Ronald H. Balson - Hannah und ihre Brüder / Once We Were Brothers

  • 2004 Chicago. Der alte Ben Salomon sorgt bei einer Spendengala im Chicagoer Opernhaus für einen Eklat, denn er bedroht Elliot Rosenzweig, einen angesehenen Bürger der Stadt, mit einer Waffe. Ben ist Jude, wurde in Polen geboren und hat die Nazizeit durchgemacht, seine ganze Familie verloren und ist mit seiner Frau Hannah in die USA emigriert, wo sie noch heute seelisch unter den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges leiden. Ben behauptet, Elliot Rosenzweig wäre kein Jude, der verfolgt wurde, sondern ein SS-Offizier namens Otto Piontek, der einst wie ein Bruder in seiner Familie gelebt hat, aber am Ende alle getäuscht und auf dem Gewissen hat als “Mörder von Zamość. Aufgrund seiner Bedrohung muss Ben ins Gefängnis, viele denken sowieso, Ben würde sich täuschen, aber er ist sich absolut sicher. Allerdings muss er diese schwerwiegende Behauptung auch beweisen. Dabei sollen ihm die Anwältin Catherine Lockhardt und der Privatermittler Liam Taggart helfen. Bei ihren Nachforschungen erfahren sie von Ben aus erster Hand über seine Vergangenheit während der NS-Zeit, was er und seine Familie alles ertragen musste, aber auch vieles über Otto. Wird es Catherine und Liam gelingen, Bens Aussage zu beweisen?


    Ronald Balson hat mit “Hannah und ihre Brüder” einen sehr tiefgründigen, spannenden und gefühlvollen Roman vorgelegt, der geschickt Gegenwart und Vergangenheit wunderbar miteinander verbindet und gleichzeitig die Seele des Lesers aufs Tiefste berührt. Der Schreibstil ist flüssig, fesselnd und anrührend, der Leser lernt eine tragische Geschichte kennen, der er sich kaum einen Moment entziehen kann, zumal der Autor auch mit dem Spannungsbogen spielt wie auf einer Violine und die Saiten bis zum Anschlag spannt, bis die Wahrheit endlich ans Licht kommt. Ebenso muss man dem Autor dafür Respekt zollen, schonungslos offen und ohne Schnörkel die grausamen Tatsachen zu berichten, die die Juden Tag für Tag durchleben mussten. Der historische Hintergrund über die polnischen Juden und deren Verfolgung ist sehr gut recherchiert und mit der Geschichte verwoben. Während der Lektüre erlebt der Leser das gesamte Gefühlsbarometer rauf und runter, während er Dankbarkeit dafür empfindet, diese furchtbare Zeit nicht miterlebt haben zu müssen. Durch die wechselnden Perspektiven zwischen Gegenwart und Vergangenheit schaukelt sich nicht nur die Spannung immer weiter in die Höhe, sondern gibt dem Leser auch die nötige Ruhepause, um das Gelesene sacken zu lassen und eigene Vermutungen zum Ausgang anzustellen.


    Die Charaktere sind so mit Leben erfüllt, dass der Leser das Gefühl hat, mit ihnen in einem Raum zu sein und ihnen zuzusehen. Durch die sehr gut ausgearbeiteten Eigenheiten wirken sie alle sehr authentisch und glaubwürdig, so dass man ihnen auch jede ihrer Handlungen abnimmt. Ben ist ein alter Mann, der Furchtbares in seinem Leben ertragen musste. Seine Vergangenheit hat ihn geprägt und nicht nur den Sinn für Vergeltung geschärft. Er ist ein mutiger Mann, der Gerechtigkeit sucht und diese kämpferisch einfordert, nicht nur für sich, sondern für alle, die ihm lieb und teuer waren und darüber hinaus. Otto ist als Junge ein Sohn, ein Bruder, jemand, den man von Herzen liebt. Doch er ist auch ein Blender, ein Opportunist, der ohne jede Empathie über Leichen geht und keine Gnade kennt. Catherine Lockhardt ist eine Frau, die ihre eigene Unsicherheit gut durch ihr selbstbewusstes Auftreten kaschiert. Sie ist einfühlsam, aber auch pragmatisch, was gut zu ihrem Beruf passt. Liam ist der typische Schnüffler, der sich in etwas verbeißen kann und es nicht mehr loslässt, bis er das bekommen hat, was er sucht. Ebenso überzeugend sind auch die weiteren Protagonisten, die der Geschichte zusätzlich Leben einhauchen.


    “Hannah und ihre Brüder” ist eine unglaublich spannende, emotionale und tiefgründige Reise in die Vergangenheit, die in der Gegenwart wieder lebendig wird. Wunderbar einfühlsam erzählt und gerade deshalb unvergesslich! Hier hat der Autor eine Meisterleistung hingelegt, absolute Leseempfehlung - Chapeau - besser geht es nicht!


    Ein unglaublich tolles Buch mit :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:!!!!

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


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    Albert Einstein


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    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Ronald H. Balson - Hannah und ihre Brüder“ zu „Ronald H. Balson - Hannah und ihre Brüder / Once We Were Brothers“ geändert.
  • Das Original heißt "Once We Were Brothers" und ist Band 1 der Reihe.

    Das ist die Vorgeschichte, schau mal bei der Reihe. Das Original heisst: Saving Sophie

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Mara ich hatte mir schon gedacht, dass dieser Einwand kommt. Allerdings vergleicht man die Inhalte beider Ausgaben, dann ist der von mir genannte Titel der erste Band und das Original von "Hannah und ihre Brüder".


    "Saving Sophie" ist der zweite Band, für den es wohl noch keine deutsche Ausgabe gibt, es folgen Band drei "Karolinas Töchter", Band vier "The Trust", Band fünf "The Girl from Berlin".


    Damit wäre die Reihenfolge zu korrigieren...

  • Bei einer Spendengala im Opernhaus von Chicago gibt es einen Eklat. Ein alter Mann namens Ben Solomon bedroht den wichtigsten Sponsor der Stadt, Elliot Rosenzweig, mit einer Waffe und beschuldigt ihn, ein Nazi zu sein. Er redet ihn mit Hauptscharführer Piontek an. Es stellt sich heraus, dass die Waffe nicht geladen war und seltsamerweise zieht Rosenzweig seine Anzeige zurück. Trotzdem möchte Ben, dass die Anwältin Catherine Lockhart und ihren Ermittler Liam Taggart beweisen, dass er mit seinen Anschuldigungen Recht hat.

    Otto Piontek wurde von Bens Eltern seinerzeit aufgenommen und lebte wie ein Sohn in der Familie. Doch später soll er seine Ziehfamilie und Bens Geliebte Hannah verraten haben. Während seine gesamte Familie starb, überlebten Hannah und Ben, haben aber zeitlebens unter den Folgen der Gräueltaten gelitten. Sie emigrierten später in die USA. Durch einen Zufall sah Ben Elliot im Fernsehen. Er ist sich sicher, dass es sich in Wirklichkeit um Otto handelt, der nun als dem Holocaust entkommener Jude lebt.

    Es ist eine ergreifende Geschichte, die mich von Anfang an gepackt hat. Die Charaktere sind authentisch und sehr glaubwürdig dargestellt. Das Schicksal von Ben ist furchtbar. Er hat überlebt, doch niemals hat er die Schrecken der Vergangenheit vergessen. Elliot hat es in Amerika zu etwas gebracht. Er ist ein großzügiger Sponsor und auf sein Ansehen bedacht. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht er Ben mundtot zu machen. Doch Ben will Gerechtigkeit und lässt sich nicht einschüchtern.

    Catherine hat genug zu tun und will eigentlich mit der Sache nichts zu tun haben, aber Liam will der Sache nachgehen, zumal Bens Freundin Adele Silver sehr überzeugend ist. Doch hat Ben recht oder ist er wirklich verrückt, wie alle glauben?

    Wenn Ben seine Geschichte erzählt, kann man sich nicht entziehen. Es ist schon viel über die damalige Zeit und die Verfolgung der Juden geschrieben worden, aber nicht immer ist man so nah dran am Schicksal der Menschen.

    Es ist eine spannende und sehr emotionale Geschichte, die noch lange nachhallt.

  • Bei einer Gala wird ein angesehener jüdischer Bürger Chicagos vom hochbetagten Ben Solomon bedroht und beschuldigt, ein SS-Offizier zu sein. Obwohl alles auf eine Verwechslung hinweist, engagiert Ben die Anwältin Catherine Lockhart und ihren Ermittler Liam Taggart – er ist sich sicher, seinen Ziehbruder zu erkennen, der einst Bens Familie und seine Geliebte Hannah verriet. Bei ihrer Recherche stoßen Catherine und Liam auf das Schicks dreier Kinder im kriegszerrütteten Polen, die wie Geschwister aufwachsen und einander als Feinde wiederbegegnen. Aber beschuldigt Ben den Richtigen?

    Man kann das Buch gut lesen, obwohl es sehr geschichtsträchtig ist. Vieles weiß man über die Geschichte von polnischen Juden,aber an den fiktiven Figuren Ben, Hannah und Otto wird das Schicksal von Opfern und Täter bewusster und die Forderung des Nicht Vergessens klar und deutlich. Die Spannung ist aber dadurch entstanden das der Teil der in der Gegenwart spielt, Zweifel beim Lesen erzeugt ob der Beschuldigte wirklich ein Nazi war oder ob sich Ben nach so langer Zeit irrt.

    Die Anwältin und der Privatdetektiv sind ein herausragendes Paar das sehr ausgewogen mit der Zuneigung zu ihrem Mandanten, den Anforderungen des Rechtssystems und dem Druck der Gegenseite umgeht. Es wird nichts übertrieben sondern sehr realistisch dargestellt.

  • Zugegeben ich wäre auch stutzig, wenn ein Mann vor mir stände und behaupten würde der angesehenste jüdische Mann Chicagos, Elliot Rosenzweig, ist ein SS-Offizier. Dann würde ich im ersten Moment auch denken, der Mann verwechselt wen, so geht es auch Liam Taggart und Catherine Lockhart, aber dann werden sie hellhörig, denn Ben Solomon beharrt auf seinem Standpunkt und bringt Beweise gegen ihn an

    Nur wie stichhaltig sind diese? Und ist Elliot Rosenzweig wirklich der, den er vorgibt zu sein? Diese Fragen habe ich mir während des gesamten ersten Drittels gestellt. Irgendwann fing ich Ben an zu glauben und ich habe mich tief in die Geschichte um Ben, Elliot und Hannah fallen lassen.

    Ronald H. Balsons erster Band um den Privatermittler Liam Taggart und der Rechtsanwältin Catherine Lockhart spielt auf zwei Zeitebenen. Zu einem im Jahr 2004 in den USA und zum anderen ab 1933 in Polen in Zamosc. Dort wächst Ben Solomon zusammen mit Otto Piontek, einen deutschen Jungen auf. Dessen Vater sah sich nicht in der Lage für ihn zu sorgen und Bens Vaters nahm in sein Haus auf. Als schließlich die Deutschen in Polen einmarschierten, nahm Otto auf Drängen von Solomons Familie einen Posten bei den deutschen Besatzern an. Er machte schnell Karriere und aus Freunden wurde Feinde.

    Vor diesem Hintergrund versucht Ben Solomon Taggart und Lockhart zu erklären, dass jener Otto Piontek von damals heute Elliot Rosenzweig ist. Da Ben stur darauf beharrt und Rosenzweig sich durchsetzt muss Ben erst einmal ins Gefängnis. Aber Taggart und Lockhart geben nicht auf und beginnen zu ermitteln und was sie herausfinden ist erschütternd.

    Ich musste immer wieder schwer schlucken als ich die Passagen aus der damaligen Zeit las. Ronald H. Balson gelingt es ohne Weiteres die Grauen der damaligen Zeit, die sowohl Ben als auch seine Jugendliebe Hannah und spätere Ehefrau durchlebt haben eindrücklich rüber zu bringen. Das Ghetto von Zamosc, die Partisanenkämpfe, die stetige Angst vor dem entdeckt werden und der Verlust von Heimat, Familie und Vertrauen. Er beschreibt all dies tiefgründig, sensibel und packend erzählend. Wie gesagt, musste ich immer wieder schlucken bei manchen Abschnitten und ja er beschönigt nichts, er stellt aber auch nichts grauenvoller dar als es war. Es war einfach grauenvoll und ich konnte so gut Ben Solomons Wunsch nachvollziehen im Jahr 2004,Elliot Rosenzweig zu überführen, der nicht nur seinem Freund und Ziehbruder gegenüberstand, sondern auch seinen schlimmsten Alptraum.

    Auch wenn es stetige Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart gab, so war es nie schwierig der Handlung zu folgen. Grund dafür ist der packende und flüssige Schreibstil von Balson, der mich immer wieder dazu brachte weiter zu lesen, auch wenn ich eigentlich nur noch das Kapitel beenden wollten. Die Spannungsbögen, die er einbaut sind immer passend und so las ich ungewollt immer weiter. Gerade, weil auch der historische Hintergrund über die Verfolgung und Tötung der polnischen Juden stichhaltig recherchiert und gekonnt mit der Geschichte um Ben und Hannah Solomon und Otto Piontek verwoben ist. Zwischendurch bekam ich als Leserin eine kleine Atempause, um das gelesene zu verarbeiten und darüber nachzudenken, aber dies hielt nie lange an.

    Neben dem packenden Erzählstil ist es Ronald H. Balson auch noch gelungen packende und sehr differenziert ausgestaltete Protagonisten zu schaffen. Sie sind nie eindimensional und über die 496 Seiten hinweg, bemerkte ich als Leserin einen Wandel in den Personen, sie veränderten sich nicht immer zum Guten. Ben ist mir nicht nur in der Gegenwart ans Herz gewachsen, sondern auch schon in der polnischen Zeit. Er ist ein mutiger Mann, der für Gerechtigkeit kämpft. Dabei auch die Gefahr erkennt, in die er sich begibt, nicht nur für sich, sondern auch die Menschen und die Frau, die er liebt. Er ist ein Kämpfer und gerade seine Zielstrebigkeit haben mich beeindruckt. Man nimmt ihm jede seine Handlungen ab und er ist für mich absolut glaubwürdig. Spannend ist der Charakter von Otto Piontek. Als Kind habe ich ihn gemocht, lieb und freundlich, aber auch da war schon zu erkennen, dass er mehr auf seinen eigenen Vorteil bedacht war, als auf den Schutz seiner Ersatzfamilie. Er hat sich wirklich zu einem Blender und Opportunisten entwickelt, der weder Gnade noch Mitgefühl kennt.


    Catherine Lockhart ist empathisch und pragmatisch, passend für ihren Beruf und Liam Taggart ist wirklich ein waschechter Schnüffler. Unnachgiebig, stur und so lang an einer Sache dran, bis er den gewünschten Erfolg hat.


    Ich mag die Charaktere von Balson, sie haben das gewisse Etwas und ich denke, dass beide Charaktere sich noch weiterentwickeln in den nächsten Band. “Hannah und ihre Brüder” ist schließlich nur der Auftakt zu einer Reihe, von der ich gerne noch mehr lesen möchte.



    Fazit

    “Hannah und ihre Brüder” von Ronald H. Balson ist ein fesselndes Buch über die Besatzung Polens und Vernichtung der polnischen Juden anhand der Lebensgeschichte von Ben Solomon und Otto Piontek. Ein Buch, das mich emotional Achterbahn fahren ließ und auch nach dem Lesen noch lange nicht so lässt.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



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