Kiriko Nananan - blue / ブルー / Burū

  • Kurzmeinung

    Jean van der Vlugt
    Damit ist wohl alles gesagt über den Übergang von Kindheit zu Erwachsensein, erste Liebe & ungleiches Lieben. Grandios!
  • Die Autorin (Wikipedia): Kiriko Nananan ist eine am 14. Dezember 1972 in der Präfektur Niigata geborene japanische Manga-Zeichnerin, die hauptsächlich Josei-Manga, also Manga für erwachsene Frauen zeichnet. Unter dem Einfluss von den Comickünstlern Kyōko Okazaki und Murasaki Yamada veröffentlichte sie 1993 erste Arbeiten. Internationales Aufsehen erregte sie mit ihrer zunächst 1996 im Magazin "Comic Are!" veröffentlichten Comig-of-Age-Geschichte "blue" über zwei verliebte Oberschülerinnen, der im Jahr 2001 auch als Realfilm verfilmt wurde. Kiriko Nananan wird als Teil der Künstlervereinigung "Nouvelle Manga" betrachtet, die franko-belgische und japanische Comickünstler versammelt. Auf dem bedeutenden Internationalen Comicfestival von Angoulême gewann sie 2008 (wie vor ihr schon Chris Ware, David B., David Prudhomme oder Ben Katchor) den Prix de l’école supérieure de l’image .


    Kurzbeschreibung (Klappentext): Blau sind das Meer und der Himmel an der Stelle, die Kayako manchmal nach der Schule aufsucht. Eines Tages begleitet die schweigsame Masami sie. Aus Freundschaft wird Liebe, und aus Liebe wird Leid. Es ist ein gezeichneter Blues, der von ungewöhnlicher Sensibilität und großem gestalterischen Können zeugt.


    Der Comicroman "blue" erschien im Original zunächst in Fortsetzungen von Januar bis Oktober 1996 im Indie-Manga-Magazin "Comic Are!". 1997 folgte eine Publikation in Buchform in der Reihe "Magcomics" des Tokioter Verlages "Magajin Hausu". 2004 wurde eine englische Übersetzung von Ryosuke Okawa und Elizabeth Tierman bei dem kleinen englischen Fanfare-Verlag in Wisbech veröffentlicht. Die Leserichtung folgt der japanischen Ausgabe, genauso wie in der deutschen Ausgabe von 2006, die ohne Nennung des Übersetzers beim Verlag "Schreiber & Leser" unter dessen damals neuem Manga-Label "Shodoku" erschienen ist.


    Mit diesem Comicroman ist wohl alles über den Übergang von Kindheit zu Erwachsensein gesagt.:love: Wie es sich anfühlt, vermeintlich ganz oben zu sein, eingebunden in ein soziales Netz aus Freundschaften, kurz bevor sich die Freunde in alle Winde verstreuen und man einander bald vergessen haben wird. Alles in Melancholie gebadet. Kurz bevor das soziale Gefüge kippt, und man nicht mehr in der Hierarchie der Schullaufbahn ganz oben steht, sondern wieder unten anfängt beim Eintritt in die Universität, ins Berufsleben oder in den Alltag als Ehefrau. Wie Kiriko Nananan dieses schwebende Gefühl des Endes der Schule einfängt, in das sich Abschiedschmerzen und das Leugnen des baldigen Versickern der meisten Freundschaften einschleichen, fand ich grandios – und im Grunde fast tonangebender und allgemeingültiger als das Thema der zaghaften und wankelmütigen lesbischen Liebe zweier Oberschülerinnen, das die Rezeption des Comics im Allgemeinen bestimmt.


    Aber tatsächlich erscheint es mir vergleichsweise unerheblich, wer sich da ineinander verliebt. Dass es eine gleichgeschlechtliche Liebe ist, lässt zum Glück einige Klischees außen vor, die mit gängigen Geschlechterrollen zusammenhängen: Hier kann man nicht davon sprechen, die Frau wäre eben gefühliger oder anhänglicher oder unerfahrener als der Mann, ebenso wenig, wie dass der Mann polygamer, freigeistiger, kaltschnäuziger oder sexuell herausfordernder wäre. Das gleiche Geschlecht der beiden Liebenden lässt den Leser die Liebe purer erfahren, ohne sich von schnellen Zuschreibungen blenden lassen zu müssen. Jedes vorsichtige Herantasten, jedes sich für seine geringere Erfahrung schämen, jedes noch kindliche Unvermögen, ein so raumgreifendes Liebesgefühl einzuordnen, auch jedes Nichtverständnis für Zurückweisungen zeigt sich als allgemeingültiges Verhalten eines Liebenden – und nicht als das Verhalten eben einer liebenden Frau oder eben eines liebenden Mannes. Nur so kann der Leser, der ja im Grunde ganz ohne eigene Beteiligung mit ihm völlig unbekannten Figuren mitleidet, beispielsweise den einmal im Manga geäußerten Wunsch, das liebende Gegenüber solle seine Liebe gerade dadurch ausdrücken, ganz allein für sich in der Fremde sein Glück im Leben zu machen, als wirklichen Ausdruck eines Gefühls echter Liebe verstehen, und ihn eben nicht als vorgeschobene Vermeidungsstrategie misszuverstehen, um mit einem blauäugigen Dummchen - scheinbar großmütig klingend - Schluss zu machen. Der größte Ausdruck der Liebe ist eben manchmal, dem anderen seine Freiheit zu lassen. Schenk mir deine freie Entfaltung! Dass das unter Heranwachsenden nicht ohne Herzschmerz abläuft, wundert kaum.:wink:


    Der Zeichenstil ist vorzüglich und von einer hochgradigen Reduziertheit, die jeden Strich zuviel als Verschwendung erscheinen lässt. Die Personenzeichnung ist so einfach gehalten, dass die Figuren manchmal nur dem Strich einer Modezeichnung ähneln - und dabei doch so prägnant im Ausdruck, dass nicht mehr gesagt bzw. gezeigt werden muss. Wie man mit nur so wenigen Strichen ein ausdrucksstarkes Gesicht entstehen lassen kann, ist ein ästhetischer Hochgenuss! :pray: Gerade deswegen sind die Figuren allerdings auch, vor allem wenn sie von hintem mit seitlich gedrehtem Kopf, im Anschnitt oder von der Seite gezeigt werden, als Schülerinnen obendrein alle mit ähnlicher Schuluniform bekleidet, manchmal schwierig auseinanderzuhalten. Da aber die Figuren einander ständig ansprechen, ist schon ziemlich klar, wer da was mit wem redet.[-X Was man hierbei gut merkt, ist wie das Bild einer Figur (auch gerade dasSelbstbild) über die Ansprache und das soziale Gefüge gebildet wird. Was die einzelnen Personen empfinden, bleibt dahinter manchmal verborgen. Auch die ungewissen Gefühle einer liebenden Personen klären sich oft erst dann, wenn darüber ein ehrlicher Austausch stattfindet.


    Ich bin jedenfalls - nicht zuletzt wegen des sehr treffenden, künstlerischen Zeichenstils - schwer begeistert von diesem Manga über erste Liebe, die Unsicherheit der Gefühle und die befürchtete oder tatsächliche Ungleichheit der Liebe. Und vor allem: Der melancholische Abschied von der Kindheit - auch wenn sie sagen, sie würden dich nie vergessen, ist ein "ja vielleicht" das höchste der Gefühle, an das du dich halten kannst! Grandios und schön traurig! :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


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    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Die japanische Originalausgabe bei "Mag Comics".

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  • Die englische Übersetzung, 2008 bei Ponent Mon veröffentlicht.

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  • Eine aktuelle französische Ausgabe mit etwas anderem Artwork. Übersetzung: Corinne Quentin.

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  • Und eine italienische Ausgabe bei Dynit Manga. Übersetzer: A. Ozumi.

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