Thekla Chabbi – Die Zeichen der Sieger. Der Aufstieg Chinas im Spiegel seiner Sprache

  • Verlagstext

    Huawei und Überwachung, Aufrüstung und Wirtschaftsmacht: China macht uns Angst. Weil wir das Land nicht verstehen – und zwar wörtlich.

    Thekla Chabbi schlägt eine Brücke: Die Schriftstellerin und Sinologin nimmt uns mit auf eine Reise durch das Chinesische, von den Orakelknochen und Leibniz‘ Faszination für China zu dem chinesischen Namen von VW, BMW un Siemens. Sie erklärt, leichtfüßig und unterhaltsam, wie Chinesisch funktioniert. Vor allem aber lässt sie Chinas Sprache als Mittlerin zu Wort kommen, die von der vergangenen und gegenwärtigen Vielfalt der chinesischen Welt erzählt. Und sie zeigt, wie sehr diese Sprache als politisches Instrument genutzt wird, wie die Machthaber in Peking mit der weltweiten Gründung chinesischer Sprachinstitute ihre Soft-Power zum Einsatz bringen, heikle Begriffe im Internet zensieren und die chinesische Netzgemeinde die Zensur unterwandert.

    1919, vor genau 100 Jahren, führte die «4.Mai-Bewegung» in China zu einer Massenkulturbewegung, die eine Abkehr vom Westen und eine Hinwendung zur nationalen Identität mit einer Sprache für das ganze Volk bedeutete. Heute ist Chinesisch die Sprache der Sieger. Thekla Chabbi lässt sie uns verstehen. Ihr Buch ersetzt Angst durch Wissen – und erklärt nebenbei auch, wie man Huawei richtig ausspricht.


    Die Autorin

    Thekla Chabbi, 1968 geboren, studierte Sinologie in Trier und Nanjing. Sie übersetzte u.a. die Romane des chinesischen Schriftstellers Li Er ins Deutsche. Für ihr Lehrwerk „Liao Liao“ erhielt sie den Friedhelm-Denninghaus-Preis.


    Inhalt

    In einem sehr dichten, informativen Einführungskapitel definiert Thekla Chabbi zunächst unser Chinabild als Europäer. Die chinesische Sprache mache präzises Denken, Subjektivität und Reflexion unmöglich, wurde von Missionaren und Gelehrten vergangener Zeiten kolportiert und damit den Chinesisch Sprechenden als Personen küchenpsychologisch diese Fähigkeiten abgesprochen. Aus beschränkter christlich-eurozentrischer Sicht wurde ein Volk über seine Defizite definiert, obwohl sich die Struktur seiner Sprache einem direkten Vergleich mit europäischen Sprachen entzieht.


    Im Zeitalter globaler Märkte rückt inzwischen verstärkt die Frage in den Mittelpunkt, wie in internationalen Teams Kollegen aus aller Herren Länder denken, aber auch wie Anwendungen programmiert werden müssen, wenn der zukünftige Kunde offensichtlich anders tickt als wir es in Europa erwarten. Chabbi vermittelt die dazu nötige Allgemeinbildung, indem sie von der Entstehung des Hochchinesischen als Nationalsprache erzählt und darüber, dass noch Mao aufgrund seines ländlichen Dialekts in der Öffentlichkeit kaum verstanden wurde, während Xi Jinping der erste chinesische Staatschef ist, der Hoch-Chinesisch spricht. Wer sich für den “Bildungsbegriff“ interessiert oder für Sprache als politisches Instrument, erfährt hier den letzten Schliff. Gerade im Zeitalter von Übersetzungs-Apps finde ich es hochinteressant zu verfolgen, wie Sprache nicht ohne Kultur- und Landeskenntnisse funktionieren kann. Auch, welchen Raum Anspielungen einnehmen, habe ich erfahren, wenn ein Volk sich unterhalten möchte, ohne dass der große Bruder mithört. Wie Sprache Bilder erzeugt, Werte und Traditionen vermittelt und wie das Schreiben einer Sprache das menschliche Denken beeinflusst, das ist sicher nicht nur für Leser interessant, die sich speziell für die chinesische Sprache interessieren.


    Im größeren Teil des Buches geht es um die chinesische Schrift, welches Wissen sie in Symbolen über China transportiert, wie die Struktur der Schriftzeichen das Erlernen erleichtert, aber auch, warum Bildung Voraussetzung für das Chinesisch-Lernen ist. Da in Deutschland gerade die Abschaffung der Schreibschrift im Schulunterricht diskutiert wird, interessiert es mich, was durch die Schreib-Bewegung und durch intensives Üben im menschlichen Hirn geschieht. Am Ende schließt sich ein Kreis aus Wissen über Chinesisch als Sprache mit intellektuellem Wettbewerbsvorteil und mit der Überlegung, ob man ablehnen oder vereinfachen sollte, was man „kompliziert“ findet. Wie wir unseren Kindern in Europa mehr als die defizitorientierte eurozentrische Sichtweise vermitteln können und warum wir derzeit so wenig Widersprüchliches aushalten, fragte ich mich beim Lesen auch. Sich einmal in Gedanken auf die Landkarte Chinas stellen, dabei um die eigene Achse drehen und überlegen, wer nun meine Nachbarn sind, kann sehr heilsam sein. Um Empathie, Einfühlung in die Kränkbarkeit ganzer Nationen und ihre Auswirkung auf unser Zusammenleben geht es hier ebenfalls – auch deutsche Politiker haben auf diesem Gebiet deutlich Nachholbedarf.


    Fazit

    Mit Grundkenntnissen der chinesischen Sprache ist Chabbis Buch sicher leichter zu verstehen als ohne. Empfehlenswert finde ich es für Leser, die selbst mit sehr guten Englischkenntnissen im Team oder in der bi-nationalen Familie an Grenzen der Verständigung gelangt sind, aber auch für generell an Sprachen und Lernmethoden Interessierte.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: --

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Mit Grundkenntnissen der chinesischen Sprache ist Chabbis Buch sicher leichter zu verstehen als ohne.

    Wenn es um die Kanji geht, reichen bestimmt auch Japanisch-Grundkenntnisse?



    Da in Deutschland gerade die Abschaffung der Schreibschrift im Schulunterricht diskutiert wird, interessiert es mich, was durch die Schreib-Bewegung und durch intensives Üben im menschlichen Hirn geschieht.

    Ich habe neulich in einem Lettering-Workshop gelernt, dass beim Schönschreiben (was eine gebundene Schreibschrift ja erst einmal auch ist) das Sprachzentrum im Gehirn mit dem Areal für Kreativität gekoppelt sein muss. Das zu trainieren, dürfte grundsätzlich nicht von Schaden sein. :D

    (Vorher hatte ich nur über Studien gelesen, die besagen, dass Schreiben eine der möglichen feinmotorischen Techniken ist, die das Gehirn für seine Entwicklung braucht, und dass viele Menschen Handgeschriebenes besser memorieren können als Getipptes. Letzteres geht mir persönlich auch so.)

    :study: Jutta Aurahs - Katzen :cat:

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Dietrich Krusche (Hg.) - Haiku (Reread)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Wenn es um die Kanji geht, reichen bestimmt auch Japanisch-Grundkenntnisse?

    So ist es. :)

    Zitat

    Ich habe neulich in einem Lettering-Workshop gelernt, dass beim Schönschreiben (was eine gebundene Schreibschrift ja erst einmal auch ist) das Sprachzentrum im Gehirn mit dem Areal für Kreativität gekoppelt sein muss. Das zu trainieren, dürfte grundsätzlich nicht von Schaden sein. :D

    (Vorher hatte ich nur über Studien gelesen, die besagen, dass Schreiben eine der möglichen feinmotorischen Techniken ist, die das Gehirn für seine Entwicklung braucht, und dass viele Menschen Handgeschriebenes besser memorieren können als Getipptes. Letzteres geht mir persönlich auch so.)

    Chinesische/japanische Kalligrafie ist herausfordernder als "nur" unsere Schönschrift; denn du musst mit einer exakt begrenzten Fläche pro Schriftzeichen auskommen, die Breite der Linie steuern und durch Druck auf den Pinsel ihr Anfang und ihr Ende.


    In diesem Buch fand ich den Bildungsbegriff sehr beeindruckend: Wissen + Verstehen + Können durch jahrelange Übung = Bildung. Der Gleichklang gerät aus dem Takt, wenn du eine Variable veränderst. Da sieht man Forderungen in anderem Licht, was in der Schule alles wegfallen soll, weil wir ja Handys haben ...

    :study: -- Damasio - Gegenwind

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