Lenka Horňáková-Civade - Das weiße Feld / Giboulées de soleil

  • Kurzmeinung

    Nilu
    Ich war beim Lesen hin- und hergerissen. Teils gut, teils langatmig.
  • Zur Autorin:


    Lenka Horňáková-Civade wurde 1971 in der Tschechoslowakei in der Provinz Mähren geboren und wanderte 1991 nach Frankreich aus. Sie studierte an der Sorbonne Ökonomie und Philosophie. Heute lebt sie als Malerin und Schriftstellerin in Südfrankreich. Das weiße Feld ist ihr erster in französischer Sprache geschriebener Roman.



    Zum Buch:


    Sie heißen Magdalena, Libuše und Eva und teilen dasselbe Schicksal: Sie wachsen jeweils ohne ihren leiblichen Vater auf. Aber statt an diesem Schicksal, das in den Augen ihrer Umgebung ein regelrechter Makel ist, zu zerbrechen, entwickeln sie jede auf ihre Art einen unbändigen Freiheitswillen (...)


    Mehr möchte ich vom Verlagstext (Quelle: amazon.de) nicht übernehmen...



    Der Roman setzt, mit einigen Rückblenden, in den späten Vierzigern des letzten Jahrhunderts an und spielt hauptsächlich in einigen mährischen Dörfern, also in der damaligen Tschechoslowakei. Im ersten Erzählstrang ("Magdalena"), in dem es sich auch viel um das Leben ihrer Mutter Marie dreht, wird sehr eindrücklich dargelegt, was für ein Unrecht und Unglück die Beneš-Dekrete über die Menschen in den Dörfern brachten. Hier geht es nicht nur um die deutschstämmigen Bauern und Gutsbesitzer, die bekanntlich vertrieben wurden, sondern auch um die tschechische Bevölkerung, der im Zuge der Kollektivierungen alles, was man mal ein bisschen mehr besaß als andere, einfach entschädigungslos weggenommen wurde. Aus den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern sind mir ähnliche Vorgänge auch aus der frühen DDR bekannt.


    Über mehrere Generationen hinweg werden nun die Geschichten der Protagonistinnen entfaltet, die vertraut und geliebt, dafür aber oft nur perfiden Verrat empfangen haben, gesellschaftlich ausgegrenzt wurden, sich mit ihren unehelichen Kindern aus eigenen Kräften durchschlagen und teilweise mehrmals im Leben komplett neu anfangen mussten. In schönen Bildern und Gedanken werden ihre Wünsche und Träume dargelegt, ihre Ängste, enttäuschten Hoffnungen - und die oft höchst erstaunlichen Wendepunkte, die nicht selten mit unerwarteten und für die Frauen schicksalsbestimmenden politischen Verwerfungen verknüpft sind. Dabei spannt die Autorin den Bogen bis in die Zeit Gorbatschows mit ihren das Ende des Sozialismus verheißenden Lichtblicken. Auf beklemmende Weise fängt sie dabei immer wieder die berechtigten Ängste der Menschen im Kleinen wie im Großen ein - vor den Folgen des ganz privaten Liebens wie vor den oft nicht einschätzbaren politischen Umbrüchen, vor wirtschaftlichen Notlagen in der Familie wie vorm Eindringen der sozialistischen Ideologie bis in die letzten Winkel der Privatsphäre. Sehr bedrückend war es für mich, wie der Roman Erinnerungen an die angestrebte Gleichschaltung der Menschen im Sozialismus weckte und an die Einschränkungen, die das Leben hinterm Eisernen Vorhang mit sich brachte, wo man nur noch im Verborgenen ein wenig man selbst sein konnte und viele Träume besser unterdrückte, um sich nicht ständig dem Schmerz auszusetzen, sie sowieso begraben zu müssen.



    Die teils grausamen und absurden Auswüchse der sozialistischen Ideologie zeigen sich in vielen tragischen Schicksalswendungen nicht nur der Hauptfiguren, sondern auch in deren Umfeld, was im Libuše-Strang, der aus der Perspektive des Kindes geschrieben ist, von der Autorin auf geschickte Weise oft nur angedeutet oder in Form einiger wohldosierter Details ins Geschehen eingeflochten wird - erwachsene LeserInnen können sich dann den schlimmen Rest der jeweiligen Geschichte denken.


    Lediglich der 3. Strang um Eva konnte mich nicht mehr so recht packen - zu schnell ist die Autorin m.E. schon durch den Libuše-Strang gehetzt, durch den ich am Ende streckenweise nicht mehr durchgeblickt habe. Hier wurde es mir zeitweilig auch ein wenig zu melodramatisch, und vor allem hat es mich genervt, dass die Autorin manche Informationen vor den LeserInnen künstlich verschleiert hat, um wohl mehr Spannung zu erzeugen. So etwas funktioniert bei mir allerdings nicht.


    Dennoch habe ich auch die letzten Kapitel des Buches gern gelesen,


    Bei allen melancholischen Stimmungen und dramatischen Lebensgeschichten, gelingender wie scheiternder Mutterschaft und Vaterschaft ist dies dennoch nicht nur ein trauriger Roman, sondern auch eine Hymne an das Leben und Überleben unter schwierigen Bedingungen, an Liebe und Hoffnung und an Momente des Glücks, die manchmal jahrelanges Leid aufwiegen können, wenn man schafft, sie wahrzunehmen und zu genießen. Falls ich den französischen Originaltitel mit "Sonnenschauern" richtig übersetze, spiegelt sich in diesem Wortspiel die Ambivalenz der Geschichte mit ihren schönen und berührenden Momenten in einem oft lebensfeindlichen Umfeld viel passender wider.


    Leider gibt es auch in diesem Buch wieder etliche Fehler seitens des Korrektorats. :roll:

    Gesondert erwähnen möchte ich noch die vielen Darlegungen zur Kunst des Stickens und wie diese mit der Handlung verwoben - oder verstickt :lol: - sind. Da werden generationenalte Handarbeitstraditionen gepflegt und dienen noch in Zeiten zum Überleben, wo man sich die traditionellen Motive erst von einem sozialistischen Komitee genehmigen lassen muss...


    "Das erste Mal, dass man mir erlaubte, Bänder zu tragen, die ich selbst bestickt hatte, war bei der Hochzeit von Magdalena, meiner Mama Magdina. Das war kurz vor meinem siebten Geburtstag, und ich hatte schon einige Garnspulen aufgebraucht. (...) Ich kannte viele Motive, die ich schon an kleinen Servietten ausprobiert hatte.
    Einige davon bewahrte ich wie Kostbarkeiten in einer bemalten Holzschachtel auf, zu der nur ich einen Schlüssel habe. Mama Magdalena hat sie mir geschenkt, es ist ein Geschenk zur Geburt. Sie ist meine Schachtel für Geheimnisse, für Träume, für frohe Momente. Ich muss sie regelmäßig leeren, um Platz zu schaffen, denn ich lege Papierzettel mit meinen Wünschen hinein, die nie in Erfüllung gehen.
    Es macht mir Spaß, diese Wünsche aufzuschreiben und wieder zu lesen, und es macht mir Spaß, die Papierstücke danach zwischen meinen Fingern zu zerknüllen, sie wieder auseinanderzufalten und dann in tausend Stückchen zu zerreißen. Dann lege ich diese Überbleibsel von Träumen und Wünschen in meine Handfläche und puste sie an. Alles fliegt davon. Wenn das Papier gut zerknüllt ist und die Stückchen wirklich klein sind, dann drehen sie sich sanft im Fallen und formen hübsche Arabesken wie beim Sticken. Es sieht aus, als würden sie glänzen. Zum Schluss fege ich alles zusammen."

    (S.84f. im eBook)


    Trotz der oben dargelegten Kritikpunkte war der Roman für mich ein Highlight, das mich persönlich auf vielen Ebenen angesprochen hat. Nachdem ich ihn als eBook aus der Onleihe gelesen hatte, wurde gleich noch die Printausgabe für das heimische Bücherregal angeschafft und ich freue mich schon jetzt auf ein Reread, irgendwann in ein paar Jahren... :D


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