Verlagstext
Kintsugi ist das japanische Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu kitten. Diese Tradition lehrt, dass Schönheit nicht in der Perfektion zu finden ist, sondern im guten Umgang mit den Brüchen und Versehrtheiten.
Es ist Wochenende. Wir sind in einem Haus an einem spätwinterlichen See, das Licht ist hart, die Luft ist schneidend kalt, der gefrorene Boden knirscht unter unseren Füßen. Gerade sind Reik und Max angekommen, sie feiern ihre Liebe, die nun zwanzig ist. Eingeladen sind nur ihr ältester Freund Tonio und seine Tochter Pega, so alt wie die Beziehung von Max und Reik. Sie planen ein ruhiges Wochenende. Doch ruhig bleibt nur der See.
»Kintsugi« ist ein flimmernder Roman über die Liebe in all ihren Facetten. Über den Trost, den wir im Unvollkommenen finden. Und darüber, dass es weitergeht. Wie immer geht es weiter.
Die Autorin
Miku Sophie Kühmel wurde 1992 in Gotha geboren. Sie hat an der Humboldt-Universität zu Berlin und der New York University studiert, unter anderem bei Roger Willemsen und Daniel Kehlmann. Sie veröffentlicht seit 2013 Kurzprosa, auch in Radiostücken und Podcasts, die sie produziert. 2018 gelangte Kühmel mit ihrem ersten, bislang unveröffentlichten Roman "Fellwechsel" auf die Shortlist des Blogbuster-Literaturpreises. »Kintsugi« ist ihr erster Roman, für den sie mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung 2019 ausgezeichnet wurde und der auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2019 gewählt wurde.
Inhalt
Im März ist es klirrend kalt in der Uckermark. Max und Reik feiern das 20. Jubiläum ihrer Beziehung und laden dazu Reiks ersten Mann Tonio und dessen Tochter Pega in ihr Landhaus am See ein. Max ist Archäologe, sein Partner Künstler - mit Kinderwunsch; beide sind verankert in ihrer Szene. Langjährig verbunden ist sich das Paar durch unauffällige Scharmützel um das klare Design im Haus – freie Flächen contra Chaos. Reik fühlt sich nur von den klaren Linien japanischer Kunst und japanischen Kunsthandwerks angesprochen. Nach all den Jahren scheint noch immer ungeklärt, wer von ihnen in ihrer Beziehung Herrscher und wer Bewunderer ist. In der Uckermark können die Partner sich der Illusion ihrer Jugend hingeben, sie wären für sich und die letzten Menschen auf der Welt. Eine Verbindung zwischen ihnen stellt Pega her, die Tonio gemeinsam mit seiner Mutter aufgezogen hat und deren Erwachsenwerden das Altern der Herren spiegelt. Max und Reik zogen Pega von Anfang an wie eine erweiterte Familie mit auf, empfanden eine Zuneigung, die sie vermutlich selbst verblüfft. WG-Chaoten können erstaunlich penibel werden, wenn plötzlich ein Baby im Haus ist. Auf Pega lastete auch die Erwartung, dass ihre drei Väter sie zu einem Wunderkind heranwachsen sehen wollten. Wenn ich nicht wäre, wäre Tonio heute auch reich und berühmt, stellt Pega fest angesichts ihrer gutsituierten Ziehväter. Sie hat sich zu einer couragierten Person entwickelt, die heute studiert und zu allem eine Meinung hat. Max, aufgewachsen bei einer alternativen Mutter in einer WG, hat in seiner Kindheit gelernt, sich gegen Dinge zu entscheiden und gegen andere Kinder, falls sie Mädchen waren. Pega will er der Vater sein, den er sich vermutlich gewünscht hätte, wäre er eine Tochter gewesen. Hinter Reiks märchenhaftem Erfolg als Künstler verbargen sich schon immer innere Dämonen, die wiederum Druck auf Tonio und Pega ausüben, sich um ihn zu kümmern. Sichtlich gealtert, sinnt er auf einmal über eigene Kinder nach - als Zeichen seiner ambivalenten Beziehung zu seinem Partner?
Reiks Beziehung zu japanischem Kunsthandwerk erklärt den Buchtitel: Kintsugi ist eine japanische Handwerkstechnik, um kostbare zerbrochene Keramik mittels kontrastierender Linien/Materialien wieder zusammenzufügen und so einen neuen (wertvolleren) Kunstgegenstand zu schaffen. Der Gedanke liegt nahe, dass auch während des Treffens in der Uckermark aus Scherben des Alten etwas Neues entstehen wird, das wertvoller sein kann als seine Teile.
Fazit
An einem Wendepunkt in der Lebensmitte scheint das Haus am See wie ein Vergrößerungsglas Gefühle und Dinge hervorzuheben, aber auch dazu zu verleiten, sich darunter preiszugeben. Vier Icherzähler (3 Männer um die 40 und die Tochter eines von ihnen) beleuchten ihre Beziehung in je einem persönlichen Kapitel aus ihrer Sicht. Mit ihrem Außenseiterdasein scheinen sie alle zu kokettieren. Bei Figuren aus der Kunstszene zwischen Schein und Realität hätte ich normalerweise abgewinkt; hier war der Anstoß lohnend, den Roman dennoch zu lesen. Durch den goldfarbenen Weg auf dem Buchcover und japanische Kapitelüberschriften, die sich um Leere, Grazie, Feinheit, Leichtigkeit gruppieren, hat Miku Sophie Kühmels Debütroman (der nicht ihr erster Roman ist) mir zu seinen Erzählperspektiven zusätzliche Interpretationsebenen geboten.