Joe Heap - Die Welt in allen Farben / The Rules of Seeing

  • Nova ist von Geburt an blind, hat sich aber bisher tapfer durchs Leben geschlagen und weiß, was sie will. Durch eine neue Operationsmethode ist es ihr möglich wieder zu sehen. Doch an ihre neuen Fähigkeiten muss sie erst gewöhnen, was ihr nicht leicht fällt.
    Kate ist in ihrem Beruf ebenfalls erfolgreich, lebt jedoch in einer schwierigen Ehe, vor der sie lange Zeit die Augen verschließt. Durch einen „Unfall“ wird sie zum Nachdenken angeregt.
    Beide Frauen treffen in einer Rehaklinik aufeinander, und aus anfänglicher Sympathie wird Freundschaft und schließlich Liebe. Gemeinsam helfen sie sich durch Höhen und Tiefen, um ihren neuen Platz im Leben zu finden.
    „Die Welt in allen Farben“ ist eine gelungene Geschichte über das Sehen lernen. Und dies in mehrerlei Hinsicht. Nova muss lernen, mit ihren neuen Fähigkeiten umzugehen. Kate muss lernen ihre Augen vor der Wahrheit zu öffnen und endlich die Tatsachen zu sehen. Der Autor hat hier geschickt zwei völlig verschiedene Themen zusammengefügt; sich in die Welt der Sehenden einzuleben und häusliche Gewalt.
    Zwar ist das Thema häusliche Gewalt als solches ja nicht neu. Dennoch wurde hier gekonnt mit allen Facetten gespielt. Die anfängliche Verleugnung der Probleme, die langsame Erkenntnis und das Gefühlschaos sind sehr gefühlvoll und bildlich beschrieben. Man hat als Leser das Gefühl sich mit Kate zusammen in der Wohnung zu verstecken.
    Auch Novas Entwicklung ist sehr gelungen erzählt. Plötzlich wird einem bewusst, was man als Mensch mit normalen Sehfähigkeiten eigentlich als selbstverständlich hinnimmt. Erst durch die Begleitung von Novas Lernvorgang habe auch ich angefangen genauer hinzusehen. Und erst allmählich begreift man, wie komplex das Sehen als physiologischer und psychologischer Vorgang tatsächlich ist.
    Dem Autor ist hier ein Debütroman gelungen, der Augen öffnet.
    Dem Buch lag eine Karte bei mit der Aufschrift „Sehen sie die Welt jetzt anders?“. Ich muss diese Frage nachdrücklich mit Ja beantworten und kann dieses Buch nur weiterempfehlen.

  • SaBineBe , vielen Dank für die tolle Rezension. Diese hat mich gleich sehr interessiert und das Buch ist auf meiner Wunschliste "Muss ich haben" gelandet :lechz:.

    Das hört sich wirklich nach einem sehr besonderen Buch an. Danke :friends:

    "Die Stille stellt keine Fragen, aber sie kann uns auf alles eine Antwort geben." (Ernst Ferstl)

  • Ich habe eine etwas kritischere Meinung zu dem Buch:


    Ich habe das Buch bei Vorablesen.de gewonnen und mich sehr darüber gefreut, denn der Plot hat sich sehr interessant angehört. Gerade das Thema dass ein Blinder Mensch die Möglichkeit hat, wieder sehen zu können, fand ich mal was anderes und hat mich sehr neugierig gemacht. Nach lesen der Leseprobe hatte ich sehr hohe Erwartungen an die Geschichte und auch den Eindurck, dass das Thema sehr gut in Story verpackt sei, aber dann wurde ich beim Lesen doch enttäuscht.

    Zum einen ersteinmal optisch, denn das Cover des Buches sah gänzlich anders aus, als das Cover auf der Vorablesenseite. Dort war es schwarz gehalten und das türkischblaue brach durch einen Riss hindurch. Das "vorläufige Cover" wie auf einem Aufkleber auf dem eingeschweißten Plastik zu lesen stand, gefiel nicht mehr so gut.

    Auch meine Erwartung an den Plot wurden leider enttäuscht, ich fand schwer rein, in Geschichte und Namen. Als ich diese dann einigermaßen sortiert bekommen habe, fand ich das Thema "Sehenkönnen" bei Nova leider nicht überzeugend umgesetzt. Es ist schon authentisch dargestellt, dass das was ein Kind von klein auf sehend lernt, für einen erwachsenen Menschen schwer, anstrengend und frustrierend zu erlernen ist, denn gerade dass Farbenmischen z.B. dass Blau und Gelb Grün ergibt oder Formen, Entfernungen, Spiegelungen, Helligkeit, Dunkelheit etc. Aber es muß doch nicht nur frustrierend sein, sondern auch faszinierend? Das hat mir etwas gefehlt, dass hier der Zauber des Neuen nicht mehr Raum in der Geschichte eingenommen hat.

    Die Charakter, gerade weil es nur eine Handvoll in der Geschichte sind, hätten etwas mehr Tiefe und Lebendigkeit vertragen können, gerade Kate fand ich sehr sehr blass und habe sie häufig nicht verstehen können, was ihre persönlichen Gefühle in Bezug auf Nova oder ihren Mann Tony, ihre Gefühle in ihrer Ehe oder Nova gegenüber anging.


    Die Liebesgeschichte, in der auch auf dem Klappentext die Rede ist, ist nett, hätte ich mir aber etwas bezaubernder gewünscht.Auch hier hatte ich echt mehr erwartet.

    Eine kleine Spannungs-Nebenhandlung ist ebenfalls in die Geschichte eingewoben und endet mit einem Ende was es meiner Meinung nach nicht gebraucht hätte und was ich ein wenig, des Guten zuviel fand. Das Buch hätte auch ohne diesen Handlungsstrang eine schöne Geschichte geboten, bei der ich aber sage, dass es leider nicht das ganze Potenziel, was die Geschichte bot, ausgeschöpft hat



    Note 3

  • Bewegende und eindrückliche Geschichte

    In seinem Debütroman „Die Welt in allen Farben“ erzählt John Heap die Geschichte von Nova und Kate. Die beiden treffen zunächst in durch Zufälle wiederholt aufeinander. Denn eigentlich scheint sie auf den ersten Blick nicht viel zu verbinden. Nova ist Dolmetscherin bei der Polizei. Sie wirkt selbstbewusst und aufgeweckt, spricht fünf Sprachen und kreiert exzentrische Sandwiches. Und sie war von Geburt an blind. Doch nach einer Operation können ihre Augen die Lichtreize wahrnehmen und an ihr Bewusstsein weiterleiten. Aber sie versteht nicht, was sie sieht und auf einmal ist die Welt nicht mehr vertraut. Sie nimmt optische Reize wahr, aber ihr Gehirn kann zunächst keine Informationen daraus gewinnen.

    Der Roman zeigt auf, dass dieser für uns so selbstverständliche Prozess des Sehenlernens wunderbar, faszinierend und unendlich komplex ist. So werden auch dem Leser durch diese Thematik und vor allem durch ihre gelungene Umsetzung die Augen geöffnet. Die Situation in der Nova nach ihrer Operation steckt, das Wahrnehmen ohne zu erkennen oder zu begereifen ist sehr weit entfernt von jemandem, der von Geburt an sehen kann. An diesen Zustand können wir uns nicht erinnern. Dennoch wird Novas Geschichte so greifbar und eindrücklich erzählt, dass man das Gefühl hat, zu verstehen.


    Der zweite Strang der Handlung wird aus der Sicht von Kate erzählt. Sie arbeitet als Architektin und verheiratet. Aber ihr Ehemann hat nicht nur die Seite, die sie zunächst an ihm kennengelernt hat. In diesem Teil der Roman spielt häusliche Gewalt eine große Rolle.

    Auch wenn ich Kates Verhalten im Umgang mit ihrer Situation nicht immer nachvollziehen konnte, hat mich vor allem dieser Teil der Geschichte sehr mitgenommen.


    Was das die Handlung anbelangt, so scheint es ein ständiges Auf- und Ab zu geben. Dies mag anstrengend erscheinen, fesselt aber auch an die Geschichte.

    Die Protagonistinnen habe ich beide als sehr interessant empfunden, trotzdem hätte ich mir an einigen Stellen mehr Hintergrundinformationen gewünscht. Beispielsweise erfährt man zwar von Kate, dass sie sich mit Freundschaften schwertut, aus Novas Privatleben jedoch kaum etwas. Wie und mit wem hat sie ihre Zeit verbracht, bevor sie auf Kate traf?


    Erzählt wird im Präsens in der dritten Person aus Sicht von Nova und Kate. In Szenen, in denen beide vorkommen, war es für mich daher manchmal nicht direkt ersichtlich, welche Wahrnehmung zu wem gehört. Zudem wirkte der Erzählstil teilweise recht distanziert. Obwohl die Erzählweise mir zunächst sehr ungewohnt erschien, scheint sie für diesen Roman zu funktionieren und verleiht im etwas Besonderes. Insgesamt werden das Geschehen und die Empfindungen der funktionieren einfühlsam und anschaulich rüberzubringen.

    Der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Passagen variiert stark. Manchmal liegen Tage, manchmal Monate zwischen zwei Kapiteln. Hier helfen aber die Monatsangaben zu Beginn der einzelnen Abschnitte.


    Eine schöne Ergänzung zu der eigentlichen Handlung sind Novas „Sehregeln“, die zwischendurch immer wieder eingestreut werden. Zunächst sind es sehr praktische Erkenntnisse, die Nova dabei helfen, etwas in dem zu erkennen, was sie sieht. Spätere Einschüben können mehr und mehr im übertragenen Sinn gesehen werden und ergänzen die Handlung.



    Insgesamt eine bewegende und eindrückliche Geschichte, die in einem sehr eigenen Stil erzählt wird.

  • Beeindruckend!


    Nova ist blind und kann durch eine Operation ihre Sehkraft wiedererlangen. Wobei wiedererlangen nicht ganz korrekt ist, denn Nova ist seit ihrer Geburt blind. Im Krankenhaus lernt sie Kate kennen, die wegen häuslicher Gewalt hospitalisiert wurde. Die beiden Frauen finden sofort einen Draht zueinander und sehr schnell ist Nova klar, dass es für sie Liebe auf den ersten Blick ist. Doch Kate ist verheiratet und ist sich unsicher, wie sie mit den Gefühlen umgehen soll...



    Fast ein Drittel des Buches laufen die Lebensgeschichten von Nova und Kate nebeneinander her. Einerseits lernt man die blinde Nova kennen, die nach einer OP wieder sehen lernen muss. Die Passagen zu Beginn, in denen sie noch nicht sieht, sind sehr eindrücklich beschrieben. Ich konnte mich sehr gut in sie hineinversetzen und nachvollziehen, wie es ist, überall gegen Barrieren zu rennen. Sehr interessante Ausführungen begleiten Novas Entscheid die OP zu wagen. Erstaunt hat mich, dass sie nicht Angst hat, dass was schief geht. Sondern wie es ist, nach einem Leben in Dunkelheit plötzlich sehen zu können. Nicht einfach, wie sich im Lauf der Geschichte zeigt. Ich habe mir das nie so überlegt, wie es ist, nach 20 oder 30 Jahren plötzlich sehen zu können. Dass man sehen üben und trainieren muss!


    Andererseits ist man als Leser haunah dabei, als Kate von der fröhlichen Frau zu einem Häufchen Elend wird. Wie ihr Mann irgendwann eine Grenze überschreitet und sie schlägt. So ist auch diese Perspektive sehr fesselnd. Ich empfand gerade die Stimmung, die immer mehr kippt in dieser Beziehung, wirklich toll ausgearbeitet.

    Dann verbinden sich die beiden Perspektiven und neue Fragen, Unsicherheiten und auch Ueberraschungen tauchen auf. Die Figur Kate, die sich mehr und mehr vorstellen kann eine Frau zu lieben, ist hervorragend charakterisiert. Aber auch Nova, die sehr sicher weiss, was sie will und herausfinden muss, ob Kate dasselbe fühlt, ist gut ausgearbeitet. Wie die Liebesgeschichte ausgeht, spoilere ich hier natürlich. Nur so viel dazu : Auf den Leser wartet noch einiges an überraschenden Wendungen.


    Sehr ausdrucksstark ist der Schreibstil. Ich konnte mich so richtig in die Figuren hineinversetzen und das ohne, dass langatmig seitenlang Gefühle beschrieben werden.

    Dieses Buch bietet so vieles: Es zeigt das Leben von blinden Menschen, das Schicksal geschlagener Frauen und auch eine wunderschöne Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen.

    Und dann ist es noch sehr tiefgründig und fesselnd! Von mir eine klare Leseempfehlung!


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  • Was der Klappentext verschweigt: "Die Welt in allen Farben" ist so viel mehr als ein Buch über eine Blinde, die das Sehen lernt. Und gerade dieser überraschende Teil der Handlung ist es, der bei mir für Punktabzug sorgt. Zwar baut er Spannung auf, aber bringt gleichzeitig einen Erzählstrang ein, der am Ende sehr zugespitzt und zu schnell aufgelöst wird. Ich konnte nicht wirklich nachvollziehen, wofür das Buch diesen Handlungsstrang braucht. Er lenkt zu sehr vom eigentlich wichtigen Thema ab, das dieses Buch so aus der Masse hervorhebt. Denn für mich hat der Autor auf sehr authentische und faszinierende Weise beschrieben, wie es für eine Blinde sein muss, plötzlich zu sehen. Es hat auf mich so gewirkt, als hätte das Schicksal seiner Protagonistin den Autor selbst ereilt, so intensiv, nachvollziehbar und spürbar sind seine Beschreibungen. Einen weiteren Punktabzug gibt es aufgrund der teils langatmigen Darstellungen des Alltags der Protagonisten, die mich nicht begeistern und nicht an das Buch fesseln konnten.


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    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


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