Inhalt:
12 Geschichten über Menschen die Großbritannien ihr Zuhause nennen. Die meisten Frauen, die meisten schwarz.
Da gibt es Winsome die in den 50er frisch verheiratet aus Barbados in Cornwall ankommt, nur um festzustellen das ihr Mann ein Träumer ist der nichts auf die Reihe bekommt.
Carole, die in Oxford studiert und ihre nigerianischen Wurzeln hinter sich lässt um bei der Elite nicht zu sehr aufzufallen.
Amma die im London der 80er versucht die Theaterbühnen mit ihren feministischen Stücken zu erobern.
Shirley die am Anfang noch voller Tatendrang ihre Stelle als Lehrerin antritt, nur um über die Jahre am Schulsystem und den Kindern zu verbittern.
LaTisha die mit 21 schon drei Kinder hat und nun versucht ihr Leben in den Griff zu kriegen.
Meinung:
Das Buch hat ca. 450 Seiten wobei sich die 12 Geschichten über 400 davon erstrecken. Das macht wenn man nüchtern und mathematisch an die Sache rangeht, gerade mal 33,33… Seiten pro Person. Nicht wirklich viel könnte man meinen um den Leser zu fesseln. Vor allem da es keinen Plot gibt. Es gibt keinen Spannungsbogen, keine große Offenbarung am Ende. Auch führen die Charaktere ganz ordinäre Leben mit den üblichen Höhen und Tiefen.
Evaristo schafft es aber auf wenigen Seiten ganze Jahrzehnte an einem Vorbei ziehen zu lassen, und diese so mit Emotionen zu füllen, das man als Leser noch darüber nachdenkt, auch wenn das Buch schon lange zugeklappt ist. Da gibt es Protagonisten die man am Anfang sympathisch findet und am Ende nicht mehr, oder umgekehrt. Mit den einen fühlt man mit, die nächsten möchte man schon fast anschreien. Jeder dieser zwölf Menschen hat seine eigene unverwechselbare Stimme bekommen. Zu keinem Zeitpunkt besteht die Gefahr das man Personen verwechseln könnte, oder das man abdriftet weil man denkt das ganze schon mal hundert Seiten vorher, nur unter einem anderem Namen, gelesen zu haben.
Die einzelnen Geschichten hängen zwar nur sehr lose zusammen und doch gelingt es Evaristo sie über die letzten 50 Seiten so zusammenfließen zu lassen, dass man als Leser zufriedengestellt das Buch zuklappt.
Etwas das alle 12 gemeinsam haben sind die Themen Feminismus und Rassismus. Nicht immer im Vordergrund aber trotzdem stets präsent. Auch LGBTQ+ Themen kommen vor, wenn auch nicht bei jedem Charakter.
Den eigentlichen Geniestreich hat die Autorin aber damit hingelegt, dass sie das Buch in Vers geschrieben hat. Punkte gibt es nur am Ende eines Kapitels. Dafür immer wieder viele Absätze.
Manches wurde in Blöcken geschrieben, anderes
dünnt nach unten
immer mehr
aus.
So gibt Evaristo den Rhythmus beim Lesen selbst vor. Und das ergibt ein Timing, das einen beim Lesen auch mal innehalten lässt.
Dieses Buch zeigt Menschlichkeit in all seinen Facetten und ist eines der besten, dass ich die letzten Jahre gelesen habe. Und ich kann es jedem dem das „Literary“ Genre gefällt nur wärmstens empfehlen.
Zum Abschluss möchte ich noch zwei Zitate über das Buch anhängen, die den Schutzumschlag zieren und in wenigen Sätzen auf den Punkt bringen was dieses Buch wirklich ausmacht.
Zitat
Evaristo's books are always exciting, always subversive, a reminder of the boundless possibilities of literature and the great worth in reaching for them. Her body of work is Incredible.Diana Evans
ZitatOnce again, Bernardine Evaristo reminds us she is one of Britain's best writers, an iconic und unique voice, filled with warmth, subtlety and humantiy. Girl, Woman, Other is an exceptional work, presenting an alternative history of Britain and a dissection of modern Britain that is witty, exhilarating and wise.
Nikesh Shukla