Ottessa Moshfegh - Mein Jahr der Ruhe und Entspannung / My Year of Rest and Relaxation

  • Kurzmeinung

    drawe
    Protokoll eines Versuchs, dem Lebensekel und einer schweren Traumatisierung durch Eskapismus (Winterschlaf) zu entkommen
  • Kurzmeinung

    Heuschneider
    Gähnend langweilig, ohne Substanz
  • Zur Autorin:

    Ottessa Moshfegh, geb. 1981, ist die Tochter eines iranischen Violinisten und einer kroatischen Bratschistin und wuchs in den USA auf. Nach ihrem Master-Studium (Kreatives Schreiben) veröffentlichte sie mehrere Kurzgeschichten. 2014 erschien ihr erster Roman McGlue, für den sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Auch ihr zweiter Roman, Eileen wurde von der Kritik gefeiert und gelangte auf die Shortlist des Man Booker Prize. Mein Jahr der Ruhe und Entspannung ist der 3. Roman dieses jungen Shooting-Stars.


    Klappentext (Quelle: amazon):

    New York, am Anfang des neuen Jahrtausends. Einer jungen Frau stehen die Türen zu einer Welt aus Glanz und Glitter offen. Sie ist groß, schlank und ausgesprochen hübsch. Gerade hat sie an einer Elite-Universität ihren Abschluss gemacht und arbeitet nun in einer angesagten Kunstgalerie. Sie wohnt im teuersten Viertel der Stadt, was sie sich leisten kann, weil sie vor Jahren schon ein kleines Vermögen geerbt hat. Es könnte also nicht besser laufen in ihrem Leben ... In Wirklichkeit jedoch wünscht sie sich nichts sehnlicher, als ihrer Welt den Rücken zu kehren. Von einer dubiosen Psychiaterin lässt sie sich ein ganzes Arsenal an Beruhigungsmitteln, Antidepressiva und Schlaftabletten verschreiben. Mithilfe der Medikamente will sie »Winterschlaf halten«. Aber dann merkt sie in einem ihrer wenigen wachen Momente, dass sie im Schlaf ein eigenes Leben führt. Sie findet Kreditkartenabrechnungen, die auf Shoppingtouren und Friseurbesuche hindeuten. Und scheinbar chattet sie regelmäßig mit wildfremden Männern in merkwürdigen Internetforen. Erinnern kann sie sich daran aber nicht ...
    Mit bissiger Ironie erzählt Ottessa Moshfegh von einer Frau, die verzweifelt versucht, ihrer aufgeputschten Scheinwelt zu entkommen. Der neue Roman von einer der wichtigsten neuen Stimmen der amerikanischen Literatur.


    Mein Leseeindruck:

    Eine junge Frau beschließt ein Jahr nichts zu tun außer zu schlafen. Von außen gesehen hat die namenlose Protagonistin alles: sie ist jung, sie ist hübsch, sie hat ihren akademischen Abschluss und arbeitet in einer Kunstgalerie, sie ist reich.

    Die Innenseite sieht jedoch anders aus. Sie ist schwer traumatisiert durch ihre Kindheit und die Interesselosigkeit ihrer Eltern: „Sie waren keine Freunde für mich gewesen. Sie hatten mich nicht getröstet und mir keinen guten Rat gegeben“ (S. 80). Sie vermisst besonders eine liebende und schützende Mutter: „Und ich wollte eine Mutter. … Ich wollte, dass sie mich in den Arm nahm, wenn ich weinte, mir warme Honigmilch brachte, weiche Hausschuhe vors Bett stellte, Videos für mich auslieh und mit mir anschaute, chinesisches Essen und Pizza für mich bestellte“ (S. 162).Der langsame Krebstod ihres Vaters, der Suizid der alkoholkranken Mutter und eine unglückliche und strapaziöse, hoch neurotische Liebesbeziehung verstärken die Traumatisierung. Sie empfindet Lebensekel, fühlt sich einsam, ist melancholisch, fühlt sich ihrer Umwelt nicht mehr verbunden. Und so beschließt sie ihren Winterschlaf, um „gegen schmerzliche Erinnerungen immun“ (S. 152) zu werden.

    Soweit ist das innere Gerüst dieses Romans verständlich.


    Um die Protagonistin herum versammeln sich durchgeknallte, skurrile Figuren. Da ist die Freundin, alkoholkrank, zudem Messi, die sich um ihren sozialen Aufstieg und ihre sterbende Mutter kümmert. Dann tritt ein asiatischer Künstler auf, der ausgestopfte Hunde ausstellt und die Versorgung der schlafenden Heldin übernimmt; im Gegenzug darf er ihren Winterschlaf künstlerisch ausbeuten – und als Gipfel eine komplett durchgeknallte Therapeutin, die mit Psychopharmaka und abwegigen Theorien nur so um sich wirft.


    Das Problem besteht offensichtlich in der Frage: was erzählt man denn nur, wenn die Heldin ständig schläft?

    Die ständige Litanei des unglaublichen Konsums von Psychopharmaka und Alkohol ermüdet. Ebenso ermüdet die Aufzählung der vielen (albernen) Videos, die sie konsumiert. Ein witziges Erzählmoment entsteht, als die Erzählerin entdeckt, dass sie im Schlaf ein Doppelleben führt, das sie nur anhand von Quittungen rekonstruieren kann; dieser witzige Einfall kann aber nicht weiter ausgeführt werden.


    Mir wurde nicht klar, um was es hier geht. Ist das eine makabre Komödie? Eine Satire auf die Scheinwelt der New Yorker Gesellschaft, auf ihren Tablettenkonsum, auf ihre psychotherapeutischen Behandlungen? Ihren Konsumwahn? Ihren Schönheits- und Jugendlichkeitswahn? Den american way of life?


    Wenn ja, ist die Frage, ob das Sich-Tot-Stellen eine Lösung ist. In diesem Roman ist es tatsächlich so: die Heldin erwacht erneuert und wendet sich dem Leben wieder zu. Dieser Schluss, unterstützt durch den Terror-Akt des 9. September 2001, überzeugt nicht.


    Beeindruckend ist die Sprachmächtigkeit der jungen Autorin. Da sitzt jeder Satz, jedes Wort. Ihre Sprache ist klar, immer etwas distanziert, oft schonungslos in ihrem Zynismus.


    Zum Titelbild:


    Das Portrait einer jungen Frau in Weiß von Jacqes-Louis David. David ist der Lieblingsmaler der Protagonistin. Allerdings schätzt sie besonders das Bild Der Tod des Marat. Und da der Schlaf bekanntlich der kleine Bruder des Todes ist, erscheint ihre Vorliebe schlüssig. Das Portrait einer jungen Frau in Weiß drückt tatsächlich Ruhe und Entspannung aus – aber es passt so gar nicht zu dem Bild, das die Protagonistin von sich selber zeigt: ungepflegt, vernachlässigt, der Welt entfremdet durch Medikamente und Alkohol. Für mich begannen die Irritationen also schon mit dem Titelbild.


    Fazit: Ratlosigkeit.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Für mich begannen die Irritationen also schon mit dem Titelbild.

    Danke für Deine Einschätzung. Das Cover finde ich bezaubernd, und weil ich Gemälden auf Covern nicht widerstehen kann ... brauche ich jemanden, der mir sagt: Trifft. Oder: Trifft nicht. :|

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Trifft. Oder: Trifft nicht

    Trifft! Durch den Gegensatz:).

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Mir wurde nicht klar, um was es hier geht. Ist das eine makabre Komödie? Eine Satire auf die Scheinwelt der New Yorker Gesellschaft, auf ihren Tablettenkonsum, auf ihre psychotherapeutischen Behandlungen? Ihren Konsumwahn? Ihren Schönheits- und Jugendlichkeitswahn? Den american way of life?

    Mir ging es genauso. Ich fand das Buch wirklich nicht schlecht, was vor allem an der präzisen Sprache der Autorin lag. Und daran das es vom Inhalt so völlig anderes war als alles was ich bisher gelesen habe.

    Es gab in diesem Roman keine einzige Figur die ich auch nur ansatzweise sympathisch fand. Ich habe immer gedacht das mich das stören würde, fand es aber herrlich erfrischend.


    Worum es in diesem Werk eigentlich geht, kann ich aber nicht sagen.

    Mein Fazit am Ende lautete: Komisch.

  • Und das Original: My Year of Rest and Relaxation
    Wem das Cover interessiert ich habe leider nicht herausgefunden wer es ist, aber das Bild heisst:

    Porträt einer jungen Frau in Weiß von Jacques-Louis David
    schaut mal hier:

    https://www.meisterdrucke.at/k…n-Wei%C3%9F,-c.-1798.html

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Mein Fazit am Ende lautete: Komisch.

    Ich muss drüber nachdenken. Das Buch hat viele komische Elemente, da denke ich z. B. an die Monologe der Freundin, oder auch an die wirklich herrlich spitzzüngigen Kommentare der Ich-Erzählerin.

    Aber dann denke ich wieder an ihre Traumatisierung und werde unsicher.

    Auf der anderen Seite:

    Nicht jedes Buch braucht eine klare Etikettierung.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Mein Fazit am Ende lautete: Komisch.

    Ich muss drüber nachdenken. Das Buch hat viele komische Elemente, da denke ich z. B. an die Monologe der Freundin, oder auch an die wirklich herrlich spitzzüngigen Kommentare der Ich-Erzählerin.

    Aber dann denke ich wieder an ihre Traumatisierung und werde unsicher.

    Auf der anderen Seite:

    Nicht jedes Buch braucht eine klare Etikettierung.

    Stimmt es hatte auch bös-witzige Stellen. Ich meinte mit meinem Fazit aber komisch im Sinne von sonderbar oder seltsam.

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Ottessa Moshfegh - Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ zu „Ottessa Moshfegh - Mein Jahr der Ruhe und Entspannung / My Year of Rest and Relaxation“ geändert.