Christian Buder - Das Gedächtnis der Insel

  • Der plötzliche Tod seines Vaters führt Yann dorthin zurück, wo er eigentlich nie wieder hin wollte, auf die sturmumtoste, winzige Insel vor der bretonischen Küste, auf der er aufgewachsen ist. Seit dem Verschwinden seiner Mutter, die von einem Segeltörn nicht zurückkehrte und irgendwann für tot erklärt wurde, war er dort nicht mehr glücklich gewesen, vor allem nicht, als sein Vater wieder heiratete, eine übergriffige Frau, die von ihm Dankbarkeit erwartete und sich als seine Mutter aufspielen wollte. Deshalb ist er von dort verschwunden, sobald er alt genug war, und hat sich in Paris niedergelassen, weit weg von der Insel und vom Meer.


    Doch nun wurde sein Vater tot aus dem Hafenbecken gefischt, Yann ist pflichtschuldig an seinen Geburtsort zurückgekehrt, und eigentlich will er schnellstmöglich wieder fort, zumal aufgrund von Ungereimtheiten polizeiliche Ermittlungen eingeleitet wurden und der Verstorbene noch nicht beigesetzt werden kann. Aber um die Insel herum braut sich ein Jahrhundertsturm zusammen, der Fährverkehr ist eingestellt, und Yann bleibt nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen und vorerst zu bleiben.


    Sein erzwungener Aufenthalt wird nach und nach zum Augenöffner für Yann, denn es gibt einige Menschen, die sich gut daran erinnern, wie damals Abigale im Sturm verschwand und der Dorfarzt bald darauf die rätselhafte Rykel heiratete. Und auch anderes ist im kollektiven Gedächtnis geblieben, seltsame Vorfälle, über die bis zu diesen stürmischen Tagen nie jemand gesprochen hat ...


    Das Buch mutet lange eher wie die persönliche, zunächst widerwillige Spurensuche eines jungen Mannes an, mit dem es das Leben nicht allzu gut gemeint hat, spitzt sich dann aber zu einem spannenden "Showdown" zu, als die Fäden von Yanns Nachforschungen zusammenzulaufen beginnen.


    Die Atmosphäre ist durchweg düster, die Insel wirkt trist und unwirtlich, die Bewohner verschlossen und oft grob. Das öde Eiland, das stark an die tatsächlich existierende Insel Sein angelehnt ist, hat in Christian Buders Darstellung nichts vom oft besungenen wilden Charme der Bretagne, es verwundert nicht, dass Yann schnellstmöglich das Weite gesucht hat.


    Auch der Schreibstil ist eher karg und spröde, die Figuren bleiben auf Distanz, selbst Yann kommt dem Leser kaum nahe (und die meisten anderen haben einen gewaltigen Schuss), doch trotzdem entwickelt das Buch einen gewissen Sog, vor allem, als der Sturm und mit ihm die Handlung seinen Höhepunkt erreicht.


    Ein wenig störend wirkten auf mich eingestreute paranormal wirkende Vorgänge, die nicht richtig aufgelöst wurden. Wahrscheinlich sollen sie die unheimliche Stimmung unterstreichen, für mich wären sie allerdings nicht notwendig gewesen. Ein paar Aspekte der Auflösung der Todesfälle haben mich auch nicht gänzlich überzeugt.


    Ein untypischer, aber nicht unspannender Psychokrimi, in dem man die Bretagne von ihrer deprimierenden Seite erlebt.

  • Als Yann kurz vor einer erwarteten Springflut auf seiner (fiktiven) Heimatinsel nahe der Pointe du Raz/Bretagne eintrifft, muss er damit rechnen, wegen des Sturms tagelang auf der Insel festzusitzen. Vor dieser Kulisse setzt sich der Mann mit dem Jahre zurückliegenden, ungeklärten Tod seiner Mutter auseinander. Atmosphärisch finde ich den Roman mit seiner Inselthematik sehr gelungen, wenn auch die Verstrickungen vorhersehbar sind und deren Aufklärung sich hinzieht.

    Es kommt nicht oft vor, dass mir ein Roman nicht gefällt, der an einer sturmumtosten Küste spielt ...


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Buchdoktor : echt, fandest Du die Verwicklungen vorhersehbar? Mir ging es nur teilweise so (wobei ich ein paar Elemente ein bisschen konstruiert fand).

  • Buchdoktor : echt, fandest Du die Verwicklungen vorhersehbar? Mir ging es nur teilweise so (wobei ich ein paar Elemente ein bisschen konstruiert fand).

    Damals fand ich es, weiß aber heute nicht mehr, warum. Ich werfe meine Notizen immer weg, wenn der Stehsammler sich ausbeult ... 8)

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