Kazuo Ishiguro - Was vom Tage übrig blieb / The Remains of the Day

  • Stevens dient als Butler in Darlington Hall. Er sorgt für einen tadellosen Haushalt und ist die Verschwiegenheit in Person: Niemals würde er auch nur ein Wort über die merkwürdigen Vorgänge im Herrenhaus verlieren. Er stellt sein Leben voll und ganz in den Dienst seines Herrn. Auch die vorsichtigen Annäherungsversuche von Miss Kenton, der Haushälterin, weist er brüsk zurück. Viele Jahre lang lebt ergeben in seiner Welt, bis ihn eines Tages die Vergangenheit einholt. Das kritische Portrait einer von Klasse und Hierarchien geprägten Gesellschaft und eine bittersüße Liebesgeschichte, erzählt von einem, der seinen Stand nie hinterfragt und der nie auch nur geahnt hat, dass er liebte. (Amazon)



    Der Roman - der als stille und vermeintlich unspektakuläre Erzählung daher kommt - handelt vom Leben des Butlers Stevens, der auf dem englischen Landsitz Darlington Hall über viele Jahrzehnte hinweg seinen Dienst verrichtet. Die Geschichte startet im Jahre 1956 und wird aus Sicht von Stevens im Rückblick erzählt.


    Lord Darlington ist, wie man erfährt, bereits vor einigen Jahren verstorben, seine Ländereien und das herrschaftliche Gebäude an einen reichen Amerikaner namens Farraday verkauft. Die Anzahl der Bediensteten wurde erheblich zusammen gestrichen, so dass Butler Stevens sich nun unter völlig anderen Voraussetzungen daran machen muss den Betrieb am Laufen zu halten, als er dies in den vielen Jahren zuvor gewohnt war. Überhaupt tut er sich schwer damit, mit der so völlig anderen amerikanischen Lebensweise zurecht zu kommen, die nun in Darlington Hall Einzug gehalten hat.


    Als sein neuer Dienstherr nun für fünf Wochen in seine amerikanische Heimat zurück reist, gibt er Stevens während diese Zeit Gelegenheit, selber einmal Urlaub zu machen und ein wenig durch England zu reisen um die Gegend, Land und Leute zu erkunden. Großzügig überlässt er seinem völlig überraschten Butler auch noch seinen Wagen und kommt sogar für die Benzinkosten auf.

    Stevens nutzt diese Gelegenheit dazu, nach Cornwall zu reisen, um die ehemalige Haushälterin Miss Kenton zu besuchen, von der er vor einiger Zeit einen Brief erhalten hat, der ihn beunruhigt: Sie scheint in ihrer Ehe unglücklich zu sein und ihren Mann verlassen zu haben. Stevens kommt auf die Idee, Miss Kenton zurück nach Darlington Hall zu holen, um auf diese Methode das dortige Personalproblem besser in den Griff zu bekommen.


    Auf dieser sechstägigen Reise nun lässt Stevens den Hörer teilhaben, an seinen Gedankengängen bezüglich Ereignissen aus längt vergangenen Zeiten und immer und immer wieder geht es auch um die - für ihn so unwahrscheinlich wichtigen Frage - was einen guten und würdevollen Butler eigentlich auszeichnet.


    Kazuo Ishiguro zeichnet mit feinem Stift das Porträt eines Mannes, der in völliger Selbstaufgabe und zutiefst loyal seinem Dienstherren gegenüber, seine eigenen Bedürfnisse hinsichtlich des Lebens, nicht nur verdrängt, sondern komplett ausblendet. Stevens ist Butler durch und durch, bereits sein Vater - ebenfalls Butler - hat ihm diese Lebenseinstellung genau so vorgelebt. So kommt Stevens scheinbar noch nicht mal auf die Idee Dinge und Handlungen zu hinterfragen. Nicht mal dann, als Lord Darlington ganz offensichtlich in den 20er und 30er Jahren mit den Nazionalsozialisten und Hitlers Machenschaften in Deutschland liebäugelt. Stevens erlaubt sich kein Urteil darüber, ob die Einstellungen, Entscheidungen und Handlungsweisen des Lords richtig, oder moralisch zumindest fragwürdig erscheinen. Vielmehr versteht er seine absolute loyale Haltung seinem Dienstherren gegenüber als Zeichen für seine eigene Würde, die einen guten Butler in seinen Augen nun mal auszuzeichnen hat.

    In seiner blinden Naivität und Gefolgstreue bemerkt er nicht mal, dass Miss Kenton ihn liebt und nur aufgrund seines Diensteifers, dem er alles andere unterstellt, Darlington Hall verlässt um einen anderen Mann zu heiraten.


    Zu Beginn des Hörbuchs geriet ich kurzfristig in Versuchung, abzubrechen und mich einer anderen Lektüre zuzuwenden. Viel zu langatmig, hölzern und sperrig erschien mir die Erzählung. Bis ich - nicht zuletzt Dank des wirklich großartigen Sprechers Gert Heidenreich - erkannte, dass genau dies den eigentlichen Charme der Geschichte überhaupt erst ausmacht. Die Art und Weise wie er das Buch vorlas, passte in meinem Kopfkino absolut mit jenem Bild eines Butlers überein, wie ich ihn durch Stevens verkörpert sah.


    Stevens ist eine zutiefst tragische Figur, die definitiv mein Mitleid erregt hat. Möglich, dass Kazuo Ishiguro ihn etwas überspitzt gezeichnet hat, aber genau dadurch wird dem Hörer die Tragweite seines Scheiterns in vollem Umfang bewusst. Und ganz sicher regt diese Geschichte zum Nachdenken und Vergleiche ziehen mit dem eigenen Leben an. Denn am Ende des Lebens muss ein jeder von uns sich fragen, was von seinem Tage (im übertragenen Sinne) übrig geblieben ist ....


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:  :thumleft:

    Liebe Grüße von der Federfinderin :dwarf:


    Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine zutiefst kranke Gesellschaft zu sein. ~Jiddu Krishnamurti ~

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Kazuo Ishiguro - Was vom Tage übrig blieb“ zu „Kazuo Ishiguro - Was vom Tage übrig blieb / The Remains of the Day“ geändert.