Swetlana Alexijewitsch - Der Krieg hat kein weibliches Gesicht / U vojny ne zhenskoe lico

  • Autor: Swetlana Alexijewitsch
    Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, übersetzt aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt
    Originaltitel: U wojny ne zenskoje lizo, erschien erstmals 1983
    Seiten: 359 Seiten
    Verlag: Suhrkamp
    ISBN: 9783518466056


    Die Autorin: (Verlagshomepage Suhrkamp)
    Swetlana Alexijewitsch, 1948 in der Ukraine geboren und in Weißrussland aufgewachsen, lebt heute in Minsk. Ihre Werke, in ihrer Heimat verboten, wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, 1998 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und 2013 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 2015 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur.


    Inhalt: (Verlagshomepage Suhrkamp)
    Die weibliche Geschichte des Krieges
    »Ganze Züge voller Frauen gingen an die Front«, erinnert sich eine ehemalige Rotarmistin im Gespräch mit Swetlana Alexijewitsch. »Es waren nicht mehr genug Männer da. Sie waren gefallen. Lagen unter der Erde oder waren in Gefangenschaft.« Die Frauen waren »bereit, für die Heimat zu sterben. So waren wir erzogen.« Sie waren nicht nur Ärztinnen und Krankenschwestern, sondern auch Fliegerinnen, weibliche Scharfschützen und Panzersoldaten. Und sie waren jung: »Ich war noch so klein, als ich an die Front ging«, erzählt eine ehemalige Scharfschützin, »dass ich im Krieg noch gewachsen bin.« Und sie waren für ihr Leben traumatisiert.
    Sie erzählen der Autorin vom Tod und vom Töten, von Blut, Dreck und Läusen, von Kriegsverbrechen, von Verwundungen, Schmerzen, Hunger und miserabler Ausrüstung – und wie man sie vergessen hat, als es nach dem Krieg darum ging, die »Helden« zu feiern.
    Das erschütternde Dokument einer ausgeblendeten Seite des Zweiten Weltkriegs: Rund eine Million Frauen haben in der Roten Armee gekämpft. Swetlana Alexijewitsch lässt sie zu Wort kommen.


    Meinung:
    Die Dokumentarliteratur von Swetlana Alexijewitsch ist vermutlich das Härteste, das Unerträglichste, was man lesen kann. Alexijewitschs Arbeit, Entsetzliches aufzuschreiben, «dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal zu setzen» (Begründung für die Preisvergabe), Zeitzeugen zu befragen und aus stundenlangen Gesprächen ein paar Sätze als Kondensat aufs Papier zu bringen, hat wirklich den Literaturnobelpreis verdient. Wohlfühllektüre zum Zeitvertreib kommt dabei nicht raus, und auch bei diesem, meinem zweiten Buch, das ich von ihr las, musste ich tagelang Pause machen und war nahe dran abzubrechen. Nicht etwa, weil sich die Aussagen der Soldatinnen, Ärztinnen, Mütter, Witwen, Köchinnen etc wiederholt hätten, oder es langweilig geworden wäre – im Gegenteil, es wurde schlimmer und schlimmer.
    Dabei ist die Collage wirklich vielstimmig: jahrelang hat Alexijewitsch Gespräche geführt, und die Aussagen in lose Kapitel gebündelt. Welche Motivation hatten die zumeist sehr jungen Mädchen, von der Schulbank in den Krieg zu ziehen. Wie war die Stimmung, und die Vorbereitung? Wie wurden sie im von Männern dominierten Militär empfangen? Wie eingesetzt? Welche Vorurteile gab es? Gleichberechtigung? Unterdrückung? Freundschaften, Liebschaften, Kontakt nach Hause? Überhaupt, wie wurden sie daheim wieder empfangen? Heldinnen hätte es gegeben, Auszeichnungen gab es auch vom Staat, aber in der Gesellschaft nach dem Sieg wurden sie geächtet.

    Ein Buch über den Krieg wollte Alexijewitsch nicht schreiben, sondern eine Geschichte über die Gefühle der Menschen im Krieg. Das ist ihr auch gelungen, und das empfand ich als intensiver als irgendeinen Antikriegsroman, den ich bislang las. Eine ganz, ganz große Leseempfehlung für Hartgesottene: da werden Gliedmaßen amputiert, Geliebte sterben in den Armen, Familien in ihren Häusern abgefackelt, Kleinkinder von der Mutterbrust gerissen und gegen Eisenpfosten geschlagen,... man liest viel über aufgestauten Hass, aber auch von Liebe und Vergebung. Die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, abwechselnd hatte ich einen Kloß im Hals oder Tränen in den Augen.

  • Hier ist das russische Original zu sehen.


    Danke für die Rezi, Nungesser . Das Buch subt bei mir schon länger und irgendwann werde ich mich daran wagen... :|

    :study: Jutta Aurahs - Katzen :cat:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)

    :montag: Rumi - Die Musik, die wir sind





  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Swetlana Alexijewitsch - Der Krieg hat kein weibliches Gesicht / U wojny ne zenskoje lizo“ zu „Swetlana Alexijewitsch - Der Krieg hat kein weibliches Gesicht / U vojny ne zhenskoe lico“ geändert.
  • Vielen Dank für deinen Leseeindruck!

    Zitat von @Nungesser

    musste ich tagelang Pause machen und war nahe dran abzubrechen

    Ganz genau so geht es mir seit ich Ostern begann, diese Sammlung zu lesen. Mehr als 3 Seiten pro Tag verkrafte ich emotional einfach nicht. Aber abbrechen kommt nicht in Frage, immerhin kommen hier Menschen zu Wort, die dies und wahrscheinlich noch Schlimmeres reell erlebt haben. Irgendwann melde ich mich hier wieder zu Wort.

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • In einer Zeit, in der Gendern zur Debatte geworden ist, eröffnen sich nochmals neue Blickwinkel, wenn man „Frausein“ in anderen Zeiten und in einem anderen Kontext betrachtet als z.B. 2020 in Friedenszeiten in Deutschland.


    Mich hat an dem Buch jedesmal, wenn ich darüber gestolpert bin, der Titel interessiert.

    „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ - was soll das bedeuten?


    Es geht nicht nur um Gewalt, die man vielleicht auf den ersten Blick eher nicht den Frauen zuschreibt oder die Art, wie man sich an den Krieg erinnert (die Männer zählen Daten auf, die Frauen fühlen den Ereignissen nach).


    Für viele der Frauen, die sich damals freiwillig für den Dienst an der Front meldeten, war der erste Schock der Verlust ihrer Haare. Mit Zöpfen kann man nicht kämpfen, also wurden diese abgeschnitten. Anschließend wurden die Mädchen in Armee-Kleidung und - Schuhe gesteckt, die eigentlich für Männer gemacht waren, so marschierten manche mit Schuhgröße 36 in Stiefeln Größe 41. Schon nach relativ kurzer Zeit an der Front hatten die Soldatinnen alle weiblichen Eigenschaften verloren, inkl. ihrer Menstruation. Wen wundern dann solche Aussagen: „Wie gerne hätten wir abends Handarbeiten gemacht. Etwas richtiges gekocht. Etwas getan und gefühlt, was weich und heimelig und weiblich ist.“


    Die männliche Soldaten, die im Krieg oft gute Kameraden oder sogar Partner der Frauen wurden, wollten diese nach dem Krieg nicht heiraten. Zu sehr haftete den Frauen die Aura des Kampfes, des Kargen, des eben „Nicht-Weiblichen“ an.


    So hatten sich die teils erst 16 - jährigen Mädchen nicht nur völlig blauäugig in diese Schlacht begeben und dort Unglaubliches erlebt, sondern wurden nach dem Krieg von der Gesellschaft isoliert.


    Ein Blick in einen mir bis dahin unbekannten Bereich des Zweiten Weltkrieges.

    Die Autorin macht kein Hehl aus ihren Emotionen, die die Gespräche bei ihr auslösten, hält sich aber ansonsten wie gewohnt zurück, so dass die Erzählungen der Betroffenen den Charakter des Buches ausmachen.