Bernardine Evaristo - Mädchen, Frau etc. / Girl, Woman, Other

  • Inhalt:

     

    12 Geschichten über Menschen die Großbritannien ihr Zuhause nennen. Die meisten Frauen, die meisten schwarz.


    Da gibt es Winsome die in den 50er frisch verheiratet aus Barbados in Cornwall ankommt, nur um festzustellen das ihr Mann ein Träumer ist der nichts auf die Reihe bekommt.


    Carole, die in Oxford studiert und ihre nigerianischen Wurzeln hinter sich lässt um bei der Elite nicht zu sehr aufzufallen.

     

    Amma die im London der 80er versucht die Theaterbühnen mit ihren feministischen Stücken zu erobern.

     

    Shirley die am Anfang noch voller Tatendrang ihre Stelle als Lehrerin antritt, nur um über die Jahre am Schulsystem und den Kindern zu verbittern.

     

    LaTisha die mit 21 schon drei Kinder hat und nun versucht ihr Leben in den Griff zu kriegen.


    Meinung:


    Das Buch hat ca. 450 Seiten wobei sich die 12 Geschichten über 400 davon erstrecken. Das macht wenn man nüchtern und mathematisch an die Sache rangeht, gerade mal 33,33… Seiten pro Person. Nicht wirklich viel könnte man meinen um den Leser zu fesseln. Vor allem da es keinen Plot gibt. Es gibt keinen Spannungsbogen, keine große Offenbarung am Ende. Auch führen die Charaktere ganz ordinäre Leben mit den üblichen Höhen und Tiefen.


    Evaristo schafft es aber auf wenigen Seiten ganze Jahrzehnte an einem Vorbei ziehen zu lassen, und diese so mit Emotionen zu füllen, das man als Leser noch darüber nachdenkt, auch wenn das Buch schon lange zugeklappt ist. Da gibt es Protagonisten die man am Anfang sympathisch findet und am Ende nicht mehr, oder umgekehrt. Mit den einen fühlt man mit, die nächsten möchte man schon fast anschreien. Jeder dieser zwölf Menschen hat seine eigene unverwechselbare Stimme bekommen. Zu keinem Zeitpunkt besteht die Gefahr das man Personen verwechseln könnte, oder das man abdriftet weil man denkt das ganze schon mal hundert Seiten vorher, nur unter einem anderem Namen, gelesen zu haben.


    Die einzelnen Geschichten hängen zwar nur sehr lose zusammen und doch gelingt es Evaristo sie über die letzten 50 Seiten so zusammenfließen zu lassen, dass man als Leser zufriedengestellt das Buch zuklappt.

     

    Etwas das alle 12 gemeinsam haben sind die Themen Feminismus und Rassismus. Nicht immer im Vordergrund aber trotzdem stets präsent. Auch LGBTQ+ Themen kommen vor, wenn auch nicht bei jedem Charakter.

     

    Den eigentlichen Geniestreich hat die Autorin aber damit hingelegt, dass sie das Buch in Vers geschrieben hat. Punkte gibt es nur am Ende eines Kapitels. Dafür immer wieder viele Absätze.

    Manches wurde in Blöcken geschrieben, anderes


    dünnt nach unten


    immer mehr


    aus.

     

    So gibt Evaristo den Rhythmus beim Lesen selbst vor. Und das ergibt ein Timing, das einen beim Lesen auch mal innehalten lässt.

     

    Dieses Buch zeigt Menschlichkeit in all seinen Facetten und ist eines der besten, dass ich die letzten Jahre gelesen habe. Und ich kann es jedem dem das „Literary“ Genre gefällt nur wärmstens empfehlen.

     

    Zum Abschluss möchte ich noch zwei Zitate über das Buch anhängen, die den Schutzumschlag zieren und in wenigen Sätzen auf den Punkt bringen was dieses Buch wirklich ausmacht.

    Zitat

     
    Evaristo's books are always exciting, always subversive, a reminder of the boundless possibilities of literature and the great worth in reaching for them. Her body of work is Incredible.

    Diana Evans

    Zitat

      Once again, Bernardine Evaristo reminds us she is one of Britain's best writers, an iconic und unique voice, filled with warmth, subtlety and humantiy. Girl, Woman, Other is an exceptional work, presenting an alternative history of Britain and a dissection of modern Britain that is witty, exhilarating and wise.

    Nikesh Shukla

  • Klappentext/Verlagstext
    In »Mädchen, Frau etc.« verwebt Bernardine Evaristo die Geschichten schwarzer Frauen über ein Jahrhundert zu einem einzigartigen und vielstimmigen Panorama unserer Zeit. Ein beeindruckender Roman über Herkunft und Identität, der daran erinnert, was uns zusammenhält.
    Die Dramatikerin Amma steht kurz vor dem Durchbruch. In ihrer ersten Inszenierung am Londoner National Theatre setzt sie sich mit ihrer Identität als schwarze, lesbische Frau auseinander. Ihre gute Freundin Shirley hingegen ist nach jahrzehntelanger Arbeit an unterfinanzierten Londoner Schulen ausgebrannt. Carole hat Shirley, ihrer ehemaligen Lehrerin, viel zu verdanken, sie arbeitet inzwischen als erfolgreiche Investmentbankerin. Caroles Mutter Bummi will ebenfalls auf eigenen Füßen stehen und gründet eine Reinigungsfirma. Sie ist in Nigeria in armen Verhältnissen aufgewachsen und hat ihrer Tochter Carole aus guten Gründen einen englischen Vornamen gegeben.
    Auch wenn die Frauen, ihre Rollen und Lebensgeschichten in Bernardine Evaristos Mädchen, Frau etc. sehr unterschiedlich sind, ihre Entscheidungen, ihre Kämpfe, ihre Fragen stehen niemals nur für sich, sie alle erzählen von dem Wunsch, einen Platz in dieser Welt zu finden.


    Die Autorin

    Bernardine Evaristo wurde 1959 als viertes von acht Kindern in London geboren. Sie ist Professorin für Kreatives Schreiben an der Brunel University London und stellvertretende Vorsitzende der Royal Society of Literature. Für ihren Roman Mädchen, Frau etc. wurde sie als erste schwarze Schriftstellerin 2019 mit dem Booker-Preis ausgezeichnet.


    Inhalt

    Amma Bonsu kämpfte 40 Jahre lang darum, dass in England schwarze Frauen auf der Theaterbühne und im Zuschauerraum selbstverständlich dazugehörten. Als sie ihre Liebe für das Theater entdeckte, waren Theaterstücke offensichtlich noch nicht mitgedacht für die Nachkommen afrokaribischer und asiatischer Einwanderer aus ehemaligen britischen Kolonien. Amma kämpfte gegen Marginalisierung aufgrund von Hautfarbe und war Aktivistin für Diversität lange bevor der Begriff in aller Munde gelangte. Heute steht sie als erfahrene und bekannte Regisseurin vor der Premiere ihres Stücks im National Theatre. Das festliche Ereignis liefert dem Roman die Rahmenhandlung. Zu den Ehrengästen werden ihre Tochter, deren biologischer Vater und Gefährtinnen aus Ammas Kampf gegen das männlich dominierte und größtenteils weiße Establishment zählen. Falls Amma, die zur in den 60ern geborenen Generation der Baby-Boomer gehört, je ein anstrengender Teenager war, hat sie ihre frechen Sprüche inzwischen vielfach von ihrer kämpferischen Tochter Jazz zurückbekommen. Aus dem Baby, das im Tragetuch immer dabei war, wurde ein eloquenter Wirbelsturm, der seine Mutter gnadenlos an die Wand argumentiert. Die 19-jährige Jazz hat Amma belehrt, dass ihre Generation keinen „Cliquen“ mehr bilden würde, sondern Crews.


    Aus den Crews/Clustern in Ammas Leben kombiniert Bernardine Evaristo die Geschichte farbiger Einwanderinnen auf die britischen Inseln, ihrer Töchter und Enkelinnen. Auch die Werte, die von drei Frauengenerationen vertreten werden, könnte man als eigene Cluster wahrnehmen. Am kompliziertesten erschien mir anfangs Ammas Abstammung von einem indisch-stämmigen Vater und einer schwarzafrikanischen Mutter, die sich jedoch in Guyana trafen, ehe sie ihr Glück im ehemaligen Kolonialstaat suchten. Ammas Lehrerin Shirley, ohne die sie heute nicht an diesem Ort stände, ihre Klassenkameradinnen (Carole und LaTisha), Vorfahrinnen, aber auch alternative Projekte wie ein besetztes Haus und eine feministische Kommune in den USA verknüpft Evaristo zu einem dichten Bild-Teppich, der die Geschichte des Feminismus erzählt. Warum Shirley sich z. B. ausgerechnet gegen die einzige Frau im Lehrerkollegium auflehnte, symbolisiert noch heute eine der Kernfragen des Feminismus. Die Suche danach, wie die Cluster zusammenhängen und welche couragierten Vorfahrinnen die Frauen geprägt haben könnten, markiert den roten Faden des Romans.


    Geschrieben ist das preisgekrönte Mosaik, als würde es atemlos ohne Punkt und Komma erzählt, Absätze stehen an Stelle der erwarteten Satzzeichen. Das mag zu Anfang als Hürde wirken, ich fand diese Struktur jedoch leicht nachvollziehbar. Sie wird von einer Autorin angewandt, für die es vor 40 Jahren noch normal war, ständig von männlichen Halbgöttern unterbrochen zu werden, selbst wenn die nichts zum Thema beizutragen hatten. Wer ohne Punkt und Komma erzählt, einschiebt, ausholt, erklärt, kann nicht so leicht unterbrochen werden.


    Fazit

    In sensibler Übersetzung und mit köstlich ironischem Unterton legt Bernardine Evaristo eine amüsante Geschichte schwarzer lesbischer (und trans) Feministinnen vor. Ihre Berg-und Talfahrt der Emotionen wird Uralt-Feministinnen einen Toast auf die Freundinnen von Greenham Common ausbringen lassen – und ist einfach ein urkomisches wie berührendes Buch.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Eine deutsche Übersetzung habe ich bisher nicht finden können.

    Inzwischen gibt es sie! :winken:



    Der Verlagstext


    ... verrät aus meiner Sicht zu viel, weshalb ich ihn hier etwas gekürzt habe:


    »Ein beeindruckender, leidenschaftlicher Roman über das Leben schwarzer britischer Familien, ihre Kämpfe, Schmerzen, ihr Lachen, ihre Sehnsüchte und Lieben.« Jury des Booker-Preises

    In »Mädchen, Frau etc.« verwebt Bernardine Evaristo die Geschichten schwarzer Frauen über ein Jahrhundert zu einem einzigartigen und vielstimmigen Panorama unserer Zeit. Ein beeindruckender Roman über Herkunft und Identität, der daran erinnert, was uns zusammenhält.

    Die Dramatikerin Amma steht kurz vor dem Durchbruch. In ihrer ersten Inszenierung am Londoner National Theatre setzt sie sich mit ihrer Identität als schwarze, lesbische Frau auseinander. Ihre gute Freundin Shirley hingegen [...]. Carole hat Shirley, ihrer ehemaligen Lehrerin, viel zu verdanken, sie [...]. Caroles Mutter Bummi will ebenfalls auf eigenen Füßen stehen und [...]. Sie ist in Nigeria in armen Verhältnissen aufgewachsen und hat ihrer Tochter Carole aus guten Gründen einen englischen Vornamen gegeben.

    Auch wenn die Frauen, ihre Rollen und Lebensgeschichten in Bernardine Evaristos Mädchen, Frau etc. sehr unterschiedlich sind, ihre Entscheidungen, ihre Kämpfe, ihre Fragen stehen niemals nur für sich, sie alle erzählen von dem Wunsch, einen Platz in dieser Welt zu finden.

    Quelle: amazon.de


    Meine Meinung:


    Bernardine Evaristo hat einen großartigen Roman vorgelegt, in dem sie klug und facettenreich die Lebenswege von Schwarzen britischen Frauen / trans- oder genderfreien Menschen aus verschiedenen Generationen, verschiedenen Gesellschaftsschichten, mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und unterschiedlicher Politisierung entwickelt. Alle müssen sich auf teils ähnliche, teils ganz unterschiedliche Weise mit ihrer Identität und mit ihrer Position als Schwarze Person in der britischen Gesellschaft auseinandersetzen.


    Mich haben sämtliche Figuren und Lebensläufe intensiv angesprochen, auch wenn ich nicht alle sympathisch fand und bei der Menge an Figuren gelegentlich den Überblick verlor. Trotzdem fand ich jedes einzelne Schicksal spannend, bewegend und nachdenklich stimmend. Als besonders gelungen und raffiniert umgesetzt habe ich die mal feste, mal lockere Verknüpfung der Figuren miteinander empfunden.


    Das einzige, was mich gestört hat, war die ungewohnte Rechtschreibung und Interpunktion mit kleingeschriebenen Satzanfängen und fehlenden Punkten am Ende. Mir erschließt sich nicht, was das für den Inhalt oder die ästhetische Ebene des Romans bringen soll; es stört einfach nur den Lesefluss, bis man sich daran gewöhnt hat.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

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    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Sarange Danke für deine Rezension und das dadurch aufmerksam machen, dass es endlich eine Übersetzung für das Buch gibt :winken:


    Das einzige, was mich gestört hat, war die ungewohnte Rechtschreibung und Interpunktion mit kleingeschriebenen Satzanfängen und fehlenden Punkten am Ende.

    Ich habe gerade in die Leseprobe hineingeschaut. Das stört schon ziemlich.



    Mir erschließt sich nicht, was das für den Inhalt oder die ästhetische Ebene des Romans bringen soll; es stört einfach nur den Lesefluss, bis man sich daran gewöhnt hat.

    Wie schnell gewöhnt man sich daran? Denn ansonsten würde mich das Buch schon interessieren.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Mir erschließt sich nicht, was das für den Inhalt oder die ästhetische Ebene des Romans bringen soll; es stört einfach nur den Lesefluss, bis man sich daran gewöhnt hat.

    Wie schnell gewöhnt man sich daran? Denn ansonsten würde mich das Buch schon interessieren.

    Die Seitengestaltung kann ja ein eigene Geschichte erzählen, ähnlich wie bei konkreter Poesie. Auf mich kann die Anordnung von Textblöcken positiv wirken (wenn auf der Buchseite eine Blickrichtung von links unten nach rechts oben unterstützt wird) oder negativ (wenn der Blick von links oben nach rechts unten geleitet wird. Manche Textblöcke können Formen oder Figuren ähneln.


    Das Ohne-Punkt-und-Komma-Erzählen hat mich überhaupt nicht beim Lesen gehindert. Ich fand es allerdings herausfordernd, zu verfolgen, welche der vielen Figuren wen warum kennt. Klar ein Buch, bei dem ich mir ein Soziogramm skizzieren muss ...

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  • Farast Ich habe mich überraschend schnell daran gewöhnt und mich dann eher darüber geärgert, dass die Autorin ihrer Leserschaft anscheinend ohne solche verlangsamenden Tricks nicht genug Aufmerksamkeit bei der Lektüre ihres Werkes zutraut. So etwas kann ich ja leiden wie Zahnweh. :lol: (Falls jemand eine einleuchtende Erklärung für diesen Gebrauch von Sprache bereithält, bitte her damit!)


    Das Buch könnte dir gefallen, denke ich! :winken:


    Klar ein Buch, bei dem ich mir ein Soziogramm skizzieren muss ...

    Das würde ich bei einem Reread auch unbedingt tun! :lol:

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  • Mario oder Squirrel Wenn du nun noch bitte den Threadtitel um den deutschen Buchtitel ergänzen könntest...? :D

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  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Bernardine Evaristo - Girl, Woman, Other“ zu „Bernardine Evaristo - Mädchen, Frau etc. / Girl, Woman, Other“ geändert.
  • Sarange und Buchdoktor Danke für eure Antworten :winken: Das Buch habe ich auf meine Wunschliste gelegt. Wenn es dann irgendwann mal mein ist, werde ich auf jeden Fall ein Soziogramm (Büchertreff bildet, ich habe vorher noch nie etwas davon gehört, ich hatte immer nur Namenslisten :lol:) anlegen.

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  • Sarange und Buchdoktor Danke für eure Antworten :winken: Das Buch habe ich auf meine Wunschliste gelegt. Wenn es dann irgendwann mal mein ist, werde ich auf jeden Fall ein Soziogramm (Büchertreff bildet, ich habe vorher noch nie etwas davon gehört, ich hatte immer nur Namenslisten :lol:) anlegen.

    8) Du kannst für die Grüppchen auch einfach Kreise zeichnen ... :)

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  • Sarange und Buchdoktor Danke für eure Antworten :winken: Das Buch habe ich auf meine Wunschliste gelegt. Wenn es dann irgendwann mal mein ist, werde ich auf jeden Fall ein Soziogramm (Büchertreff bildet, ich habe vorher noch nie etwas davon gehört, ich hatte immer nur Namenslisten :lol:) anlegen.

    8) Du kannst für die Grüppchen auch einfach Kreise zeichnen ... :)

    Das ergibt dann fast ein Mandala. :lol:

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  • Bernardine Evaristo erzählt mit lebhaften Worten eine ausdrucksvolle Geschichte. Nachdenklich, ironisch, respektlos ohne zu urteilen. Ein Roman der uns einlädt zuzuhören, versuchen zu verstehen, sich unsern Vorurteilen zu stellen uns die Gelegenheit gibt zu reflektieren.

    Durch die unterschiedliche Sicht - Mädchen, Frau oder andere - mit ihren eigenen Erfahrungen entfaltet sich ein farbenfrohes und wunderbares Vielerlei einer Welt welche auf diesen Unterschieden aufbaut, welche bereichernd ist. Durch die kraftvollen Stimmen der sehr gut gestalteten Charakteren ist der Roman auch ein Plädoyer wie wichtig es ist Rassismus, Schwesternschaft, Feminismus, Gleichberechtigung verstehen und hinterfragen.

    Mir gefiel die Art und Weise wie das Leben verschiedener Frauen erzählt wird, ihren Beziehungen, Schwierigkeiten, Freuden und Eroberungen.

    Spannend fand ich den Aufbau des Romans durch die ungewohnte Rechtschreibung, und der Aufbau der Textblöcke hat mich zu einem konzentrierten Lesen animiert.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Es ist nun mehr als ein Jahr her, dass ich das Buch zusammen mit meinen Bücherwürmern gelesen habe - es wird also Zeit, endlich mal hier mitzuschreiben. :lol:

    Das Buch hat ca. 450 Seiten wobei sich die 12 Geschichten über 400 davon erstrecken. Das macht wenn man nüchtern und mathematisch an die Sache rangeht, gerade mal 33,33… Seiten pro Person. Nicht wirklich viel könnte man meinen um den Leser zu fesseln. Vor allem da es keinen Plot gibt. Es gibt keinen Spannungsbogen, keine große Offenbarung am Ende. Auch führen die Charaktere ganz ordinäre Leben mit den üblichen Höhen und Tiefen.

    Das war tatsächlich der größte Kritikpunkt meiner Mitlesenden, mich allerdings hat es gar nicht gestört. Den anderen fehlte der Tiefgang in den Charakteren, sie seien immer nur angekratzt. Das habe ich nicht so empfunden - mit jeder Geschichte, die sich ja nach und nach zum einem Bild zusammensetzen, erfuhr ich mehr über die Frauen und mir formte sich ein ziemlich gutes Bild über sie. Ich habe wirklich nichts an Tiefgang vermisst obwohl natürlich ein Roman über nur zwei oder drei der Charaktere ein komplett anderes Bild ergeben hätte. Aber hätte ich dadurch etwas grundlegend wichtiges erfahren, das mir hier fehlte? Ich glaube nicht.


    Evaristo schafft es aber auf wenigen Seiten ganze Jahrzehnte an einem Vorbei ziehen zu lassen, und diese so mit Emotionen zu füllen, das man als Leser noch darüber nachdenkt, auch wenn das Buch schon lange zugeklappt ist.

    Mir hingen die Geschichten auch noch lange nach, immer wieder habe ich darüber nachgedacht. Für mich klar ein Zeichen, dass Evaristo es schaffte, sehr intensiv ihre Geschichten zu verpacken und dem Leser nahe zu bringen.


    Zu keinem Zeitpunkt besteht die Gefahr das man Personen verwechseln könnte, oder das man abdriftet weil man denkt das ganze schon mal hundert Seiten vorher, nur unter einem anderem Namen, gelesen zu haben.

    Auch wenn Sarange manchmal den Überblick verlor, ging es mir nicht so. Ich hab vielleicht mal kurz überlegt, wer jetzt wohin gehört, aber mehr nicht. Allerdings tue ich mich mit großen Personenkreisen leicht, es fällt mir nie schwer, den Überblick zu behalten.

    Dir Farast wird vermutlich ein Mandala-Soziogramm helfen. :wink:


    Die einzelnen Geschichten hängen zwar nur sehr lose zusammen und doch gelingt es Evaristo sie über die letzten 50 Seiten so zusammenfließen zu lassen, dass man als Leser zufriedengestellt das Buch zuklappt.

    Dieses Ende fand ich sehr gut, so ergab sich ein rundes Bild zum Schluss. Das hat mich sehr an Kehlmanns "Ruhm" erinnert, das ja genauso aufgebaut ist, wenn auch mit weniger Personal und wesentlich kürzer. Mir hat auch das sehr gut gefallen.


    Etwas das alle 12 gemeinsam haben sind die Themen Feminismus und Rassismus. Nicht immer im Vordergrund aber trotzdem stets präsent. Auch LGBTQ+ Themen kommen vor, wenn auch nicht bei jedem Charakter.

    Da sind wir uns ja alle einig hier und ich finde, die Themen wurden sehr gut umgesetzt.


    Ich hatte zu Beginn auch echt Respekt vor diesem Aufbau, aber war dann verblüffend schnell drin und mich hat diese Art des Schreibens dann tatsächlich überhaupt nicht mehr gestört. Anders als Sarange hab ich es auch nicht als "Vorschrift" empfunden, sondern einfach passend zu den Geschichten.

    Geschrieben ist das preisgekrönte Mosaik, als würde es atemlos ohne Punkt und Komma erzählt, Absätze stehen an Stelle der erwarteten Satzzeichen. Das mag zu Anfang als Hürde wirken, ich fand diese Struktur jedoch leicht nachvollziehbar. Sie wird von einer Autorin angewandt, für die es vor 40 Jahren noch normal war, ständig von männlichen Halbgöttern unterbrochen zu werden, selbst wenn die nichts zum Thema beizutragen hatten. Wer ohne Punkt und Komma erzählt, einschiebt, ausholt, erklärt, kann nicht so leicht unterbrochen werden.

    Diese Deutung des Aufbaus kann ich gut nachvollziehen und würde mich Dir gerne anschließen.

    Also keine Scheu davor Farast , einfach beginnen zu lesen :)


    Als Fazit bleibt mir nur eine absolute Leseempfehlung. Auch für Lesekreise, denn die unterschiedlichen Meinungen zu diesem Buch machten unser Treffen vor einem Jahr zu einem absoluten Highlight an Diskussion und Anregung. Die besten Bücher für Lesekreise sind die, über die man sich nicht einig ist. :loool:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • OT: Ich sehe hier gerade, dass @Liath offenbar den BT verlassen hat. Wie schade! :|

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    :study: I. L. Callis - Doch das Messer sieht man nicht

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  • OT: Ich sehe hier gerade, dass @Liath offenbar den BT verlassen hat. Wie schade! :|

    Ja, das empfinde ich genauso :|

    Oh wie schade, ich habe ihre Beiträge sehr gerne gelesen :|



    Also keine Scheu davor Farast , einfach beginnen zu lesen :)

    Ich habe das Buch sogar mittlerweile gehört. :) Das war im April letzten Jahres und es hat mir ausgezeichnet gut gefallen. Aus meiner Erinnerung und ganz spontan heraus noch ein paar Eindrücke. Mir hatte der Aufbau sowas von gut gefallen. Ganz langsam haben sich Zusammenhänge für mich erschlossen. Mit den Namen und der Zuordnung hatte ich keine Probleme. Außer das ich später schmunzeln musste, weil ich ein Name ständig falsch gehört habe. Ich fand das Buch wunderbar schrill, bunt und herzerwärmend. Bei "Manifesto", ihrer Autobiographie, wird einem klar woher Evaristo ihre Inspirationen für dieses Buch hatte. Fand ich klasse als ich es herausfand. Es ist übrigens eines der wenigen Hörbücher bei denen ich mir im Anschluss noch das Buch zugelegt habe, um es irgendwann einmal auch noch zu lesen. Ich hatte für das Hörbuch 4,5-Sterne vergeben.

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  • Zum Inhalt (teilweise Eigenzitat aus dem BHM-Thread)

    Mir gefällt, wie gezielt und mit welchem Feingefühl Evaristo diverse Probleme, Empfindungen, Widersprüchlichkeiten, Gefahren in allgegenwärtigen Debatten (Feminismus, Rassismus, Gender etc.) behandelt. So werden die feinen Unterschiede zwischen allgemeiner Ignoranz und (gezielten) Rassismus-, Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen offenbart. Vor allem sind so viele Themen eingebunden, ohne dass diese jeweils zu kurz kommen. Es werden die Lebensrealitäten vieler Frauen, Mädchen etc. mit all ihren Facetten und Widersprüchlichkeiten und (Nicht)-Privilegien gezeigt. Einiges, bei dem es eine bekannte Lebensrealität zeigt, einiges, was einer komplett anderen Lebensrealität als der eigenen entspricht. Durch die verschiedenen Perspektiven auf dieselben Situationen reflektiert das Buch sich quasi selbst. Und es hallt bei mir auch noch nach.


    Zum Schreibstil

    Den finde ich fantastisch und möchte das Buch, wenn ich mich irgendwann darauf einlassen kann, unbedingt nochmal im englischen Original lesen. Trotzdem es mir in der deutschen Übersetzung schon so gut gefallen hat, gab es hier und da Momente, bei denen ich mich gefragt habe, ob das Original mich nicht sogar noch besser abgeholt hätte.


    Es ist für mein Empfinden ein genial minimalistischer und einleuchtender Schreibstil. Ich hab den im Laufe der Erzählung immer mehr lieben und schätzen gelernt.


    Evaristo folgt durchschaubaren Regeln, keinem Mal-so-mal-so und schafft es selbst Dialoge ohne extra Satzzeichen deutlich und verständlich zu präsentieren. Ich hatte nie ein Problem damit festzustellen, wer denn nun spricht, das war mir immer sofort klar. Da hatte ich bei Dialogen anderer Geschichten teilweise mehr Probleme mit.


    Ich habe dadurch ihren Stil auch nicht wirklich als experimentellen Versuch wahrgenommen, sondern schlicht als sinnvolle Reduzierung von unnötigen Satzzeichen und sehr schöne und gekonnte Erzählkunst, die einen im Tempo, Klang und Leseerlebnis führt.


    Mein Fazit

    Aktuelle Thematiken, vielschichtig und wunderbar erzählt, wenn man sich mit dem Stil und der Masse an Charakteren und unterschiedlichen Blickwinkeln anfreunden kann.


    -

    Geschrieben ist das preisgekrönte Mosaik, als würde es atemlos ohne Punkt und Komma erzählt, Absätze stehen an Stelle der erwarteten Satzzeichen.

    Deine Beschreibung zum Schreibstil finde ich sehr spannend, auch wenn ich es selbst nicht so wahrgenommen habe, da Kommas ja dennoch da sind und ich es persönlich nicht so gelesen habe. Sehr interessant, wie unterschiedlich das wahrgenommen werden kann.

    Den anderen fehlte der Tiefgang in den Charakteren, sie seien immer nur angekratzt. Das habe ich nicht so empfunden - mit jeder Geschichte, die sich ja nach und nach zum einem Bild zusammensetzen, erfuhr ich mehr über die Frauen und mir formte sich ein ziemlich gutes Bild über sie. Ich habe wirklich nichts an Tiefgang vermisst obwohl natürlich ein Roman über nur zwei oder drei der Charaktere ein komplett anderes Bild ergeben hätte. Aber hätte ich dadurch etwas grundlegend wichtiges erfahren, das mir hier fehlte? Ich glaube nicht.

    Das ging mir auch so. Ich habe keinen Tiefgang bei der Charakterzeichnung vermisst und habe es auch als sehr passend empfunden, dass gewisse Lebensabschnitte besonders hervorgetan wurden, da diese die jeweiligen Kernaussagen wunderbar betont haben.


    Kann mir auch nicht vorstellen, dass der Roman linearer erzählt im Entferntesten diesen Effekt ausgelöst und funktioniert hätte.

    Es ist übrigens eines der wenigen Hörbücher bei denen ich mir im Anschluss noch das Buch zugelegt habe, um es irgendwann einmal auch noch zu lesen. Ich hatte für das Hörbuch 4,5-Sterne vergeben.

    Ich bin am überlegen, ob ich mir nicht noch das Hörbuch anhöre, da mich sehr interessiert, wie der Stil, der mich beim Lesen letztlich so begeistert hat, vorgelesen zur Geltung kommt :-k