Thorsten Nagelschmidt - Der Abfall der Herzen

  • Verlagstext

    »Wann hast du eigentlich aufgehört, mich zu hassen?«

    »Als du mir den Brief geschrieben hast.«

    »Was für einen Brief?«

    Und er beginnt sich zu fragen, was er sonst noch vergessen hat von diesem Sommer 1999. Nagel lebte damals in seiner ersten WG, hielt sich mit Nebenjobs über Wasser und verschwendete kaum einen Gedanken an die Zukunft. Damals, als ein Jahrhundert zu Ende ging, man im Regional-Express noch rauchen durfte und nur Angeber ein Handy hatten. Dann änderte sich alles, plötzlich und unvorhergesehen verwandelte sich seine Welt in einen Scherbenhaufen. Thorsten Nagelschmidt hat einen Roman über Liebe, Freundschaft und Verrat geschrieben. Über einen letzten großen Sommer und die Spurensuche 16 Jahre später.


    Der Autor

    Thorsten Nagelschmidt, geboren 1976 im Münsterland, ist Autor, Musiker und Künstler. Bis 2009 war er Sänger, Texter und Gitarrist der Band Muff Potter. Unter dem Namen Nagel veröffentlichte er die Bücher »Wo die wilden Maden graben« (2007), »Was kostet die Welt« (2010) und »Drive-By Shots« (2015). Thorsten Nagelschmidt lebt in Berlin.


    Inhalt

    Thorsten Nagelschmidt arbeitet an seinem Roman über Kuba, doch seine Gedanken wandern fast 20 Jahre zurück in seine punkige WG-Zeit in Rheine. Aus Tagebüchern, Briefen und Gesprächen setzt sich schließlich das leicht chaotische Puzzle eines Lebens im Jahr 1999 zusammen. Ehe „Nagel“ nicht das Geheimnis löst, warum seine Tagebücher weder seine Erinnerungen abbilden noch die Wirklichkeit, wird das Romanprojekt warten müssen. Die Geschichten, die er 16 Jahre später von seinen Weggenossen hört, decken sich nicht mit Nagels Erinnerungen; die Erinnerung erweist sich als unzuverlässig. Für einen Romanautor ist das allein keine schlechte Ausbeute.


    Zu einer Zeit, als Telefone noch eine Schnur hatten und VHS-Cassetten Standard waren, lebt Nagelschmidt eine verlängerte Pubertät in zwei verschiedenen WGs. Wofür oder wogegen er genau ist, wurde mir nicht ganz klar. Offenbar hatte die Generation zuvor nichts mehr übrig gelassen, gegen das man 1999 noch sein konnte. Nagel jobbt, um den Führerschien zu finanzieren, ist pro forma an der Uni eingeschrieben, hat die Nabelschnur zu seinem Heimatort jedoch noch immer nicht getrennt. Irgendwie schade, wie jemand durch Bildung aufsteigt und dann die nächste Abzweigung im Leben nicht findet. „Andere haben mit 23 schon Kinder,“ war der entscheidende Satz für mich, mit dem Nagel die Misere auf den Punkt bringt. Andere haben etwas gewollt, es probiert, Fehler gemacht, die Abzweigung gefunden.


    Fazit

    Nagelschmid erzählt seine Selbstfindung als Fiktion. Klar sind Tagebuchschreiben und die Verlässlichkeit unserer Erinnerungen ein interessantes Thema. Klar ist 1999 rückblickend ein interessantes Jahr, das viele als „das Jahr bevor ...“ in besonderer Erinnerung behalten haben. Für meinen Geschmack erzählt Thorsten Nagelschmidt zu viele Banalitäten aus seiner antiautoritären Schmutz- und Schimmelphase, die die Welt nicht wissen will. Es passiert mir selten, dass ich mich dazu zwingen muss, ein Buch endlich auszulesen.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Toibin - Long Island

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow