Nick Alexander - Die Frau des Fotografen / The Photographer‘s Wife

  • Verlagstext

    Barbara – ein Kind der Luftschlacht um England 1940/41 – hat mehr Geheimnisse, als sie zugeben möchte. Ihre Kinder hat sie, so gut sie nur konnte, vor der harten Wirklichkeit des Lebens geschützt, die sie selbst erleben musste. Nur wenig hat sie ihnen von der bitteren Armut ihrer Kindheit erzählt und auch nicht von den dunkleren Seiten ihrer Ehe mit einem der gerühmtesten Fotografen Großbritanniens.

    Als ihre jüngste Tochter Sophie beschließt, eine große Retrospektive über das Werk ihres geliebten Vaters zu veranstalten, werden alte Fotos aus staubigen Kisten hervorgeholt. Mit ihnen kommen auch viele vergessen geglaubte Geschichten ans Licht. Geschichten und Geheimnisse, die für immer verändern werden, wie Sophie ihre Eltern bisher gesehen hat. Mit großem Einfühlungsvermögen zeichnet der Brite Nick Alexander seine Figuren. In zwei Zeitebenen begleitet der Leser Mutter und Tochter durch ein ungewöhnliches Leben mit immer wieder überraschenden Wendungen.


    Der Autor

    Nick Alexander ist einer der bedeutendsten britischen Selfpublishing-Autoren. Der Autor hat bereits zahlreiche Romane verfasst. »Der andere Sohn« ist sein zwölftes Werk. In deutscher Sprache ist zudem bisher der Titel »Die Frau des Fotografen« erschienen, dessen Originalversion den ersten Platz der britischen Kindle-Charts eroberte. Nick Alexander ist viel gereist und hat in Großbritannien, den USA und in Frankreich gewohnt, wo er auch heute mit seinem Partner, vier Katzen, einigen Goldfischen und einem Frettchen in den südlichen französischen Alpen lebt.

    Inhalt

    Barbara und ihre ältere Schwester Glenda haben die Bombardierung Londons im Schutzbunker und fast immer hungrig überlebt. Wenn ihr nicht brav seid, werdet ihr nach Wales aufs Land evakuiert, hatte ihre Mutter stets gedroht, die von der ständigen Angst und der Fabrikarbeit völlig erschöpft war. Nach Kriegsende lernt die lebenslustige Barbara zu Anfang der 50er Jahre in ihrem ersten Urlaub in Eastbourne den ungeheuer charmanten Tony kennen. Tony arbeitet zunächst als Motorrad-Kurier für Londoner Tageszeitungen und später als Fotograf.


    Auf einer zweiten Zeitebene will im Jahr 2012 Barbaras Tochter eine Retrospektive für das Werk ihres lange verstorbenen Vaters Tony organisieren, in der sie Fotos ihres Vaters und ihre eigenen einander gegenüberstellt. Sophie braucht dazu die Unterstützung ihrer Mutter. Die betagte Barbara Marsden hat Fotos, Negative und andere Erinnerungsstücke auf ihrem Dachboden archiviert – und sie verfügt formal über die Rechte an Tony Marsdens Werk. Barbara reagiert auf Sophies Plan sehr reserviert. Sophie weiß über ihre Mutter kaum etwas und kann Barbaras Vorbehalte gegen die Fotografie allgemein nur schwer nachvollziehen. Tony war erfolgreich, hat mit seinem Handwerk die Familie ernährt, auch wenn Barbaras Existenzängste nie ganz beschwichtigt werden konnten. Mit fast 80 könnte Barbara sich einfach zu müde fühlen, um den Staub von alten Kartons zu fegen. Doch je länger sich Sophie mit Leben und Werk ihres Vaters befasst, umso geheimnisvoller wirkt Barbaras Abneigung, alte Fotos und alte Geschichten ans Tageslicht zu holen. Sophies Mutter hat offenbar mehr als einen plausiblen Grund, die Vergangenheit besser ruhen zu lassen.


    Barbara hat ein Leben als stay-at-home-wife, als klassische Nur-Hausfrau verbracht. Ohne ihre Unterstützung wäre Tony vermutlich sein Leben lang Motorradkurier geblieben. Obwohl intelligent und künstlerisch begabt, hat Barbara sich von anderen Menschen so behandeln lassen, als könnte sie nicht bis drei zählen. Frauen in ihrer Generation konnten es der Welt kaum recht machen. Wurden sie zu früh schwanger, hatten sie ihren armen unwissenden Partner hereingelegt; waren sie mit 25 immer noch nicht schwanger, war es allein ihre Schuld. Nahmen sie keinen Anteil am Beruf ihres Mannes, bestätigte das ihren Status als Dummchen; interessierten sie sich und brachten eigene Ideen ein, konnte das als unerwünschte Konkurrenz gesehen werden.


    Nick Alexander springt zwischen zwei Handlungssträngen in einfachem Präsens hin und her, die sich in unterschiedlichem Tempo entwickeln. Die Vergangenheit aus Barbaras Kindheit, ihre Ehe mit Tony, die Geburt ihrer Kinder und Tonys Karriere als Fotograf umfassen fast 45 Jahre, die Gegenwart, in der Sophie die Familiengeschichte mit all ihren Geheimnissen zutage fördert, nur 2 Jahre.


    Die Figur der Barbara als Vertreterin ihrer Generation finde ich hier außerordentlich gelungen dargestellt. Die Passagen über Tonys Tätigkeit als Fotograf sind fachlich sehr gut recherchiert – sie waren das, was mich an diesem Roman besonders interessiert hat. Leider harmonieren Buchtitel, Plot-Entwicklung und die Aufgabe des allwissenden Erzählers nur schwer miteinander. Barbaras Kindheit nimmt zu Anfang zu viel Raum ein, so dass man sich nach 200 Seiten immer noch fragt, wann die Handlung beginnt. Um den Einfluss ihrer Kriegskindheit auf ihre Persönlichkeit zu zeigen, hätten wenige Sätze genügt. Für einen Roman über die „Frau des Fotografen“ nimmt Sophie als - lange Zeit sehr blasse - Nebenfigur zu viel Raum ein. Damit das Familiengeheimnis bis zum Schluss gewahrt wird, erfährt man erst spät, wie alt Sophie ist und damit an welchem Punkt ihrer eigenen Karriere als Mode-Fotografin sie stehen könnte. Geschickter hätte ich es gefunden, den Focus stärker auf Barbara zu legen und sie nur auf Sophie reagieren zu lassen. Fast bis zum Schluss habe ich mich gefragt, warum ein allwissender Erzähler so wenig über Sophie zu wissen scheint – und warum es dem Autor offenbar schwerer fällt, eine Figur seiner eigenen Generation glaubwürdig darzustellen als eine Frau der Generation seiner Eltern.


    Fazit

    Nick Alexander wagt sich als Indie-Autor an einen ambitionierten Plot, der seinen Lesern einige Geduld abverlangt. Wer sich für Fotografen als Romanfiguren interessiert oder für die klassische Rolle einer 1934 geborenen Frau, dem könnte der Roman gefallen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Toibin - Long Island

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow