Stig Sæterbakken – Durch die Nacht / Gjennom natten

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    Verlagstext

    Karl Meyer ist Zahnarzt und führt ein durch und durch bürgerliches Leben. Doch als sein erst achtzehnjähriger Sohn Ole-Jakob Suizid begeht, droht es die Familie zu zerreißen. Karls Frau Eva steht unter Schock, die Tochter Stine verstummt. Auch Karl ist in seiner Trauer gefangen. Er denkt zurück an sein Kind, vor allem aber an das, was die Familie schon vor dessen Tod auf eine Belastungsprobe stellte: Karls Liebschaft mit der deutlich jüngeren Mona. Ist es diese Affäre, die Ole-Jakob in den Tod getrieben hat? Die Schuldfrage steht im Raum – und Karl läuft davon. Er begibt sich auf eine Reise in die Slowakei. Dort hofft er, Erlösung zu finden: in einem Haus, in dem man, so heißt es, mit seinen tiefsten Ängsten konfrontiert wird – und das man entweder gebrochen oder geheilt verlässt.

    ›Durch die Nacht‹ ist die Anatomie eines Trauerprozesses und ein Buch, das unter die Haut geht. Stig Sæterbakken schont seine Leser nicht. Dieser so dringlich erzählte Roman schildert die Abgründe, die in uns allen lauern, und wie leicht wir die verletzen, die uns nahe stehen.


    Der Autor

    Stig Sæterbakken (1966–2012) gehört zu den wichtigsten norwegischen Autoren der letzten Jahrzehnte. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Essay- und Lyrikbände und arbeitete zudem als Übersetzer.

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    Inhalt

    Seit Ole-Jakob sich das Leben genommen hat, ist um Karl Meyer und seine Familie ständig Nacht. Auch Ole-Jakobs Zimmer spricht mit schwarzer Schrift an der Decke und einer defekten Spielkonsole eine düstere Sprache. Dass andere Menschen einfach weiterleben können wie bisher, wirkt auf Karl wie Hohn. Seine Frau Eva hat nur noch Kraft für ihren Beruf, nicht mehr für ihre Angehörigen; die Tochter Stine verstummt. Mittels akribisch genauer Beobachtungen verarbeitet der verwaiste Vater seine alles verschlingende Trauer. Karls Gedanken kreisen darum, ob seine Affäre mit Mona den Tod seines Sohnes verschuldet haben könnte. Linderung verspricht ihm der Ex-Mann seiner Schwester, ein Autor aus der Slowakei. Er kann ein Haus tief im Landesinnern vermitteln, das angeblich extremste Ängste und Gefühle heilen soll. Jeder würde dort „das bekommen, was er nicht haben will“.


    In Rückblenden erinnert Karl sich an die Anfangszeit seiner Beziehung zu Eva und an seine Gefühle als junger Vater. Mit Eva heiratete er damals eine ernsthafte, reife Person, die bereits ein Bild ihres zukünftigen Zuhauses im Kopf trug - der komplette Gegensatz zu Karls jugendlichem Chaotentum. Karl analysiert die Entwicklung seiner Beziehung zu Frauen sehr sachlich. Als Leser könnte man sich fragen, warum ein klar strukturiert denkender Mann wie er es mit seiner Familie so weit kommen lassen konnte. Mit einer beinahe toxischen Kommunikation scheint das Paar seine Krise erst herbeigeredet zu haben. Ein Blick auf Ole-Jakob, der allein in seinem Zimmer Tabletop-Figuren setzt, hätte die Beteiligten längst aufrütteln müssen. Doch Evas Sorgen um Ole-Jakob hatte Karl abgewimmelt, obwohl auch er sich um seinen Sohn sorgte. Ein Aussprechen des Problems wäre für Karl vermutlich zugleich ein Eingeständnis seiner Schuld gewesen. Grübelnd, ob in Ole-Jakobs Leben ein Bruch zu bemerken gewesen ist und ob dessen Probleme über durchschnittliche Pubertätskonflikte hinausgingen, zweifelt Karl zunehmend an seiner Erinnerung und weckt beim Leser Befremden über seine Ichbezogenheit. Die Antwort, warum die Verantwortung für seinen Sohn hinter einer Affäre zurückstehen musste, bleibt Karl m. A. nach schuldig.


    Fazit

    Stig Sæterbakken nahm sich mit 46 Jahren das Leben. In „Durch die Nacht“ beobachtet er höchst sensibel den Trauerprozess eines Mannes, der schon lange über seine Ehe, seine Affären und seine heranwachsenden Kinder hätte nachdenken müssen. Dabei erkundet der Autor jede Verästelung der Gefühle seines schwierigen Protagonisten. Sæterbakkens Icherzähler durchlebt nach meinem Empfinden im Begreifen dieses Selbstmords und seines Versagens als Vater nur eine geringfügige Entwicklung und wirkt genau darin absolut glaubwürdig. Als Chronik eines Trauerprozesses aus Sicht eines Mannes ist „Durch die Nacht“ sicher ein bemerkenswertes Buch. Weil Ole-Jakobs Probleme eine so geringe Rolle spielen, konnte es mich jedoch nicht völlig überzeugen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Möller - Der entmündigte Leser

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Das Original: Gjennom natten

    Hardcover, 1st edition, 265 pages

    Published September 2011 by Cappelen Damm

    ISBN 8202357993 (ISBN13: 9788202357993)

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Möller - Der entmündigte Leser

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Weil Ole-Jakobs Probleme eine so geringe Rolle spielen, konnte es mich jedoch nicht völlig überzeugen.

    Ich lese das Buch gerade und mir gefällt es bislang sehr gut.

    Dass Ole-Jakobs Probleme eine so geringe Rolle spielen, könnte man doch so erklären, dass die Geschichte ausschließlich aus dem Blickwinkel seines Vaters erzählt wird. Hinzu kommt, dass das Vater-Sohn-Verhältnis gestört oder zumindestens distanziert ist (der Vater hat das Zimmer des Sohnes sehr lange nicht mehr betreten, der Sohn spricht über die Mutter mit dem Vater).

    Der Vater hat seinen Sohn sicher nicht verstanden und daher kann er von den Problemen seines Sohnes gar nicht wirklich sprechen.

  • Was für ein düsteres und verzweifeltes Buch. Hoffnungsschimmer habe ich keinen entdeckt.

    Staerbakken hat 2012 Selbstmord begangen, kurz nach Veröffentlichung des Romanes.

    Es geht um Trauer über den toten 18-jährigen Sohn, der mit dem Auto in einen entgegenkommenden LKW fuhr, aber auch um eine zerstörte Ehe und Familie - wobei der Ich-Erzähler Karl seine Frau und Familie verließ.

    Auch die zweite Beziehung geht entzwei und wieder ist es Karl, der verlässt, eigentlich aus nichtigen Gründen.

    Im Laufe des Romanes wird Karl dem Leser (zumindestens mir) durch sein Selbstmitleid und seine Ich-Bezogenheit immer unsymphatischer.

    Der Roman ändert sich, als Karl eine Reise unternimmt, zunächst nach Deutschland, wo er Caroline kennenlernt. Auch sie verlässt er. Weiter geht es nach Bratislava, zu einem Haus, von dem Karl gehört hat. Dort soll "alle Hoffnung zu Staub zerfallen".

    Der Roman beginnt, unheimlich und etwas surreal zu werden. Damit hatte ich anfangs gar nicht gerechnet und muss also noch darüber nachdenken.

    Insgesamt aber ein gelungener Roman, inhaltlich wie auch vom Schreibstil.

  • Der Roman beginnt, unheimlich und etwas surreal zu werden. Damit hatte ich anfangs gar nicht gerechnet und muss also noch darüber nachdenken.

    Insgesamt aber ein gelungener Roman, inhaltlich wie auch vom Schreibstil.

    Das ist der Punkt, warum ich bei dem Buch einen halben Punkt abgezogen habe. Ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, wie ich es für mich einordnen soll.

    Mich hat das Buch gefesselt, obwohl ich solche Bücher ungern lese, weil ich Angst habe, dass mich die Thematik zu weit runterzieht.

    Dieses Buch hat mich allerings schon nach einem kurzen Reinlesen in den Bann gezogen, und ich kann nicht einmal begründen warum genau.

    Ich hatte allerdings so oft auch das Gefühl: Sprecht doch miteinander und lasst nicht immer alles nur in eueren Gedanken laufen. Aber ich glaube, das ist in Beziehungen zu oft der Fall.

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    „An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.“

    Erich Kästner

    "Das fliegende Klassenzimmer"


    Warnhinweis:
    Lesen gefährdet die Dummheit

    :study:

  • Der Roman beginnt, unheimlich und etwas surreal zu werden. Damit hatte ich anfangs gar nicht gerechnet und muss also noch darüber nachdenken.

    Insgesamt aber ein gelungener Roman, inhaltlich wie auch vom Schreibstil.

    Das ist der Punkt, warum ich bei dem Buch einen halben Punkt abgezogen habe. Ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, wie ich es für mich einordnen soll.

    Das Surreale und Unheimliche bleibt auch weiterhin nicht so ganz einfach einzuordnen.

    Ich habe mich mal in anderen Besprechungen umgesehen, wie z.B. hier oder hier.

    Zitat

    Als Karl Meyer das mysteriöse slowakische Haus betritt, in der Hoffnung, seinen Seelenqualen ein Ende bereiten zu können – oder einfach nur, wie auch immer, an ein Ende zu kommen, sieht er sich mit einer Person konfrontiert, vor der er sich wohl am meisten gefürchtet hat – mit sich selbst.

    Zitat "Deutschlandfunk"

    Vielleicht kann man sich so das Surreale erklären, auch hat Saeterbakken offenbar von Anfang an Zitate und Verweise gesetzt.


    Zitat

    Die Handlung kippt hier ins Alptraumhaft-Surreale, von der Außenwelt und dem Umfeld des Helden in sein Inneres, in die Abgründe seines Seelenlebens. Das mutet zunächst etwas befremdlich an. Aber man sollte auf die Signale und Zeichen achten, die der Norweger von Anfang an in seinen Text eingewoben hat.

    Zitat " Deutschlandfunk"

    Ich sehe schon, ich muss das Buch ein zweites Mal lesen.

  • Ich muss sagen, dass ich mit diesem Roman kaum etwas anfangen kann. Die ersten 60 Seiten fand ich spannend, die Trauer um den verstorbenen Sohn, diese Verzweiflung... Aber dann drehte sich praktisch alles nur um den Vater, seine Ehe, seine Affäre, sein Mangel an Selbstreflektion und sein Selbstmitleid. Würde man in dieser Familie mal miteinander sprechen... Aber nein, hier gibt es kein Aufarbeiten, keine Erklärungsversuche, es gibt kaum eine Entwicklung. Der Vater rennt vor Verantwortung und Freundschaften weg, hin zu seinem eigenen Untergang, möchte ich behaupten. Und dieser selbstzerstörerische Antrieb hat mich nur genervt und konnte ich schlecht nachvollziehen. Aus Nichtigkeiten flieht er aus seinen Beziehungen, dieses Alptraumhaft-surreale sind wohl Zeichen seiner inneren Ängste, aber jeder Nebenstrang der Geschichte hätte mich mehr interessiert als der Vater und seine Reise nach Bratislava. Tatsächlich habe ich mich ab der Hlfte der Lektüre ziemlich gelangweilt.