Verlagstext
Der Uhrmacher Dave Galloway lebt mit seinem Sohn Ben in
Everton, einer Kleinstadt im Nordosten der USA. Dave ist »wie manche Patienten,
die so große Angst vor dem Ausbruch der Krise haben, dass sie gleichsam auf
Sparflamme leben«. Doch hatte er eine andere Wahl, nachdem seine Frau plötzlich
aus seinem Leben verschwand? Eines Tages ist auch sein Sohn verschwunden. Ben
und seine Freundin Lillian werden einer schrecklichen Tat verdächtigt und von
der Polizei quer durch Amerika gejagt. Dave Galloway muss sich den Dämonen der
Vergangenheit stellen.
Der Autor
Lokalreporter, Groschenromanschreiber, Frauenheld: Als
Georges Simenon 1922 das heimische Lüttich verließ und schließlich in Paris
landete, hatte er schon einiges erlebt. Bereits mit 15 hatte der lesehungrige
Jesuitenschüler, geboren am 13. Februar 1903, die Schule verlassen und zum
Familienunterhalt beitragen müssen. Er begann als Konditor- und
Buchhändlerlehrling, brach beide Lehren ab und schrieb wie ein Besessener.
Seinen klaren und schnörkellosen Stil trainierte Simenon in unzähligen
Auftragsarbeiten. 1929 erschien der erste „Maigret“-Roman. Der grüblerische und
desillusionierte Kommissar begleitete von nun an jahrzehntelang den ruhelosen
Autor. Simenon starb am 4. September 1989 in Lausanne. Er hinterließ 75
Maigret-Romane, über 120 Non-Maigret-Romane und umfangreiche Aufzeichnungen zu
seinen „Intimen Memoiren“.
Inhalt
Dave Galloway ist Uhrmacher in der US-Kleinstadt Everton.
Er repariert und restauriert alles, was kompliziert, fragil und mechanisch ist,
und fährt dazu auch mit einer kleinen Werkstatt in seinem Transporter zu den
Kunden. In der Wohnung über seiner Werkstatt lebt er mit Sohn Ben, den er
allein versorgt, seit Ben circa ein halbes Jahr alt war. Nur wegen der Wohnung
nah bei seiner Werkstatt ist Dave mit Ben überhaupt nach Everton gezogen. Daves
Leben wird von seinem Beruf und seinen Vaterpflichten bestimmt. Außer dem
Training der Baseballmannschaft zuzuschauen ist sein einziges Vergnügen das
regelmäßige Backgammon-Spiel mit Musak,
einem finster wirkenden Einwanderer, der auch als Handwerker arbeitet. Der
heutige Spieleabend wird der letzte sorglose Abend für Dave sein. Unübersehbar
braut sich über ihm eine Katastrophe zusammen; denn am nächsten Morgen wird Ben
mit Daves Lieferwagen abgehauen sein.
Dave hat offenbar schon früher darüber gegrübelt, ob Ben
glücklich ist und ob der Junge sich eher wie er selbst oder wie seine Ex-Frau
Ruth entwickeln wird. Da Ben sein Verschwinden offensichtlich kühl und perfekt
vorbereitet hat, muss sich Dave nun fragen, ob ihm in der Entwicklung seines
Sohnes etwas Entscheidendes entgangen ist.
Simenon erzählt in wenigen Worten aus Daves Perspektive
von der besonderen Vater-Sohn-Beziehung, aber auch von Daves Freundschaft mit
Musak. Wie ein Maler zeichnet der Autor mit wenigen Pinselstrichen ein
nüchternes Bild seiner Figuren und schafft so eine Stimmung, die die kommende
Bedrohung von Anfang an spüren lässt. Als Leser ist man der Handlung stets ein
paar Schritte voraus, während Dave lange am Bild seines Sohnes festhält, das
von den Ereignissen längst überholt wurde. Dave glaubt noch immer, er müsste
der Polizei und der Presse seinen Sohn
erklären, während Ben längst Fakten geschaffen hat.
Fazit
In Simenons Reihe der „Romans durs“ entstand „Der
Uhrmacher von Everton“ 1954 in den USA und wurde im selben Jahr veröffentlicht.
Im aufschlussreichen Nachwort interpretiert der Autor Philip Haibach den
„Uhrmacher“ als eine umgedrehte Road-Novel mit einer in ihrer Heimat fest
verwurzelten Hauptfigur. Mein erster Nicht-Maigret von Simenon war „Das Haus am
Kanal“, ich vermute damals in der Diogenes-Ausgabe. Meine Verblüffung, wie
genau Simenon den Alltag kleiner Leute
beschreibt, hat sich bei diesem Buch wiederholt, hier verstärkt durch die
Sicht der 50er Jahre, als ein alleinerziehender Vater noch lange nicht so
selbstverständlich war, wie Simenon Dave darstellt.