David Wiesner - Strandgut / Flotsam

  • Über den Autor

    David Wiesner wurde 1956 in Bridgewater/New Jersey, USA geboren. Er studierte an der Rhode Island School of Design und veröffentlichte 1979 sein erstes Buch. Für "Tuesday", sein viertes Bilderbuch, erhielt er die amerikanische Caldecott Medal. David Wiesner lebt mit seiner Familie in Milwaukee/Wisconsin.


    Inhalt

    Was ist das für ein Auge, das mich mitten aus dem Titelbild durchdringend ansieht und in dem sich verzerrt eine Boxkamera spiegelt - ein Objektiv oder vielleicht doch ein Auge des roten Fischs? Schon das Titelblatt weckt Erinnerungen: Muscheln, getrocknete Samenkapseln und Schwemmholzstücke sind wie in einem Setzkasten aufgereiht, unterbrochen von einem Zirkel, alten Münzen und einem Kompass. Auf dem nächsten Blatt richtet ein Einsiedlerkrebs in kühl-blauem Schneckenhaus den Blick direkt auf den Leser, hinter ihm, leicht unscharf ein beobachtendes Auge. Ein blonder Junge verbringt einen Tag am Strand und betrachtet den Einsiedlerkrebs gerade unter seiner Lupe. Ein ungewöhnliches Kind, das sogar ein Mikroskop mit an den Strand gebracht hat. Eine kräftige Welle erfasst den Jungen am Flutsaum und lässt im feuchten Sand eine Box-Kamera zurück, auf der sich bereits Seepocken angesiedelt haben. Keine x-beliebige Kamera liegt da als Strandgut, laut Aufschrift ist es eine Melville Unterwasserkamera, in ihrem Innern gut erhalten ein Rollfilm in charakteristisch gelbem Design.


    Wir folgen dem Jungen nun mit einem Zeitsprung in die Vergangenheit. In einem kleinen Fotogeschäft lässt er nicht nur den Rollfilm entwickeln und Abzüge davon herstellen, er kann sogar einen neuen Rollfilm kaufen. Der blonde Lockenkopf taucht beim Betrachten der Farbfotos in eine märchenhafte Unterwasserwelt ein. Familie Krake in ihrem Wohnzimmer, ein Fisch wie ein Blechspielzeug, eine Karettschildkröte, die auf ihrem Panzer eine Stadt aus Muscheln trägt, Seesterne, größer als Wale, die komplette Inseln auf ihrem Körper tragen. Schließlich das Foto eines Mädchens, das ein Foto in der Hand hält, auf dem wiederum ein Kind ein Foto in der Hand hält. Mit der Lupe und schließlich mit einem Blick durch sein Mikroskop dringt unser Blondschopf von Bild zu Bild in eine längst vergangene Zeit vor, in der die auf Schwarz-Weiss-Fotos portraitierten Menschen lange Röcke und geschnürte Stiefel trugen. Mit jeder Veränderung des Abbildungsmasstabes der Linse unternimmt der Junge einen Schritt in die Vergangenheit. Längst ist es Zeit, vom Strand nach Hause zurückzukehren. Schnell nimmt der Junge noch ein Foto von sich auf mit dem Foto in der Hand, auf dem ein Kind ein Foto in der Hand hält, und wirft die Kamera zurück ins Meer. Wie ein Film läuft die Rückreise der Box ab. Sepien, ein gewaltiger Wal und Seepferdchen geben unter Wasser die Kamera mit dem darin enthaltenen Schatz wie einen Staffelstab weiter. Die Reise geht durch eine Welt der Riesen-Seeanemonen und Meerjungfrauen, in die Arktis, schließlich wird die Box wieder an einem Strand angespült und von einem Kind gefunden.


    Fazit

    In Strandgut zeigt David Wiesner im Comic-Stil ganz ohne Worte eine phantastische Unterwasserwelt und wirft mit seiner Darstellung die Frage auf, wie wir unsere Welt abbilden und wie wir sehen. Wiesner ist es in seinem preisgekrönten Buch wieder gelungen, eine Geschichte für Kinder zu zeichnen, die dem erwachsenen Betrachter zusätzlich eine ganz persönliche Botschaft überbringt. Welcher Fotograf erinnert sich nicht voller Nostalgie an die erste einfache Kamera seiner Kindheit oder den Wunsch nach einer Kamera, lange bevor er erfüllt werden konnte. Für Fotografen ein sehr persönliches Geschenk.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

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