Ryad Girod – Ravissements

  • Kurzmeinung

    tom leo
    Sprachlich und stilistisch original bis zur Auffälligkeit. Etwas genommen bekommen - benommen werden. Interessant!
  • Original: Französisch, 2007


    INHALT :

    Ein Mann, der Erzähler, findet eines Tages nicht mehr die Worte. Ein erbarmungsloses Gefühl des Verlustes seiner Selbst überkommt ihn. Seine Worte verlieren – was kann tragischer für einen Menschen sein ? Mit diesem kurzen und ersten Büchlein findet Ryad Girod sofort zu einem ganz eigenen Stil und Thema und versetzt uns in ein gleichzeitig konkretes und auch phantastisch anmutendes Land mit beunruhigender Atmospäre.

    (gekürzter, franz Klappentext)


    BEMERKUNGEN :

    Der Ich-Erzähler ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt irgendwo in einer Hafenstadt, nahe einer Wüste (Maghreb?). Er arbeitet als Vizedirektor am « Nationalen Departement für Linguistik », gibt Sprachbeherrschungsunterricht, Rhetorik, unterrichtet das freie, gewandte Wort, und schreibt beizeiten auch Reden für Politiker. Gerade hält er eine Konferenz als er die Sprache verliert, die Beherrschung, das freie Wort. Es folgt eine Art Betäubung, Mutismus, aber auch die Erinnerung und das Auftauchen an andere Erfahrungen, von etwas beraubt zu werden, dass etwas genommen wird : eine Routine, eine Fähigkeit, ein selbstverständliches Leben mit der Ehefrau, ja eben auch das Leben Nächster.


    Doch zur selben Zeit – entgegen dem französischen Klappentext – herrscht hier nicht nur eine dumpfe Atmospäre der Beraubung vor, denn dieses Weniger an Worten, an Besitz verweist an eine Vereinfachung, eine Hinführung, in der wir uns selber ein Stück weit genommen werden. Und dies kann für anderes öffnen, ein « Entzücken » gar wecken, zumindest einem Durst entsprechen. (An dieser Stelle muss betont werden, dass der franz. Titel durchaus diese zwei Aspekte der Beraubung und der Entzückung in einem Wort wiedergibt!) Nach diesem unterbrochenem Arbeitsmorgen kehrt der Erzähler auf anderen Wegen und neuen, geheimnisvollen, ja mystischen Erfahrungen nach Hause zurück.


    Wird man sich in Momenten des Verlustes auch der Scheinsicherheiten von ehedem bewußt. Und wenn das danach ruft, aus einem unlöschbaren Durst zu leben, einem bleibenden Sehnen und Verlangen ? Und Wort zu leben als es zu sprechen ?


    Noch ein Wort zu Sprache und Stil, die doch sehr auffällig sind : Manchmal hier und da ungewohnt lange Satzkonstruktionen, nicht gerade abgehackt, aber doch manchmal sich drehend, mit ungewohnten Wendungen. An einigen Stellen will der Autor/Ich-Erzähler wohl die Komplexität eines Gedankens wiedergeben, einer Situation (und unserer Unfähigkeit, sie auszudrücken) : da nimmt er immer wieder den Faden auf, wiederholt den Ausdruck, versucht ihn weiterzuführen, stolpert voran. Auch glaube ich nicht, dass ich je – vor allem auf Französisch – einen Text gelesen habe, in der dermaßen häufig das Partizip Präsenz benützt wird. Sehr eigenwillig und -artig. Fast manisch...


    Da gab es also schon Grund sich aufzuregen oder müde zu werden. Doch stehe ich da nicht auch vor einer Vereinfachung, und doch auch intensiven Suche, die heilsam sein können? Mir selten erscheinendes Thema in der Literatur. Und am Ende fing ich an, dieses Buch zu lieben. Und Ihr ?


    AUTOR :

    Ryad Girod wurde 1970 in Alger/Algerien geboren, wo er auch noch lebt und an einer französischen, internationalen Schule Mathematik unterrichtet. Er lehrte ebenso schon in Ryadh und Paris. Für seinen letzten Roman « Les yeux de Mansour » (Die Augen von Mansour) erhielt er den Preis Assia Djebar.


    Broché: 115 pages

    Editeur : José Corti Editions (3 janvier 2008)

    Collection : Domaine français

    Langue : Français

    ISBN-10: 271430964X

    ISBN-13: 978-2714309648