Olga Tokarczuk - Ur und andere Zeiten (ab 06.12.2019)

  • Wieso sagst Du, Du erkennst keinen Erzähler im Buch? Weil er sich nicht zu erkennen gibt? Für mich ist es eigentlich ein recht klassischer auktorialer Erzähler - der muss ja auch nicht zwingend zu identifizieren sein.

    Ich habe den Engel-Erzähler noch im Hinterkopf, und den erkenne ich nicht. Und diese merkwürdigen Zeichensetzungen suggerieren einen Erzähler, also bin ich dem nachgegangen, allerdings nur zwei Kapitel. ich weiß nicht, ob es sich um Druckfehler handelt, die identischen Wiederholungen fallen schon auf, finde ich.
    Ich sehe das wie Du: wir haben einen traditionellen auktorialen Erzähler, der sich allerdings nicht zu erkennen gibt, was aber auch nicht sein muss.

    Jesus' Gottvertrauen und das der Tiere ist ein reines, ein unschuldiges, welches den Menschen so gar nicht möglich ist.

    Jesus' Gottvertrauen wurde aber sehr erschüttert bzw. war nicht mehr vorhanden, als er am Kreuz hing! "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!"

    Daher frage ich mich, ob dieser letzte Satz - es gibt immer wieder solche unerwarteten Wendungen im letzten Satz - ironisch ist.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ist das ironisch gemeint? Ist das Humor der besonderen Art? Jedenfalls wirken solche lakonischen Sätze auf mich wie ein Schlag.

    Auf mich auch. Gerade den Glauben von Jesus (an die Welt? 8-[ nicht an Gott?) mit dem hündischen Glauben zu vergleichen, finde ich heftig - einerseits wird Hunden ja eine gewisse fast schon dämliche Treue nachgesagt, sodass der Vergleich wehtut; andererseits nimmt Lalka Dimensionen wahr, die den Menschen verschlossen sind. Es wirkt auf mich also ambivalent. Umso mehr, wenn man sich die verschiedenen letzten Worte Jesu am Kreuz ins Gedächtnis ruft: "Es ist vollendet" und "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist" versus "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" 8-[


    Edit: Na, da hatten wir einen ähnlichen Gedanken! :lol:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Jane Austen - Stolz und Vorurteil (Reread)

    :montag: Sally Coulthard - Am Anfang war das Huhn





  • Lange, lange hat es gedauert, aber ich habe das Buch nun auch beenden können. Ich muss gestehen, dass ich bis zum Schluss einfach nicht warm geworden bin mit diesem Buch. Ich habe versucht, mich mehr zu motivieren, indem ich keine anderen Bücher parallel gelesen habe (außer im ÖPNV zwei Kinderbücher als ebooks auf dem Handy). Das hat wiederum dazu geführt, dass ich in eine Leseflaute gerutscht bin und gar nicht mehr gelesen habe. Also habe ich vor ein paar Tagen wieder begonnen zu lesen und darüber nun irgendwie auch das Buch beenden können.


    Ich habe eure Beiträge gelesen und muss feststellen, dass mir durch die lange Pause, bis ich das Buch beendet habe, einige Zusammenhänge nicht mehr ganz klar sind. Aber die prägnantesten Punkte, wie die Kaffeemühle, sich sich durch den gesamten Verlauf zieht und die Parallelen zwischen dem Spiel und dem Leben in Ur sind sehr präsent.


    Den Erzähler habe ich auch nicht als Erzengel wahrgenommen, sondern ebenso wie ihr als "normalen" auktorialen Erzähler.


    Die Stelle mit dem Hund und dem Vergleich zu Jesus, habe ich in dem Moment des Lesens als nicht so einschneident wahrgenommen, da ich in dem Moment das Gefühl hatte, dass der Hund dem Menschen auch einiges voraus hatte. Nach dem Lesen eurer Beiträge verstehe ich aber auch, dass man sich daran stoßen kann und welche Implikationen man darin sehen kann.


    Mein Fazit ist, dass ich die weiteren Werke von Olga Tokarczuk erstmal nicht lesen werde. Vielleicht wird es in der Zukunft noch mal eine Zeit geben, zu der es mich mehr anspricht.

  • Mein Fazit ist, dass ich die weiteren Werke von Olga Tokarczuk erstmal nicht lesen werde. Vielleicht wird es in der Zukunft noch mal eine Zeit geben, zu der es mich mehr anspricht.

    Ich war ja in der Runde ein stiller Mitleser und ich denke ich hätte hier auch Schwierigkeiten gehabt mich hereinzufinden.

    Ein thematisch ganz anderes Werk von Frau Tokarczuk, dass ich vor kurzem erst gelesen habe kann ich jedoch wärmstens empfehlen.

    Ich habe die englische Ausgabe gelesen, aber ich glaube es gibt auch eine deutsche Übersetzung.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Ich habe die englische Ausgabe gelesen, aber ich glaube es gibt auch eine deutsche Übersetzung.

    Das ist ja beinahe wieder ein Fall für den Übersetzungsthread. Welchen Titel findest Du denn gelungener?

  • Das ist ja beinahe wieder ein Fall für den Übersetzungsthread. Welchen Titel findest Du denn gelungener?

    Der Titel >Drive Your Plow Over The Bones Of The Dead< ist eine Zeile aus einem Gedicht von William Blake, dessen Werk auch ein Thema

    des Romans ist. >Zieh deinen Pflug über die Knochen der Toten< würde deutsche Leser wohl eher abschrecken.

    >Der Gesang der Fledermäuse< gefällt mir als Titel recht gut, aber ich überlege gerade ob da ein Bezug zum Roman zu finden ist. Da muss ich jetzt

    nochmal reinschauen.:scratch::-k?(

    Mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das Beste. Ein Kapitel heißt: >The Singing of Bats< und in diesem Kapitel findet die Protagonistin einen Frieden

    der vielleicht so etwas wie ein Schlüsselelement des Romans ist. Von daher passt der Titel recht gut. Kleines Beispiel für Tokarczuks Erzählkunst:


    Zitat

    But in fact we weren`t arguing at all; we were holding a dialogue, a trialogue, like three fauns, another species, half human and half animal.

    And I realized there were lots of us in the garden and the forest, our faces covered in hair. Strange beasts. And our bats had settled in the

    trees and were singing. Their shrill vibrating voices were jostling microscopic particles of mist, so the Night around us was softly starting to

    jingle, summoning all the creatures to nocturnal worship.

    Schön, nicht wahr. Sprachlich ist der Roman wirklich brillant.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Schön, nicht wahr. Sprachlich ist der Roman wirklich brillant.

    Ja, toll! Sprachlich finde ich die Autorin wirklich grandios. Ich finde aber auch, dass die Übersetzerinnen hier sehr gute Arbeit geleistet haben - zumindest kann ich das von meiner deutschen Ausgabe von "Ur und andere Zeiten" behaupten.

  • Das hat wiederum dazu geführt, dass ich in eine Leseflaute gerutscht bin und gar nicht mehr gelesen habe.

    Wie schade! Zum Glück hast du wieder herausgefunden und ich wünsche dir in nächster Zeit ein besonders gutes Händchen bei deiner Buchauswahl, damit du wieder viel Freude am Lesen hast! :friends:


    Mein Fazit ist, dass ich die weiteren Werke von Olga Tokarczuk erstmal nicht lesen werde. Vielleicht wird es in der Zukunft noch mal eine Zeit geben, zu der es mich mehr anspricht.

    Das kann ich gut verstehen, auch wenn es mir nicht so geht. Vielleicht, weil ich mit "Taghaus, Nachthaus", meiner Erstbegegnung mit der Autorin, keinen guten Griff gemacht hatte, sozusagen schon meinen persönlichen Tokarczuk-Tiefpunkt erreicht hatte :lol: , und "Ur" da jetzt wieder viel gutmachen konnte. Ich fand das Buch zwar streckenweise anstrengend, aber sehr lesenswert. Die "Fledermäuse" stehen als nächstes Werk der Autorin auf meiner Liste; aber das hat keinerlei Eile. :lol:



    Ich fand die MLR mit euch sehr spannend und gewinnbringend! :winken:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Jane Austen - Stolz und Vorurteil (Reread)

    :montag: Sally Coulthard - Am Anfang war das Huhn





  • zumindest kann ich das von meiner deutschen Ausgabe von "Ur und andere Zeiten" behaupten.

    Das sehe ich auch so. Auch wenn ich das Original nicht kenne: die Übersetzung wirkt stimmig. War bestimmt nicht leicht für Esther Kinsky!

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Mein Fazit ist, dass ich die weiteren Werke von Olga Tokarczuk erstmal nicht lesen werde.

    Das kann ich verstehen! Ich habe das Buch mit großer Begeisterung gelesen, weil mir das Märchenhaft-Magische einfach gefällt. Aber dann kam ein gewisser Überdruss, und ich war direkt dankbar für Motive, die sich zu einem Sinnganzen gefügt haben.

    Trotzdem habe ich mir die "Fledermäuse" auf meine Wunschliste gesetzt. ich finde den Titel so schön :uups:!

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).