Joann Sfar - Jerusalem in Afrika / Jérusalem d'Afrique

  • Joann Sfar - Jerusalem in Afrika (Die Katze des Rabbiners Band 5)



    Produktinformationen:


    Gebundene Ausgabe: 86 Seiten

    Verlag: avant-verlag GmbH; Auflage: 1., (1. Mai 2007)

    Sprache: Deutsch

    ISBN-10: 3939080217

    ISBN-13: 978-3939080213



    Zum Inhalt:


    Aufregung in der kleinen jüdischen Gemeinde der algerischen Küstenstadt. In einer Kiste voller alter religiösen Schriften, die der Schwiegersohn des Rabbiners von der kommunistischen Partei der Sowjetunion erworben hat, enthält eine Überraschung: die Leiche eines jungen Russen. Der vermeintlich leblose Körper entpuppt sich jedoch als ein quicklebendige Maler, der sich auf der Suche nach einer legendären altisraelitischen Stadt, die im Herzen Schwarzafrikas die Jahrtausende überdauert haben soll, aus der antisemitischen Sowjetunion nach Nordafrika verschiffen ließ. Nach anfänglicher Skepsis („Die Schwarzen haben die Sklaverei, die Juden haben die Pogrome, das ist schwer zu ertragen. Jetzt stell dir ein Volk vor, das unter beidem leidet, das ist einfach nicht möglich!"), erklärt sich der Rabbiner bereit, zusammen mit dem jungen russischen Künstler eine Forschungsexpedition quer durch den afrikanischen Kontinent auf die Beine zu stellen. Ein großes Abenteuer beginnt.

    (Quelle: Verlagstext auf amazon.de unter Beibehaltung der Grammatik- und Ausdrucksfehler :geek: )



    Meine Meinung:


    "Jerusalem in Afrika" ist einer meiner Lieblinge in der Reihe um die gewitzte Katze des Rabbiners von Algier. Zugleich ist es (neben "Malka, der Herr der Löwen") der Band, aus dem der Film "Le Chat du Rabbin" inhaltlich am meisten schöpft.


    Der Verlagstext verspricht nicht zu viel, wenn von einem großen Abenteuer die Rede ist. Bevor es jedoch dazu kommt, muss unter sämtlichen Rabbinern Algiers erst einmal ausführlich die Frage geklärt werden, nach welchem Ritus denn der vermeintlich tote junge Russe, der vielleicht gar kein Jude, möglicherweise aber ein Golem oder gar ein Katholik ist, bestattet werden soll. Sfar parodiert hier einmal mehr in gewohnt spitzzüngiger Weise die sich oft sehr gelehrt gebenden, aber gelegentlich auch völlig sinnfreien Streitigkeiten unter den verschiedenen Rabbinern, Nicht-Rabbinern und anwesenden Haustieren. :cat:


    Die Fluchtgeschichte des Russen wird zwar im Buch anders erzählt als im Film, beide jedoch stellen überraschenderweise direkte Bezüge zum Maler Marc Chagall her. Nun hat dieser meines Wissens nie einen unfreiwilligen Ausflug nach Algier unternommen oder dieses "Jerusalem in Afrika" gesucht oder...


    ... dennoch gibt es viele Verweise auf Chagall: Der namenlose junge Maler im Buch stellt seine Malerei als ein Gebet dar (Chagall selbst hat gesagt: "Ma prière, c’est mon travail" - mein Gebet ist meine Arbeit); Chagall hat ebenso wie der namenlose junge Maler bei Sfar unter den Sowjets eine Kunstschule geleitet, konnte sich dann aber nicht mehr mit deren Kunstvorstellungen arrangieren; im Film liegt gleich am Anfang ein Schiff namens "Chagall" im Hafen von Algier (allerdings falsch geschrieben – der Name des Malers kommt im Russischen mit einem "L" aus); bei der Schilderung der Flucht des Malers aus Sowjetrussland wird im Film, aber nicht im Buch eine Ortschaft mit brennenden kleinen Häusern gezeigt, die mich sofort an Chagalls zahlreiche Darstellungen seiner Heimatstadt Witebsk erinnert haben. Das sind für mich als Chagall-Fan spannende Details, die jedoch weder im Buch noch im Film näher verfolgt werden und für die Handlung auch keine besondere Bedeutung haben.


    Was nach einigen Hindernissen dann schließlich doch als heiterer Roadtrip unter Männern (plus einem Kater und einem Esel) beginnt, bietet spannende Einsichten in gelingenden und misslingenden interreligiösen Dialog, bei dem einem zwischendurch jedes Lachen im Halse stecken bleiben kann. Mehr verrate ich jetzt nicht...


    Joann Sfars Geschichten sind nicht glatt, bieten oft keinen bis zu Ende gedachten Erzählbogen, manchmal auch seltsame Brüche, Lücken und Cliffhanger, die nicht aufgelöst werden. Aber was ich an ihnen sehr schätze, ist die Ambivalenz, in der die Figuren und Geschehnisse gehalten werden - kein Guter ist immer nur gut, kein Böser immer nur böse, es gibt viele Facetten, viel Dummheit, viel Weisheit, und Sfars "grain de malice" ist kein Körnchen Bosheit, sondern oft ein ganz gewaltiger Klumpen, mit dem die Protas (und LeserInnen) erst einmal zurechtkommen müssen.


    Bei allem, besonders wieder in diesem Band, ganz vorne mit dabei: dieses freche, schlaue und witzige sprechende Katzentier. :cat:


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:



    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Sally Coulthard - Am Anfang war das Huhn





  • Sarange

    Hat den Titel des Themas von „Joann Sfar - Jerusalem in Afrika /“ zu „Joann Sfar - Jerusalem in Afrika / Jérusalem d'Afrique“ geändert.
  • (...) das Erinnerungsbuch seiner geliebten Frau Bella (...)

    Ja, ich habe es mir dieser Tage zugelegt. Als junge Studentin hatte ich mal den 2. Band dazu ("Brennende Lichter") antiquarisch erworben, gelesen und wieder vergessen. Das Büchlein hat damals schon gewaltig gemüffelt, und als ich es vor ein paar Wochen mit spitzen Fingern aus dem Regal zog, war der Entschluss schnell klar, zunächst mal den eigentlich 1. Band zu lesen und mir noch dazu beide Bücher frisch und neu zu gönnen... :lol:

    Übrigens hat auch Virginia Haggard, seine zweite Frau, ein Buch verfasst: "Sieben Jahre der Fülle: Leben mit Chagall".


    @topic Mir gefällt die Hommage des Künstlers Sfar an den Künstler Chagall sehr, die er hier so unaufgeregt untergebracht hat.

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :montag: Sally Coulthard - Am Anfang war das Huhn





  • @topic Mir gefällt die Hommage des Künstlers Sfar an den Künstler Chagall sehr, die er hier so unaufgeregt untergebracht hat.

    Ich dachte auch an Chagall..., auch rein physisch gesehen ähneln sich die Gesichter: https://www.gettyimages.fr/detail/photo-d'actualité/close-up-of-russian-born-french-artist-marc-chagall-photo-dactualité/116050968?adppopup=true


    Es gibt noch andere Querverweise. Auch eingebaute Kritiken. So erscheint in Belgisch-Kongo ein labernder Journalist mit seinem Struppi-Hund. Zweifelsohne der Tintin! Er wird hier negativ gesehen.


    Ansonsten: viel Humor und hier und da etwas zum Schlucken und sich Fragen.

  • Angeregt von deinem Kommentar, habe ich Sammelband 2 mit den Teilen 4 "Das irdische Paradies" und 5 "Jerusalem in Afrika" heute noch einmal gelesen - um dann festzustellen, dass meine Erstlektüre fast auf den Tag genau ein Jahr zurückliegt. :lol: Und wieder habe ich mich amüsiert, entspannt, nachgedacht und geschmunzelt. Er bringt schon viele Dinge gut auf den Punkt, der Joann Sfar. Aber nach wie vor vermisse ich einen ordentlichen Erzählbogen; das Geschehen beginnt und endet episodenhaft und bleibt ohne einen wirklichen Abschluss.


    Da ich "Tim und Struppi" nie gelesen habe, musste ich jetzt mal Wikipedia bemühen: Hergés zweitem "Tim und Struppi"-Band, der im Kongo spielt, wird Kolonialismus vorgeworfen:


    "Deren zweites Abenteuer, Tim im Kongo, gilt heute als ebenso umstritten wie der Erstling Tim im Lande der Sowjets. War es bei jenem die strikte Verteufelung des Bolschewismus, so ist es hier der Kolonialismus, der bis heute ein schlechtes Licht auf das Album wirft. Wieder hatte Norbert Wallez großen Einfluss auf das Werk; er hatte Hergé davon abgehalten, Tim wie geplant in seinem zweiten Auftritt direkt nach Amerika reisen zu lassen. Auf Wallez’ ausdrücklichen Wunsch hin begaben sich Tim und Struppi stattdessen also zunächst in den Kongo, um bei den jugendlichen Lesern des Petit Vingtième Begeisterung für die belgische vocation coloniale und für die katholische Missionierung des Kongo zu wecken.[6] Vor dem Hintergrund der Ausbeutung des Kongo und der besonders unter der Herrschaft Leopold II. begangenen Gräueltaten erscheinen die sehr prokolonialistischen Darstellungen innerhalb des Albums als zumindest naiv, wenn nicht gar als offen rassistisch. Kritik an der belgischen Herrschaft wird nicht einmal in Ansätzen geübt." Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Herg%C3%A9


    Es handelt sich also in der Tat um einen kräftigen Seitenhieb an den Kollegen Hergé!

    :study: Han Kang - Griechischstunden

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    :montag: Sally Coulthard - Am Anfang war das Huhn