Kaspar Colling Nielsen - Der Europäische Frühling / Det europæiske forår

  • Dänemark in einer möglicherweise nicht mehr allzu fernen Zukunft. Der Galerist Stig lebt gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth und seiner Tochter Emma in Kopenhagen. Es ist, politisch gesehen, eine schwierige Zeit - im Land kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, Schuld an allem soll das Feindbild Nummer 1 sein: die Muslime. Zunächst werden diese in Ghettos eingepfercht und wenig später dann "umgesiedelt". In Mozambique kauft Dänemark sich ein Stück Land und baut dort für Flüchtlinge und Migranten eine große Containerstadt. Auch in Dänemark geborene und dort aufgewachsene Muslime müssen ihr Heimatland verlassen und ihr Dasein von nun an an der Küste Afrikas fristen.


    Im Kontrast zu dem Leben der Muslime haben die Dänen sich (ebenfalls durch Zwangsumsiedlung) in Lolland ihr eigenes Paradies erschaffen. Dort entsteht eine eigene Siedlung, in der umweltbewusst und im Einklang mit der Natur gelebt wird. Elisabeth, die Gehirnforscherin ist, bekommt dort eine Stelle in einem Forschungsprojekt angeboten und so zieht die ganze Familie von der Stadt und den Ausschreitungen fort in die Idylle. Vater und Tochter jedoch haben Probleme, sich anzupassen. Stig vermisst das Leben in der Metropole Kopenhagen, während Emma weiterhin unter ihrer Essstörung und der Situation der Menschen in Mozambique leidet. Und so beschließt sie eines Tages, sich freiwillig für ein medizinisches Hilfsprojekt dort zu melden.


    Es ist ein hoch politisches Werk, das der Däne Kaspar Colling Nielsen hier erschaffen hat. Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen, aber auch zum Nationalsozialismus drängen sich mit aller Macht auf. Stig, von vielen nur Nazi-Stig genannt, ist das Paradebeispiel des rechtsorientierten Bürgers. In Streitgesprächen mit seiner Tochter Emma gebraucht er oft Floskeln wie "Die wollen sich doch gar nicht integrieren" oder "Die unterdrücken doch ihre Frauen" - Worte, die auch (und nicht nur dort) an deutschen Stammtischen gesagt worden sein könnten. Vor allem der Kontrast zwischen dem dänischen Paradies Lolland, das natürlich nur für Menschen mit einer gewissen Herkunft und einem gewissen Vermögen zugänglich ist und den Ghettos und Wohncontainern der Muslime bedrücken den Leser und erzeugen Wut und Unverständnis.


    Genretechnisch ist der Roman schwer einzuordnen, vielleicht trifft es politische Dystopie am besten, denn neben dem Flüchtlings- bzw. Asylthema spielt auch der Umgang mit der Natur eine Rolle. Im Laufe der Zeit gelingt es Elisabeth mit ihrem Team, die Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz voranzutreiben. Diese an Tieren durchgeführten Experimente haben natürlich ihren Preis und werfen die grundsätzliche Frage auf, was Tiere eigentlich für den Menschen sind. Es sind ausgerechnet die kuscheligen Haustiere, die ihre Besitzer anklagen und fordern, dass doch endlich jemand ihre Rechte achten und schützen möge. Obwohl die beiden Hauptthemen sich also im Grunde um die Grausamkeit der menschlichen Natur drehen, lassen sie sich, in meinen Augen, jedoch nur schwer miteinander in Einklang bringen. Möglicherweise hätte sich der Autor hier besser nur auf einen Schwerpunkt fixiert, so ist es stellenweise einfach "too much".


    Die handelnden Figuren sind durchweg wenig sympathisch und auf ihre eigene Weise verloren. Stig ist ein unerträglicher Narzisst, der sich auf Lolland in Jagdkleidung und mit einem Messer bewaffnet in die Wälder flüchtet. Elisabeth hat in keinster Weise begriffen, welches Gefahrenpotenzial und welche moralischen Bedenken ihre Arbeit birgt, Emmas Leben hingegen wird auch in Mozambique noch immer von ihrer Essstörung bestimmt. Hinzu kommt im Verlauf der Handlung noch der Maler Christian, der eine Beziehung zu einer geistig zurückgebliebenen 17-Jährigen führt. In diesen Teilen des Romans reiht sich eine Sexszene an die andere, so dass sich unweigerlich die Frage aufdrängt: Was will der Autor uns sagen? Ist alles nur Provokation? Dann braucht es doch etwas mehr als Sex, um wirklich zu schockieren. Ist auch dieser Handlungsstrang nur dazu da, uns die Verdorbenheit der Menschen aufzuzeigen? Dann hätte es doch nicht unbedingt ein geistig zurückgebliebenes, aber sexuell völlig ausgehungertes Mädchen sein müssen. So bleibt am Ende leider das Gefühl, dass Kaspar Colling Nielsen sich hier stark an der Kiste mit den Reizthemen-Bausteinen bedient hat und an vielen Stellen einfach zu viel will.


    Fazit: ein Roman mit spannenden Themen, der leider Potenzial verschenkt :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Inhalt


    Eine Familie im vielleicht schon Morgen unserer Zeit. Sie lebt in Dänemark, einem Land das so seine Probleme mit den vielen Ausländern hat. Insbesondere die Muslime, egal ob erst eingewandert oder bereits hier geboren, sind unwillkommen. Für die wurde eine politische Lösung gebraucht und gefunden. Sie werden deportiert. Nach Mozambique, wo man gegen Geld natürlich, einen dänischen Stadtstaat aufbaute. Angenehm ist das Leben dort nicht.

    In Dänemark selbst wurde auf der Insel Lolland, von den dort lebenden Dänen geräumt, ein Paradies für die Elite Kopenhagens erschaffen. Nur wer eingeladen wird dort zu wohnen, darf sich für teures Geld ein Haus kaufen und mit seiner Familie dahin ziehen. Regeln und Gesetze die dort gelten sind einzuhalten. Bald wollen nicht nur Dänen dort hin ziehen und tun so einiges dafür, um eine entsprechende Einladung zu bekommen. Denn nirgends sonst lebt man so sicher und noch unter seinesgleichen.


    Meinung zum Buch

    Das Buch beginnt mit einem philosophischen Dialog zwischen zwei Lebewesen. Es erschließt sich dem Leser erst Später, wer diese Beiden sind.

    Ansonsten hat die Geschichte noch vier weitere Protagonisten. Ein Ehepaar das unterschiedlicher nicht sein könnte. Deren erwachsene, magersüchtige und mit weiteren psychischen Problemen belastete Tochter und einem guten, geschäftlichem Bekannten des Ehemannes.

    Indem das Leben und die Arbeit dieser Leute geschildert wird, erfährt man automatisch etwas über die Zustände im Land.

    Von der Tochter abgesehen, die aber auch kein besonderer Sympathieträger ist, entwickelt sich der Rest der Figuren von unangenehm bis hin zu abartig.


    Lolland kam mir anfangs wie ein künstlich errichtetes Silicon Valley vor. Aber der Vergleich hinkt. Denn hier ist die Technologie zwar weit fortgeschritten, die Lebensart aber gewollt altertümlich. Autos gibt es nicht, Pferde und Kutschen sind die Fortbewegungsmittel. Selbst Fahrräder bleiben vor dem mit Stacheldraht und von Soldaten geschütztem Eingang zu Lolland zurück. Allerdings sind Technik und Drohnen in den Häusern alltäglich in Gebrauch und auf hohem Niveau.

    Die Forschung ist diesbezüglich auf einem hohen Stand und es gibt kaum ein Gebiet, wo Drohnen nicht eingesetzt werden können. Natur und Tiere sind ebenfalls Bestandteil von Lolland.


    Während die Tochter Emma sich trotz bestehender Problemen abnabelt von ihren Eltern und ausgerechnet nach Mosambique will, wird das Leben der anderen immer abstruser. Spätestens jetzt kann ich den politischen Anspruch den das Buch hat, nicht mehr nachvollziehen. Das Leben dieser Personen, die Ideen, so unterschiedlich sie auch sind, und deren Umsetzung, ist krank. Es spielt in einer möglichen Zukunft, die nicht weit weg zu sein scheint. Die Ehefrau beschreitet als Forscherin Wege, die keine ethischen Grenzen mehr kennen. Diese Gefahr besteht auch heute schon. Alles andere in dem Buch ist, vom Fremdenhass abgesehen :thumbdown: . Es wirkt als habe da jemand seine schwülen Träume niedergeschrieben.


    Der Autor hat einen guten Schreibstil. Trotz der Kritik ließ sich das Buch gut lesen. Es hapert nur leider am Inhalt.


    Es ist ein ewiger Zwiespalt: arbeitet man am Abbau des SuB oder am Abbau der WL?