wird, die in englsicher SPrache in GB veröffentlicht worden sind - zuvor galt nur von Briten - war ich von einem englsichsprachigen Original ausgegangen. Tatsächlich hat er eines seines Bücher wohl ursprünglich zuerst auf Englisch veröffentlicht. Hach, man kann sich auf Literaturpreise einfach nicht verlassen.