Inhalt: Erebos ist zurück. Nick kann es nicht fassen. Plötzlich ist dieses Auge auf seinem Handy, das rote E. Und das Spiel zieht ihn erneut erbarmungslos hinein in Geschehnisse, die auch vor der Realität nicht anhalten. Aber er hat keine Wahl, denn Erebos ist noch besser geworden.
Derek dagegen ist fasziniert. Keine Ahnung, woher die neue App seinem Handy stammt, aber das Spiel ist gut und es hat ihn auserwählt. Begierig wartet er auf Anweisungen und befolgt die Anweisungen des Boten. Und erst langsam kommen ihm Zweifel, dass irgendetwas mit Erebos nicht stimmt.
Meine Meinung: Zehn Jahre sind seit der ersten Spielrunde von Erebos vergangen. Und niemand hat damit gerechnet, dass es wieder auftauchen würde - weder Leser*innen noch Protagonist Nick. Letzterer ist inzwischen Student und finanziert sich sein Studium mit Fotografie. Auf dem Weg zu einem Job bei einer Hochzeit bemerkt er zum ersten Mal ein neues Symbol auf seinem Handybildschirm und weiß sofort, dass Erebos zurück ist. Er will verdrängen, nichts mit dem Spiel zu tun haben, aber schon kurz darauf hat es ihn in der Hand. Und es wird schnell klar, dass es durch allgegenwärtige Smartphones nur noch mächtiger und noch gefährlicher geworden ist. Die kleinen technischen Geräte machen es Erebos nur zu leicht, seine Spieler zu orten, abzuhören und unter Druck zu setzen. Doch spielen muss Nick noch immer am Computer und taucht als Sarius wieder in die Welt von Erebos ein, wenn es ihn braucht.
Doch dieses Mal gibt es auch noch einen neuen Protagonisten: Derek - ebenso naiv und begeistert wie Nick am Anfang. Zuerst hält er die unbekannte App auf seinem Handy für einen Streich seiner Schwester, dann ist er begeistert von der Machart Erebos'. Es ist seine Flucht vor nervigen Matheaufgaben und Familienproblemen und die Faszination, die die strengen Regeln aufbauen. Er lernt, sich im Spiel zurecht zu finden. Er trifft den berüchtigten Boten; ein paar Veteranen (Spieler der 1. Generation); eine Spielerin, die ihn an ein Mädchen aus seiner Klasse erinnert; sowie eine Figur, die ihn ermutigt und ihm nötige Hilfestellungen gibt - sowohl für die virtuelle als auch die wirkliche Realität.
Anfangs klaffen die Einstellungen der Protagonisten weit auseinander. Derek erlebt all das, was Nick vor zehn Jahren erst durchmachen wollte und dann musste, und dieser Kontrast funktioniert gut. Sie wechseln sich mit ihren Kapiteln ab und darin stecken häufiger Passagen aus dem Computerspiel. Dieser Realitätenwechsel ist einer der Punkte, der Leser*innen aus dem ersten Band noch im Gedächtnis sein sollte. Ansonsten ist es nicht schlimm, wenn Teil eins nur noch verschwommen im Kopf herumspukt: Sicher kommen einige Charaktere wieder vor, wir befinden uns noch immer in London und Nick spielt weiterhin die größte Rolle, aber alles hat sich rasant entwickelt. Er befindet sich im Studium; mit Derek gibt es ein neues Schulsetting, wobei das weniger Raum einnimmt als noch bei dem Originalprotagonisten. Trotzdem lernt man neue Mitschülerinnen und Mitschüler kennen und Dereks Familie, die nicht aufgearbeitete Probleme bekommt - vermutlich um ihn interessanter zu machen, was aber letztlich zu nichts führt. Hier ist deutlich spürbar, dass zwei Protagonisten nicht den gleichen Raum kriegen können auf 500 Seiten, wie wenn es nur einen gibt - schon gar nicht, wenn die beiden sich nicht in derselben Umgebung bewegen.
Deutlich profitiert von den zehn Jahren hat aber das Spiel. Brauchte es anfangs noch eine CD zum ersten Eintritt in die Welt von Erebos, findet es nun selber einen Weg auf Handy und Computer. Kein Rekrutieren mehr. Kaum noch Ausspionieren der Mitspieler. Erebos bedient sich eigentlich sämtlicher für es praktischer Funktionen, um seine Spieler zu kontrollieren. Dass das an sich schon bedrohlich ist und zu denken geben sollte, kommt leider zu kurz. Etwas mehr allgemeine Medienkritik hätte Poznanski einbauen können, aber letztlich war das auch bei Band eins eine der zentralen Botschaften, für die er inzwischen auch Einzug zumindest in deutsche Klassenzimmer erhalten hat.
Das Buch immer noch ein Jugendroman. Auch Zielgruppenleser*innen der ersten Stunden dürften - wie Nick - inzwischen in ihren 20ern sein. Durch die Kombi aus zwei Protagonisten kann Poznanski sowohl ihnen als auch neuen Jugendlichen Identifikationspotential bieten. Einerseits wird am Rande studentisches Leben mit Geldproblemen, zu kleiner Wohnung und Beziehungsstress thematisiert, wobei das alles so beiläufig passiert, dass man gerade letzteres am Ende längst vergessen hat. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass die Autorin bisher keine oder kaum Studierende als große Figuren nutzt und Nick in seinem Lebensabschnitt kaum neue Tiefe verleihen kann. Andererseits ist da der Schüler mit Schule, Schwester, Freunden. Das funktioniert soweit, um ihn durchschnittlich interessant zu machen, aber irgendwann fragt man sich auch, was Derek eigentlich macht, wenn er nicht Erebos spielt.
Sprachlich arbeitet der zweite Teil (vermutlich) so wie sein Vorgänger. Die Abschnitte in der virtuellen Realität sind im Präsens und ziehen selbst beim Lesen schon in die Abenteuer. Egal, wie abgedreht und beängstigend das ganze Spiel ist, man ertappt sich irgendwann, dass man doch vielleicht einmal zumindest auf dem Computer eintauchen wollen würde. Die Geschichte in der Wirklichkeit ist dagegen klassisch im Präteritum verfasst. Das mag am Alter liegen oder am Studienfach, aber der Wechsel von virtuell auf wirklich klingt jedes Mal völlig missraten. Das wird nicht jeder und jedem so gehen und vielleicht ist es gewollt, einen wie das Spiel herauszuschmeißen, aber irgendwann nervt, dass sich die Sätze falsch anfühlen und man die erste Sätze eines Absatzes nochmal liest.
Und wie ist jetzt die Auflösung? Denn eigentlich geht es wieder darum, dass Nick sich nicht mit dem Spiel zufrieden gibt und sich sicher ist, dass es selbst Hinweise in sich trägt, was das große Ganze sein soll. Das war bereits im ersten Band der Fall und Erebos funktioniert wieder genauso. Es ist letztlich eine Mischung aus dem, was man sich im späteren Verlauf zusammenreimen kann und weiteren Details, die rückblickend Sinn ergeben. Woran es genau liegt, dass ich nicht ganz zufrieden bin, kann ich nicht genau benennen. Vielleicht ist es die fehlende Gesellschaftskritik, die man dort gut hätte anbringen können. Oder meine mangelnde Emotionalität beim Lesen. So sehr hat Erebos mich nämlich nicht in den Bann gezogen.
Fazit: Erebos braucht inhaltlich keine Fortsetzung, kann aber hier einen soliden zweiten Band sein eigen nennen. Gerade wer mit Teil eins vor Jahren zufrieden war und sich genretechnisch inzwischen anders orientiert, kann das Buch getrost links liegen lassen.
Allerdings hat die Autorin es geschafft, die technischen Möglichkeiten von heute zu nehmen und an ihre Geschichte von vor knapp einem Jahrzehnt anzudocken. Traurigerweise habe ich nämlich den Eindruck, dass es Erebos heute weitaus leichter wäre, Fuß zu fassen und sich auszubreiten. Jugendliche von heute brauchen vermutlich auch diesen Teil, um die Geschichte mehr auf ihre Lebenswelt zu beziehen.
Und wer Poznanskis Jugendbücher mag, der sollte sowieso reinschauen, denn schlecht ist es definitiv nicht.