Nachdem in den Sozialen Medien das Thema „Autorinnenschuber“ entstanden ist, stellen sich einige vermutlich die Frage, was das nun wieder soll. Ein Lese-Kanon oder „nur“ ein Schuber mit ausgewählten Romanen erheben einen Anspruch, was „ein Leser“ gelesen haben oder davon wenigstens gehört haben sollte. Unbewusst oder beabsichtigt. Wenn Bücher zu großen Teilen von Frauen gekauft, verschenkt und gelesen werden, könnte man sich fragen, wo ein ausgewogener Lese-Kanon bleibt oder jedenfalls einer, in dem Autorinnen vorkommen.
Das Thema ist nicht so trivial, wie ihr denken könntet. Ich bin z. B. in einem Haushalt ohne Bücher aufgewachsen. Meine Lesesozialisation geschah durch eine Grundschullehrerin, die eine kleine Klassenbücherei aus 20 Kinderbüchern aufbaute, und in der Mittelstufe durch eine Schulbücherei, die von einem - männlichen - Lehrer zum Großteil nach dessen Interessen aufgebaut wurde: Die Caine war ihr Schicksal und Amundsens Weg zum Pol z. B.. Zusammenhänge mit meinen jahrelangen Lieblingsgenres sind reiner Zufall ... Natürlich hätte ich mir dort ausleihen können, was ich sowieso im Deutschunterricht lesen musste - Droste-Hülshoff z. B. Habe ich aber nicht. Dass Frauen der Gegenwart Unterhaltungsromane schreiben, in denen Figuren andere Dinge tun „als sowieso zu heiraten“, war mir während meiner Schulzeit nicht bewusst.
Interessant in diesem Zusammenhang finde ich, dass mein Standpunkt, Lese-Kanons könnten Autorinnen und Leserinnen diskriminieren, wenn sie nicht ausgewogen sind, gern damit abgewiegelt wird, dass es diese/meine Lesesozialisation nicht gegeben kann, weil sie den Erfahrungen des Gesprächspartners widerspricht.