Karina Sainz Borgo – Nacht in Caracas / La hija de la española

  • Verlagstext

    Karina Sainz Borgos Roman »Nacht in Caracas« ist ein intensives literarisches Debüt über das Schicksal einer jungen Frau und ein virtuoses Portrait eines untergehenden Landes.

    Adelaida beerdigt ihre Mutter, aber sie bleibt nur kurz am Grab stehen. Auf dem Friedhof ist es gefährlich, genau wie an jedem anderen Ort in Venezuela. Noch vor kurzem kamen die Menschen aus Europa, um hier ihr Glück zu machen. Nun versinkt das Land in Chaos und Elend. Als Adelaida gewaltsam aus ihrer Wohnung vertrieben wird, weiß sie nicht wohin. Alles, was sie geliebt hat, existiert nur noch in ihrer Erinnerung. Wenn sie sich retten will, bleibt ihr nur die Flucht.


    Die Autorin

    Karina Sainz Borgo wurde 1982 in Caracas geboren und emigrierte vor mehr als zwölf Jahren nach Spanien. Ihre Verwandten leben weiterhin in Venezuela. Sie arbeitet als Journalistin in Madrid und schreibt für verschiedene Zeitungen und Blogs in Spanien und Lateinamerika. »Nacht in Caracas« ist ihr erster Roman.

    Interview mit der Autorin


    Inhalt

    Als Adelaida Falcóns Mutter stirbt, trifft die Mangelwirtschaft der venezolanischen Diktatur die junge Frau besonders hart. Nachdem sie zuvor schon Medikamente für die Patientin auf dem Schwarzmarkt kaufen musste, sieht die Familie sich nun einer Beerdigung wie am Fließband gegenüber. Begraben werden kann die Mutter erst, als Adelaida einen Euroschein zückt. Mit dem eigenen wertlos gewordenen Geld kann man im Land schon lange nichts mehr kaufen. Die allgegenwärtige Knappheit hat die Menschen neugierig, geschäftstüchtig und gierig gemacht. In einer „dahinsiechenden Stadt“ trifft der Tod die Angehörigen deutlich stärker, obwohl schon immer Menschen verschwanden und irgendwo gefoltert wurden. Für Adelaida bestand ihre Familie aus ihrer Mutter, die ebenfalls Adelaida heißt, den Schwestern der Mutter und ihr. Der Name des Vaters wurde nie genannt; die geballte Neugier der beiden Tanten wie ein Naturgesetz hingenommen. Wie Hohn wirkt die Ablehnung einer vaterlosen Schülerin durch die katholische Schule in einer Gesellschaft, in der Männer noch nicht einmal behaupten müssen, sie gingen Zigaretten holen, wenn sie ihre schwangere Partnerin sitzenlassen. Mutter Adelaida hat sich jahrelang mit zusätzlichem Privatunterricht abgerackert, um über die Runden zu kommen. Seit ihrer Kindheit sind Plünderungen und Massengräber für die Tochter Adelaida Alltag gewesen. Der Lärm in der Wohnung über Adelaida legt nun nahe, dass die Polizei in Uniform Raubüberfälle begeht; denn welcher Polizist würde bei einer Verhaftung die Mikrowelle des Verdächtigen mitnehmen? Eine gespaltene Gesellschaft sortiert die Menschen in Besitzende und Habenichtse, in die die bleiben und die, die dieses Leben nicht mehr ertragen. Adelaida war umgeben von Einwanderinnen aus Spanien und Italien, Frauen die wie ihre Mutter in Dienstleistungsberufen arbeiteten. Doch die, die in ihren Heimatländern inzwischen vergessen sind, wollen nun wieder zurück nach Europa. Als jemand frech Adelaidas Wohnung besetzt und die Schlösser austauscht, glaubt sie zunächst, auch sie könnte sich einfach die Wohnung und die Identität ihrer Nachbarin Aurora überstreifen. Für Adelaida kommt der Punkt, an dem es ihr einfach reicht – und sie mit neuer Identität in die alte Heimat ihrer Mutter geht.


    Fazit

    Karina Sainz Borgos makabre Mutter-Tochter-Geschichte erzählt aus der Ichperspektive vom Niedergang eines Landes und davon, wie Diktaturen der schamlosen Bereicherung Einzelner dienen, die die Macht dazu haben. In Adelaida Falcóns Umgebung geschehen groteske Dinge, die laut Aussage der Autorin nicht den Anspruch erheben, Fakten zu sein. Doch was könnte grotesker sein als der Anspruch, jemand müsste wie eine zweite Haut eine andere Identität überziehen, um in einem neuen Land leben zu dürfen? Da Karina Sainz Borgo selbst aus Venezuela nach Spanien emigrierte, lesen sich die kurzen Kapitel ihres Romans wie ein Aufschrei.


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Natürlich wissen wir aus den Nachrichten, was in Venezuela los ist. Aber kaum hat man es gehört, da ist es auch schon fast vergessen, denn es ist ja so weit weg.

    Die Autorin Karina Sainz Borgo aber zeigt in diesem Roman so bedrückend und eindringlich, wie das Land in Elend und Chaos versinkt, dass man so schnell nicht wieder vergisst.

    Adelaida Falcóns Mutter hatte Krebs. Adelaida hatte eine enge Beziehung zur Mutter und hat alles für sie getan. Nun wird sie beerdigt, aber nicht einmal das geht in Ruhe und mit Würde. Zu gefährlich ist das Pflaster in Caracas und selbst auf dem Friedhof. Kurze Zeit später wird ihre Wohnung von bewaffneten Frauen besetzt und Adelaide wird vertrieben. Wo soll sie hin? Ihr bleibt nur die Flucht, wenn sie sich retten will.

    Adelaide hat den Halt verloren. Sie muss nicht nur mit dem Verlust der Mutter fertig werden, sie verliert auch die gewohnte Umgebung, die sie jetzt so nötig gebraucht hätte. Ihr bleiben nur die Erinnerungen. Wie kann man da nicht verzweifeln und doch ist da auch immer ein Stückchen Hoffnung. Ich konnte gut mit Adelaide fühlen, trotzdem hätte ich mir manchmal gewünscht, noch mehr von ihren Gefühlen zu erfahren und weniger von dem Schrecklichen, was in diesem Land passiert.

    Es ist eine fiktive Geschichte und doch so nahe an der Wirklichkeit. Wir erleben mit, wie es in Venezuela zugeht, das vor gar nicht langer Zeit noch ein Ziel von Europäern war. Nun ist es gefährlich. Auf den Straßen gibt es Gewalt. Die Korruption ist groß – die Willkür ebenso. Die Inflationsrate steigt ins Unermessliche.

    Es ist nicht leicht, diese Geschichte zu lesen, denn zu furchtbar ist das, was dort geschieht. Es ist beklemmend und macht fassungslos und dennoch wird man durch dieses Buch gefesselt. Diese Geschichte bleibt lange in Erinnerung.