Norman MacLean - Aus der Mitte entspringt ein Fluss / A River Runs Through It

  • (engl. 1976, Text dieser Ausgabe von 1991)


    Verlagstext

    »Es ließen sich schwerlich drei Männer finden, die Seite an Seite saßen und besser wussten, was der Fluss sagte.«

    Für die drei Maclean-Männer ist das Fliegenfischen mehr als eine Leidenschaft. Pastor Maclean beginnt früh, seine Söhne in der Kunst des Fliegenfischens zu unterweisen. »In unserer Familie gab es keine klare Trennungslinie zwischen Religion und Fliegenfischen«, so beginnt die autobiographische Erzählung von Norman Maclean. Die Brüder sind verschieden - intellektuell und wild der eine, bodenständig und ruheliebend der andere. Das Fliegenfischen aber verbindet sie, gerade dann, wenn sie nicht die richtigen Worte finden. Der Sommer des Jahres 1937, den die Brüder in ihrer Heimat im Westen von Montana verbringen, nimmt ein tragisches Ende, als einer der beiden erschlagen aufgefunden wird.

    Die Summe von Norman Macleans Lebenserfahrung ist auch die Summe der amerikanischen Literatur, in der Tod und Vertreibung aus dem Paradies, spirituelle wie konkrete Erfahrungen, Versuchung und Versöhnung immer einen Platz hatten.


    Der Autor

    Norman Fitzroy Maclean (1902–1990) stammte aus Iowa. Von 1930 an lebte er bis zu seinem Tod in Chicago, wo er bis 1973 Professor für englische Literatur an der University of Chicago war.

    Die literarische Wiederentdeckung Macleans, ausgelöst durch die Verfilmung seines Romans ›Aus der Mitte entspringt ein Fluss‹ durch Robert Redford (1992), brachte in den USA und Frankreich sämtliche Titel des Autors auf die oberen Plätze der Bestsellerlisten.


    Inhalt

    Norman MacLeans Vater brauchte das Fliegenfischen zum Auftanken am Sonntagnachmittag. Am Sonntagvormittag predigte er als presbyterianischer Geistlicher. Gemeinsam mit seinen Söhnen waren der Gang zum Fluss, die Wahl des Köders und das Auswerfen der Leine ein unverrückbares - männliches - Ritual. „In unserer Familie gab es keine klare Trennungslinie zwischen Religion und Fliegenfischen.“ Dieser unvergessliche erste Satz eröffnet einen Klassiker, der in der deutschen Übersetzung ebenso denkwürdig endet: „Schließlich verschmelzen alle Dinge zu einem, und aus der Mitte entspringt ein Fluss.“ Die gemeinsamen Gänge an den Fluss waren zugleich Wegmarken im Leben der Familie. MacLeans autobiografischer Text (er spielt 1937 im ländlichen Montana) wird von einer Spur Wehmut begleitet, als hätte er schon als Jugendlicher die Endlichkeit von Lebensabschnitten gespürt, ohne davon zu wissen. Ein letzter Sommer, von dem Norman MacLean damals noch nicht ahnte, dass es der letzte mit Paul sein würde, wie auch das letzte Angeln mit dem Vater, als dessen Kräfte im Alter schwinden. Das Fischen im Fluss diente den MacLeans auch als Maßstab zur Beurteilung anderer Menschen. Schon früh bemerkten die Brüder z. B., dass ihr Vater kein guter Fliegenfischer war. Der Konflikt mit Schwager Neal entzündet sich am Fischen, als Paul Neal für unwürdig erklärt, um gemeinsam mit ihm die Leine in „ihrem“ Fluss auszuwerfen.


    Fazit

    Norman MacLean beobachtet die Ereignisse seiner Jugend mit fotografischer Exaktheit, als hätte er die Bilder im Alter in allen Details unverändert vor Augen. Diesen Text schrieb er im hohen Alter, das jedoch nur an wenigen Stellen spürbar wird. Beeindruckend finde ich sowohl MacLeans Liebe zum Detail, wie sich Paul z. B. die Streichhölzer unter den Hut steckt, während er den Fluss durchwatet, als auch die Kunstfertigkeit, mit der er den unausgesprochenen Konflikt zwischen Paul und seiner Familie spüren lässt.


    Ein zeitloser Klassiker, in unveränderter Übersetzung und eleganter Hardcoverausgabe.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Das Original

    Hardcover, 168 pages

    Published May 15th 1989 by University of Chicago Press (first published May 1976)

    Original Title: A River Runs Through It
    ISBN 0226500608 (ISBN13: 9780226500607)
    Edition Language: English

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Nachdem ich inzwischen auch einmal die Verfilmung gesehen habe, der ich wohlgemerkt kaum etwas abgewinnen konnte, da Drehbuch und Regie die anmutige, strenge und erhabene Einfachheit des Romans in einer Tour verwässern und auf Kalenderblatt-Niveau zurechtstutzen, damit man als Zuschauer auch ja etwas fühlt, weiß ich besser, was mir an der Vorlage gefallen hat.:wink:


    Der Schlüssel zu meinem Verständnis des Romans liegt bereits in seinem programmatischen Anfangssatz, der mehr ist als ein pittoresker Witz: "In unserer Familie gab es keine klare Trennungslinie zwischen Religion und Fliegenfischen." Was bedeutet, dass das richtige Verhalten bereits bekannt und im Grunde nicht verhandelbar ist. Daran, dass man z.B. nicht ehebrechen oder stehlen soll, wird einfach nicht gerüttelt. Auch wer eine Regenbogenforelle an einem heißen Tag in einem stark strömenden Fluss fischen möchte, an dessen Ufer gerade Steinfliegen geschlüpft sind, "probiert" nicht lange herum, sondern nimmt einfach die richtige Köderfliege und wirft seine Angel mit dem richtigen Schwung ins Wasser. Da wird auch nicht lange darum herum geredet.:wink: Gewisse Regeln und Vorgehensweisen stehen fest, man lebe danach und werde glücklich: Zum Gottesdienst, zur Arbeit und zum Angeln kommt man nicht zu spät - selbst, wenn man es ansonsten eher locker angeht und sein Geld beim Pokern verpulvert. Umgeben von Menschen, die ähnlich handeln, befindet man sich in einem festen sozialen Netz, das einem Sicherheit gibt und das dafür sorgt, dass die Menschen des familiären Umfeldes und des Freundeskreises einander stets vertrauen können. Manche Regeln werden einfach akzeptiert, ohne sich dadurch eingeschränkt fühlen zu müssen.


    Anders gesagt steht es einem Menschen einfach nicht zu, überzeitliche, natürliche Regeln zu ändern. Was der Roman auf wunderbare Weise zeigt, ist, dass der Mensch sich als Teil der Natur in ihre Kreisläufe einzufinden habe. Und dass man, wenn man den Wert von Gegenständen, Handwerk, Kultrechniken oder anderen traditionelle Fertigkeiten begreift, man ihnen auch mit Wertschätzung begegnen muss. Was es wert ist, getan zu werden, ist es wert, gut getan zu werden. Was deine Aufmerksamkeit braucht, bekommt deine Aufmerksamkeit. Erkenne den Wert der Dinge, der Schöpfung, der Menschen und handele danach. Sei kein Blender oder Angeber, sondern stehe zu deinen Taten. Selbst wenn man sich einen erbitterten Streit liefert, sage man sich danach, dass man einander liebe - und meine es ehrlich! Strenge oder Gegenmeinungen wird so auch jede einengede Schwere genommen, wenn man einander schätzt.


    Der Roman zeigt auch, dass die beiden Maclean-Brüder einander bei aller Verschiedenheit als gleichwürdig akzeptieren. Man kann ganz anders ticken, und ist es dennoch wert, integer behandelt zu werden. Wer sich vormittags an die grundlegenden ethisch-sittlichen Normen hält und den Wert der Schöpfung und seines sozialen Umfeldes akzeptiert, dem steht es nachmittags frei, nach eigenem Duktus zu leben, ohne über einen Kamm geschoren zu werden. Eine Gleichwürdigkeit ohne Gleichmacherei, die andere Wesenszüge und die Unterschiedlichkeit der Temperamente rundheraus akzeptiert. Das große Dilemma, auf das der Roman zusteuert, liegt in der Schwierigkeit, wie man anderen Menschen am besten helfen kann: Wie erreicht man es, dass Hilfe angenommen wird? Kann man überhaupt die Hilfe anbieten, die eine Person gerade benötigt? Und dabei stößt man selbst mit dem richtigen Verhalten an Grenzen. So dass sich manchen Menschen trotz großer Liebe und Aufrichtigkeit nicht zu helfen ist.


    All das erzählt Norman Maclean mit außergewöhnlicher Fabulierkraft und niemals nervender Liebe zum Detail. Man kann sich als Leser sicher sein, dass er einem, wenn er detailreich den Vorgang des Fliegenfischens erläutert, auch wirklich den Blick auf etwas über den bloßen Vorgang hinaus Interessantes zu lenken versucht. Ansonsten ist plapperige Weitschweifigkeit seine Sache nämlich nicht: Wofür andere ganze Kapitel brauchen, erzählt er in fein gebauten Absätzen. Wenige Akzente, die dennoch immer alles Notwendige enthalten, um sich ein Bild der Charaktere und der Situationen zu machen, in denen sie miteinander agieren. Oh ja, "Aus der Mitte entspringt ein Fluss" ist ein wirklich formvollendeter Roman! :applause:

    White "Die Erkundung von Selborne" (115/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 59 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)