Rafik Schami - Die geheime Mission des Kardinals

  • Abrechnung mit dem syrischen Regime

    Ein vom Vatikan nach Syrien entsandter Kardinal wird tot aufgefunden, übel zugerichtet in einem Fass Olivenöl. Anscheinend war er in geheimer Mission unterwegs. Kommissar Barudi, nur noch wenige Wochen von seiner Pensionierung entfernt, wird auf den Fall angesetzt. Da der Tote Italiener war, wird Verstärkung aus Italien angefordert. Der italienische Kommissar Mancini und Barudi verstehen sich auf Anhieb wie alte Freunde und bilden ein gutes Team.

    Ihre Ermittlungen führen sie unter anderem in ein von Rebellen besetztes Gebiet, in dem sich der sogenannte Bergheilige aufhält, ein Heiler, dem magische Kräfte nachgesagt werden. In diesem Zusammenhang werden auch andere Schamanen und Heiler in Syrien erwähnt, die Marienerscheinungen haben und die Wunden Christi aufweisen. Handelt es sich durchweg um Scharlatane? Und wenn ja, warum erfahren sie so viel Unterstützung seitens der Kirche?

    Für Barudis Vorgesetzten ist schnell klar, dass die Mörder des Kardinals Islamisten sein müssen, zumal auch ein entsprechendes Bekennerschreiben auftaucht. Doch Barudi und Mancini glauben nicht daran. Wie immer stellt sich die Frage „cui bono“, wem nutzt es? Der Leser erfährt sehr viel über die verschiedenen, oftmals miteinander verfeindeten religiösen Gruppen in Syrien: Sunniten, Alawiten, Schiiten, Drusen, Christen und Juden. Dies ist zum Teil interessant, zum Teil aber auch ermüdend, da sich die Erklärungen stellenweise lesen wie aus einem Lehrbuch für Religionswissenschaft.

    Stück für Stück kommen die beiden Kommissare der Wahrheit näher, doch diese Wahrheit ist zu unbequem, als dass sie an die Öffentlichkeit gelangen dürfte...

    Ich hatte mir aufgrund der Leseprobe einen spannenden Kriminalfall vorgestellt, doch eigentlich bildet der Mord an dem Kardinal nur den Hintergrund. Schami rechnet in diesem Roman vor allem mit dem korrupten syrischen Regime sowie diversen religiösen Gruppen ab. Mir hat dies zu viel Platz in dem Roman eingenommen. Was mir ebenfalls nicht gefallen hat, war die Liebesgeschichte zwischen Barudi und seiner Nachbarin Nariman. Jahrelang hat er seiner verstorbenen Frau Basma nachgetrauert und keine Frau auch nur eines Blickes gewürdigt. Jetzt verliebt er sich von einem Tag auf den anderen in eine Frau. Diese Liebesgeschichte geht mir zu schnell und erscheint mir nicht sehr glaubhaft. Rafik Schami ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Leser, die ausschweifende Geschichten mögen, die vom Hundertsten ins Tausendste gehen, sind hier genau richtig. Meine Erwartungen bezüglich des Buchs wurden jedoch nicht erfüllt, da die Geschichte streckenweise doch sehr zäh und belehrend war. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Die geheime Mission des Kardinals, Rafik Schami“ zu „Rafik Schami - Die geheime Mission des Kardinals“ geändert.
  • ISBN nachgetragen und Titelzeile angepasst :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Inhalt lt. Amazon

    Ein italienischer Kardinal, eine geheime Mission, ein Mord in Damaskus - der spannende neue Roman vom Meistererzähler Rafik Schami
    Noch herrscht Friede in Syrien. Die italienische Botschaft in Damaskus bekommt 2010 ein Fass mit Olivenöl angeliefert, darin die Leiche eines Kardinals. Kommissar Barudi will das Verbrechen aufklären; Mancini, ein Kollege aus Rom, unterstützt ihn und wird sein Freund. Auf welcher geheimen Mission war der Kardinal unterwegs? Wie stand er zu dem berühmten Bergheiligen, einem Muslim, der sich auf das Vorbild Jesu beruft? Bei ihrer Ermittlung fallen die beiden Kommissare in die Hände bewaffneter Islamisten. Rafik Schamis neuer Roman erzählt von Glaube und Liebe, Aberglaube und Mord und führt uns tief in die Konflikte der syrischen Gesellschaft und in das berufliche Schicksal und die Liebe eines aufrechten Kommissars.


    Autor

    Rafik Schami, 1946 in Damaskus geboren, wanderte 1971 in die Bundesrepublik aus. Er studierte Chemie in Heidelberg und schloss sein Studium 1979 mit der Promotion ab. Heute zählt er zu den bedeutendsten Autoren deutscher Sprache. Seine Bücher erschienen in 30 Sprachen und wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Hermann-Hesse-Preis, dem Chamisso-Preis, dem Nelly-Sachs-Preis und dem Preis gegen das Vergessen und für Demokratie. Seit 2002 ist Rafik Schami Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.


    Meine Meinung

    In der italienischen Botschaft wird ein Fass Olivenöl mit einer Leiche darin angeliefert. Es handelt sich um einen römischen Kardinal. Sofort beginnt die Polizei im Geheimen zu ermitteln. Kommissar Barudi steht kurz vor der Pension und es wird sein letzter Fall werden. Um internationalen Verwicklungen vorzubeugen, wird ihn ein Kommissar aus Italien zur Seite gestellt. Beide verstehen sich auf Anhieb. Wer nun denkt der Krimi nimmt seinen Lauf, kennt Rafik Schamir nicht. Vor den Hintergrund der Ermittlungen erzählt er über Syrien. Die Bespitzlungen durch die Verschiedenen Geheimdienste werden genauso thematisiert wie die Wunderheiler und die Bedrohung durch Islamisten. Die Krimielemente bilden nur den Rahmen, aber der Fall wird plausibel aufgelöst. Gut fand ich auch die Auszüge aus dem Tagebuch von Barudi. Hier merkt man wie zerrissen die syrische Gesellschaft ist.

    Dieses Buch ist kein klassischer Krimi sondern eine wunderbare Erzählung. Ich habe Rafik Schamir bei einer Lesung kennengelernt. Hier sagte er, dass er sich in der Tradition der arabischen Erzähler sieht. Dieser Buch bestätigt den Satz.

    Sub: 5537:twisted: (Start 2024: 5533)

    Gelesen 2024: 14 / 1 abgebrochen

    gelesen 2023: 55/ 2 abgebrochen / 26075 Seiten

    gelesen 2022: 65 / 26292 Seiten

    gelesen 2021: 94 / 1 abgebrochen / 35469 Seiten


    :montag: Anders Roslund - Engelsgabe

    :study: John Katzenbach - Der Wolf


    Lesen... das geht 1 bis 2 Jahre gut, aber dann ist man süchtig danach.

  • Der Kardinal im Ölfass


    Die geheime Mission des Kardinals, Roman von Rafik Schami, 432 Seiten, erschienen im Hanser Verlag.


    Ein italienischer Kardinal, eine geheime Mission, ein Mord in Damaskus


    An der italienischen Botschaft in Damaskus wird ein Fass angeliefert, beim Öffnen des Fasses ergibt sich eine grausige Entdeckung, darin befindet sich die in Olivenöl eingelegte Leiche eines von Rom nach Syrien entsandten Kardinals. Kommissar Barudi der kurz vor seiner Pensionierung steht, ermittelt. An seiner Seite der aus Italien angeforderte Kollege Commissario Mancini. Die beiden ermitteln zusammen und werden Freunde, ob sie das Geheimnis um den Tod des Kardinals lösen können, schildert dieses Buch.
    Der Plot klingt nach Krimi doch der Autor Rafik Schami erzählt viel mehr. Das Buch ist ein Porträt der syrischen Gesellschaft am Rande des bevorstehenden Bürgerkriegs, die Beschreibung einer beginnenden Männerfreundschaft, eine Liebes- und Lebensgeschichte.
    Schamis Erzählungen gehen nie den direkten Weg, sie führen über Umleitungen, Seitenstraßen und Sackgassen ans Ziel. Die Liebesgeschichte Barudis mit der Nachbarin ist ein Beispiel, seitenlang beschreiben Tagebucheinträge über seine schon früh verstorbenen Frau, die grenzenlose Liebe und die immerwährende Sehnsucht, seine Einsamkeit. Und plötzlich zaubert der Autor eine, für den Fall völlig unnötige Liebesgeschichte mit der Nachbarin Nariman aus dem Hut.
    Mit der Lektüre des Buches habe ich mich schwergetan, eigentlich bin ich anhand der Leseprobe von einem spannenden Kriminalfall ausgegangen. Doch die eigentliche Geschichte handelt von der Kritik an der Regierung, von Clan-Wirtschaft, von korrupten Beamten, von Wunderheilern, Aberglauben und dem damit verbundenen Schwindel. Von mafiösen Strukturen bis in die höchste Kirchenhierarchie. Die Freundschaft mit dem italienischen Commissario, der perfekt arabisch spricht, dagegen, hat mir gefallen. Mancini teilt mit Barudi so manches. Die Liebe zu starkem Kaffee mit Kardamom, zu Falafel und auch die kritische Einstellung gegenüber der jeweiligen Regierung. Die beiden teilen sich nicht nur die Ermittlungen sondern erzählen sich auch aus ihrem Leben. Mancini und Barudi sind beide höchst sympathische Figuren, sie agieren authentisch und nachvollziehbar. Die Vielzahl der Charaktere hat mir die Lektüre jedenfalls erschwert. Dieses Buch flüssig zu lesen ist schier unmöglich solange lese ich i. d. R. an keinem Buch, ich konnte es auch aus der Hand legen und ein paar Tage später erst weiterlesen. Immer wieder habe ich beim Lesen den Faden verloren und musste zurückblättern. Interessant war es, ja, aber nicht besonders spannend. Auch die Auflösung des Falles war kompliziert und für mich unbefriedigend, am Ende war ich so frustriert wie Barudi.


    Ein Gesellschaftroman mit kriminalistischem Hintergrund. Eine Empfehlung von mir, hauptsächlich für die Fans des Autors und 3 Sterne. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study::musik::montag:


    Und wenn mir alle Königskronen für meine Bücher und meine Freude am Lesen angeboten wären: Ich würde sie ausschlagen.
    François Fénelon

  • Was hat Schami denn hier gemacht? Kann es sein, dass er etwas zu sehr gewollt hat, nämlich einen Krimi zu schreiben, um mit ihm die politische Lage in seinem Geburtsland Syrien in der Zeit vor dem Bürgerkrieg zu schildern? Kann es sein, dass er sich selbst überholt hat bei seinem Anliegen?


    Das Buch beginnt krimimäßig – wartet mit einer besonders perfiden „Aufbewahrungsart“ einer Leiche auf: Ein toter Kardinal in einem Fass mit Olivenöl. Kommissar Barudi, so ein ganz liebenswerter kollegialer wie man ihn selten antrifft, übernimmt kurz vor seiner Pensionierung. Und verheddert sich zwischen Zuständigkeiten und Seilschaften, zwischen Religionsführern, Geheimdienst und Spionen im Staatsdienst. Fast niemand weiß etwas, fast niemand sagt etwas, und wenn tatsächlich jemand etwas sagt, ist es gelogen. Bis aus Rom der Kollege Mancini, ein Mafiajäger, geschickt wird, der sich mit fast diplomatischer Immunität einschalten kann.


    Islamisten? Religiöse Eiferer einer christlichen Kirche? Ein „Bruderzwist“ unter katholischen Kardinälen? Barudi und Mancini, inzwischen Freunde geworden, ermitteln in alle Richtungen.


    Wer weiß noch um die Anfänge und Ursprünge des Bürgerkriegs in Syrien, auch wenn er die Pressemitteilungen damals verfolgt hat? Kann jemand die Gruppierungen der Kämpfer und ihre Anliegen voneinander unterscheiden? Weiß man, welche Regionen von wem beherrscht, erobert und wieder verloren wurden?

    Schami schickt seine Protagonisten mitten ins Chaos und gibt dem Leser keine Möglichkeit, sich zwischen den rivalisierenden Horden zurecht zu finden. Und der rote Faden fällt auch dauernd runter.


    Ist es möglich, dass Schami sich nur dann in seinen Geschichten an einer durchgehenden Linie orientieren kann, wenn er ständig abschweift? Wenn er hier eine Nebenhandlung erzählt, dort die Kürzestbiographie einer Figur dazwischen schiebt, vom Stöckchen aufs Hölzchen springt und immer wieder zum Hauptstrang zurück findet?

    Denn in diesem Krimi kommt das gewohnte und geliebte Schami-Markenzeichen nicht zum Tragen. Die Haupthandlung um die Aufklärung des Mordes an dem Kardinal scheint mal in die eine, mal in die andere Richtung zu schwanken, und man wünscht es den Kommissaren, dass die die Täter finden, aber man ist nicht innerlich beteiligt.


    Doch so ganz ohne Märchen geht es offenbar nicht. Das Märchen erlebt Barudi mit einer neuen Liebe. Das dumme: Märchen passen nicht in jedes Buch, und hier wirkt die Romanze fehl am Platz.


    Nein, schlechte Bücher kann Schami vermutlich gar nicht schreiben, und mir hat das Lesen durchaus Spaß gemacht. Dennoch ist es nicht Fisch nicht Fleisch. Zu wenig stringente Ermittlungsarbeit für einen Krimi, zu viel Chaos für einen politischen Roman und zu wenig Zauber für einen Liebesroman. Leider ist auch kein Genre-Mix, eine durchaus reizvolle Kategorie, daraus geworden, sondern ein Genre-Gemenge.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ein als Krimi getarnter Gesellschaftsroman


    Eines vorweg: ich mag Rafik Schami! Er erzählt so orientalisch-üppig, dass man in seinen Büchern versinken kann. Er versteht es meisterhaft, vergangene Welten und Kulturen heraufzubeschwören. Allerdings gelingt ihm das meiner Meinung nach in der Kurzform besser, so z. B. in „Eine Hand voll Sterne“ oder dem „Erzähler der Nacht“. „Die geheime Mission des Kardinals“ habe ich zwar durchaus gemocht und genossen, aber als packenden Krimi würde ich sie sicherlich nicht bezeichnen.


    Das Buch ist vielmehr ein Gesellschaftsroman aus einem Syrien vor dem Krieg. Das aber damals schon aufgerieben wurde von Unterwanderung, Korruption und Behördenwillkür. Der Krimi ist nicht viel mehr als ein Aufhänger, und geriet für mich im Laufe des Buches mehr und mehr in den Hintergrund.


    Die Leiche eines Kardinals ist in einem Fass voller Olivenöl an die italienische Botschaft in Damaskus geschickt worden. Kommissar Barudi, kurz vor der Pensionierung, wird mit der Aufklärung betraut. Von Anfang an nehmen die persönlichen Verhältnisse der Figuren viel mehr Raum ein als der eigentliche Fall. Die Assistenten des Kommissars werden mit liebenswerten Verschrobenheiten charakterisiert, ebenso der Cheftechniker Schukri oder Barudis Vorgesetzter. Es geht immer wieder um Anekdoten aus ihrem Dienstalltag, um Verwandtschaftsverhältnisse in der syrischen Politik, um arabische Schimpfwörter, Sprichwörter und Flüche, um Kaffee mit Kardamom und um gutes Essen.


    Nach etwa einem Drittel des Buches kommt ein italienischer Kollege hinzu: Marco Mancini aus Rom wird offiziell hinzugezogen. Nun entwickelt sich die Geschichte noch einen Ticken langsamer. Es geht eigentlich um die wachsende Männerfreundschaft zwischen Mancini und Barudi. Sie gehen essen, trinken gemeinsam Unmengen von Wein und Kaffee, bleiben gemeinsam lange wach. An einigen Stellen ist mein Interesse sogar etwas ermüdet, da für mich unnötig lange geschildert wird, wie und warum Mancini lieber als Journalist auftreten sollte, und wie er seine Papiere bekommt.


    Die Handlung mäandert so vor sich hin, bis hin zum eigentlich vorherbestimmten Ende. Es sollten sowohl der Aberglaube im Lande als auch die politischen Verhältnisse dargestellt und kritisiert werden. Wer die Täter sind, ist eigentlich unerheblich, zumal in Syrien selten konsequent verfolgt und bestraft wird. Barudi hat mir am Ende wirklich Leid getan! Er beschließt eine Karriere mit einem Fall, bei der das eigentliche Ergebnis unter den arabischen Teppich gekehrt wird.


    Diese scheinbaren Kritikpunkte sind gleichzeitig die herausragenden Kennzeichen des Romans. Ich habe mich durchaus nach Syrien versetzt gefühlt, habe Falafel und Hummus gerochen, saß mit den Ermittlern in kleinen Restaurants und Pensionen, und habe auf Gott und den Präsidenten geschimpft. Sehr liebenswert fand ich mehrere kleine Nebenhandlungen, wie zum Beispiel Barudis Besuche beim redseligen Friseur! Oder aber sein Verhältnis zur Sekretärin, Frau Malik. Das wirkte ein wenig wie bei James Bond und Miss Moneypenny. Auch sehr pfiffig: die eingestreuten Abschnitte aus Barudis „Tagebuch“. So konnte der Autor viele kleine Schnipsel einstreuen, die das Buch farbiger machten, und die das Privat- und Gefühlsleben von Barudi beleuchteten.


    Syrien wird und/oder wurde von Männern dominiert und regiert – insofern sollte ich mich wohl nicht wundern. Frauen kommen hier fast gar nicht vor, oder spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Basma, die große Liebe von Barudi, ist leider zu früh verstorben. Frau Malik, die Sekretärin, ist kompetent und einfühlsam – aber eben nur Sekretärin. Barudis Nachbarin Nariman kann schließlich seine seelischen Wunden heilen. Aber auch hier kein Happy End. Sie ist frisch geschiedene Muslimin. Und da Barudi Christ ist, müssen sie ihr Verhältnis zunächst geheim halten. Traurige Welt.

    Ich habe mich mit dem Buch gefühlt wie mit einem heißen Tee am Kamin. Durchaus wohlig und gut unterhalten. Aber ich konnte es genausogut ein paar Tage weglegen, ohne den Faden zu verlieren. Das passiert mir bei einem Krimi sonst nie. Und deswegen ist es auch keiner. Ich würde das Buch als gesellschaftskritischen Roman ansehen und empfehlen, bei dem man sich Zeit nehmen kann und soll.

    "Ein Mensch, der Ideale hat/
    Der hüte sich, sie zu erreichen!/
    Sonst wird er eines Tags anstatt/
    Sich selber andern Menschen gleichen."
    (Erich Kästner) :):)

  • Nein, schlechte Bücher kann Schami vermutlich gar nicht schreiben, und mir hat das Lesen durchaus Spaß gemacht. Dennoch ist es nicht Fisch nicht Fleisch. Zu wenig stringente Ermittlungsarbeit für einen Krimi, zu viel Chaos für einen politischen Roman und zu wenig Zauber für einen Liebesroman. Leider ist auch kein Genre-Mix, eine durchaus reizvolle Kategorie, daraus geworden, sondern ein Genre-Gemenge.

    Ich hab gerade den "Vorgänger"-Band ausgelesen und werde mal gleich mit diesem Buch fortfahren. Wer weiß, vielleicht liest es sich ja anders in der direkten Abfolge :-k Nach dem Mammut-Mosaik in "Die dunkle Seite der Liebe" könnte es ja sein, dass sich manches anders darstellt. Aber ich muss mir auch noch richtig Gedanken machen über die Rezension zu diesem Mosaik.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Ich hab gerade den "Vorgänger"-Band ausgelesen und werde mal gleich mit diesem Buch fortfahren. Wer weiß, vielleicht liest es sich ja anders in der direkten Abfolge :-k Nach dem Mammut-Mosaik in "Die dunkle Seite der Liebe" könnte es ja sein, dass sich manches anders darstellt.

    Ja, es liest sich anders mit diversem Vorwissen. Ich glaube, wäre ich nicht bei Rafik Schamis Lesung gewesen und hätte ich nicht den "Vorgänger"-Band zuerst gelesen, so würde ich hier etwas schreiben wie "ich kann mich Marie völlig anschließen". Aber ich war bei der Lesung und ich habe "Die dunkle Seite der Liebe " zuerst gelesen und von daher blicke ich ein wenig anders auf dieses Buch.


    Zu allererst: Nein, diese Geschichte ist alles, nur kein Krimi. In seiner Lesung hat Schami auch erzählt, dass Schriftsteller des Vorderen Orients wohl gar keine Krimis schreiben können, denn sie erleben ja nie eine auf Demokratie und Gesetzen basierende Polizeiarbeit und Justiz im eigenen Land. Deswegen verstehen sie nicht, was sie schreiben sollten und scheitern daher an diesem Genre. Und auch er wollte keinen Krimi schreiben - nein, es soll eine Schrift gegen den Aberglauben in allen Varianten sein. Tatsächlich verbirgt sich diese Absicht in einem Satz, der dem Roman vorangesetzt ist:

    Zitat von Rafik Schami

    Glaube versetzt selten Berge,

    Aberglaube immer ganze Völker.

    Resümee meiner eigenen Beobachtungen

    Ich hätte diesen kleinen Satz wohl auch einfach überlesen ohne meinen Besuch der Lesung. Aber so habe ich von Beginn an etwas anders auf die Geschichte geschaut. Hat Rafik Schami das geschafft, was er wollte? Ich denke weitestgehend schon, nur leider nicht so ganz klar wie er vielleicht erhofft hat. Durch den Kriminalfall wird das Augenmerk des Lesers einfach in die falsche Richtung gelenkt und viele erwarten eine Art Kriminalroman und überlesen das, was er gegen den überall in allen Religionen vorherrschenden Aberglauben schreibt. All seine Argumente, die er durchaus geschickt auf der Ermordung des Kardinals aufbaut, gehen leicht unter neben der Erwartung, endlich diesen Fall zu lösen und die Täter in diesem politischen Wirrwarr Syriens kurz vor dem Bürgerkrieg zu fassen. Selbst das Paradox eines Muslimen, der eventuell von der katholischen Kirche zum Heiligen ernannt werden soll, schafft es nicht, den Blick des Lesers auf den Hauptpunkt des Buches zu lenken. Das ist sehr schade.


    Welchen Vorteil hatte es, den "Vorgänger"-Band zu lesen, der eigentlich kein Vorgänger in Bezug auf den Protagonisten ist? Barudi ist darin nur eine kleine Nebenfigur, die sehr kurz auftritt und ansonsten keine Rolle spielt. Aber es hilft sehr beim Verständnis der politischen und sozialen Verhältnisse in Syrien kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Man bekommt viele Informationen über die Geschichte des Landes und die Menschen, die darin leben - wie sie leben, denken, fühlen, welche sozialen Strukturen ihr Leben bestimmen und dominieren. Von daher hatte ich dann keinerlei Probleme, mich in der syrischen Gesellschaft und Politik zu orientieren und der Erzählung mit all ihren politischen Aussagen zu folgen.

    Ist es möglich, dass Schami sich nur dann in seinen Geschichten an einer durchgehenden Linie orientieren kann, wenn er ständig abschweift? Wenn er hier eine Nebenhandlung erzählt, dort die Kürzestbiographie einer Figur dazwischen schiebt, vom Stöckchen aufs Hölzchen springt und immer wieder zum Hauptstrang zurück findet?

    Ja, ich glaube, dem ist so. Ich habe das Gefühl, dass Schami dieses für ihn typische Springen im vorliegenden Buch versucht hat zu bündeln, indem er die Tagebuch-Einträge dazwischen schiebt. Damit aber geht dieses Mäandern zwischen Geschichten und Geschichtchen, das sich sonst in seinen Büchern findet und das eines seiner Markenzeichen ist, leider verloren. Zwar hat er theoretisch damit viel mehr einen roten Faden, aber etwas fehlt, und die unterschiedlichen Theorien des "Falles", dieses Verfolgen verschiedenster Spuren, gleichen das nicht aus. Wobei dieses Hölzchen-Stöckchen-Prinzip in "Die dunkle Seite der Liebe" auf die Spitze getrieben wird und den Leser manchmal verzweifeln lässt (darüber mehr in der passenden Rezension).


    Hat mir das Buch gefallen? Ja, durchaus - weder hat es mich gelangweilt noch hatte ich das Gefühl, dazwischen etwas anderes lesen zu wollen. Ist es eines seiner richtig guten Bücher? Das glaube ich nun nicht. Natürlich liegt das bei jedem Leser selbst, aber ich denke, dass Rafik Schami mehr kann als er hier gezeigt hat. Seine Intention, gegen den Aberglauben der Welt anzuschreiben, finde ich gut und es müssten noch viel mehr Menschen dagegen anschreiben. Aber das anhand eines Kriminalfalls zu versuchen, ganz egal wie sehr er mit der Thematik verbunden ist, scheint nicht zu funktionieren ohne Vorwissen. Wie alle meine "Vorschreiber" habe ich in der Hauptsache einen durchaus gelungenen Gesellschaftsroman gelesen, der Aberglauben in allen Formen stark thematisiert. Aber wäre mein Blick nicht von vornherein auf dieses Thema gelenkt worden, hätte ich es nicht so deutlich wahrgenommen, sondern als eines der vielen Themen der syrischen Problematik abgetan.


    Tja, und noch diese Liebesgeschichte am Rande - war die nötig? Ich weiß es nicht, sie erscheint schon recht unglaubwürdig. Aber was, wenn auch da eine Form des Aberglaubens aufgezeigt wird: der Aberglaube, dass es nur die eine große Liebe geben kann. Wenn dieser Liebe dann ein derartiger Tempel errichtet wird wie Barudi es getan hat, dann sperrt dieser Aberglaube einen großen Teil des Lebens aus. Wäre das eine mögliche Interpretation der Liebesgeschichte? Oder ist es nur eine sympathische, lässliche Sünde, dass Rafik Schami seinem gebeutelten Protagonisten am Ende wenigstens ein privates Glück gönnen möchte?

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Dass ich ein Buch abbreche kommt bei mir fast nie vor. In seltenen Fällen überspringe ich mal Seiten oder Kapitel, aber an sich bringe ich fast jedes Werk zu Ende. Und dann kam Rafik Schami mit seinem Kardinal, auch noch ein von Presse und Kritik hoch gelobtes Buch. Die Geschichte beginnt wie ein Krimi, doch irgendwann verzettelt sich der Autor so in seinen Erzählungen, dass er mich dabei verloren hat. Schade, denn von dem Buch hatte ich mir viel versprochen.


    Dass Rafik Schami toll schreiben kann merkt man schon nach wenigen Seiten. Er hat einen sehr opulenten und bildhaften Stil, der mir an sich recht gut gefällt. Auch die kleinen Geschichten über Land, Menschen und Kultur fand ich toll. Der Rest des Buches ist mir aber mit zu vielen Belanglosigkeiten überladen, es fehlt ein roter Faden. Die Ermittlungen im Mordfall treten immer mehr in den Hintergrund und Schami verliert sich in Nebensächlichkeiten. Er schafft es, wirklich jede Kleinigkeit in seine Geschichte mit aufzunehmen. So beschreibet er, wann der Ermittler eine Toilettenpause macht, berichtet über belanglosen Smalltalk zweier Figuren oder lässt seine Charaktere umfangreich irgendwelche Gerüchte über die Cousine des Onkels eines Bekannten erzählen. Dazu kommen noch sich wiederholende Essgelage bei denen die Ermittler über alles mögliche Debattieren und sich doch stets im Kreis drehen. Auf mich wirkt das Buch so, als sollte zu viel hinein, es ist überladen an Ideen und Eindrücken des Autors und liest sich mühsam und zäh.


    𝐅𝐚𝐳𝐢𝐭

    Wen viele Ausschweifungen und wenig Handlung nicht stören, könnte gefallen am Buch finden. Mir war es nach gut 200 Seiten zu langweilig.


    Meine Wertung: ★★★☆☆

    "Die klimatischen Bedingungen in der Hölle sind sicher unerfreulich, aber die Gesellschaft dort wäre von Interesse." (Oscar Wilde)