Jan Brandt - Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt

  • Kurzmeinung

    Hypocritia
    liest sich wie eine WDR-Reportage = bisschen einfallslos, viele Klischees, kaum literarischer Anspruch
  • ... Von einem, der zurückkam, um seine alte Heimat zu finden / Von einem, der auszog, um in seiner neuen Heimat anzukommen


    Verlagstext
    Ein Haus auf dem Land

    Als er in Berlin auf Wohnungssuche ist, erfährt Jan Brandt, dass das Haus seines Urgroßvaters in seinem ostfriesischen Heimatdorf Ihrhove kurz vor dem Abriss steht. Der Eigentümer, ein Bauunternehmer, sieht keinen Grund, das Alte zu erhalten, wo sich durch etwas Neues der Gewinn um ein Vielfaches steigern lässt. Jan Brandt droht der Verlust der Heimat – und er nimmt den Kampf auf, um den Gulfhof zu retten, das Symbol seiner Herkunft.

    Eine Wohnung in der Stadt

    Berlin hat sich verändert. Das bekommt Jan Brandt, der sich Ende der Neunzigerjahre vor der Provinz dorthin geflüchtet hatte, am eigenen Leib zu spüren – ihm droht der Rauswurf aus der Mietwohnung. Grund: Anmeldung von Eigenbedarf. Er begibt sich auf die Suche nach einem neuen Ort, an dem er bleiben kann, einer neuen Heimat. Und muss feststellen, dass sich die einstige antikapitalistische Utopie in eine Schlangengrube verwandelt hat, in der die Mieter nahezu alles für eine bezahlbare Wohnung tun würden – und müssen.


    Der Autor
    Jan Brandt, geboren 1974 in Leer (Ostfriesland), studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in Köln, London und Berlin und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sein Roman ›Gegen die Welt‹, erschien 2011, stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde mit dem Nicolas-Born-Debütpreis ausgezeichnet.


    Inhalt
    Für Jan Brandt erwies sich die Wiedervereinigung Deutschlands als Glücksfall, denn erst die extrem niedrigen Mieten für unrenovierte Altbauten in Berlin ließen ihm Freiraum zum Schreiben. In jeder anderen Stadt hätte er erheblich mehr Zeit damit verbringen müssen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, die ihm an anderer Stelle gefehlt hätte. Brandt will endlich den großen deutschen Auswanderer-Roman schreiben. Die Hauptstadt mit schrumpfender Bevölkerung ist immer noch ein Provisorium; sie ist ihm nicht zur Heimat geworden. Die Realität zwischen unteruntervermietetem Wohnraum und neureichen Vermietern zeigt sich ernüchternd. Im hippen Berlin und seinen frisch gentrifizierten Kiezen kann bald von günstigem Wohnraum nicht mehr die Rede sein. Das Thema Wohnen kostet Brandt einfach zu viel Zeit. Brandts Clique der ersten Berliner Jahre lebt immer noch prekär als Autor, Buchhändler oder Verleger, während sein Altersjahrgang in Ostfriesland so lebt, wie die Eltern es sich für ihre Kinder wünschten.


    Der Autor von „Gegen die Welt“, dem Erfolgsroman über eine ostfriesische Drogisten-Familie, geht allmählich auf die 40 zu. Seine Recherchen zum Auswanderer-Roman bringen Brandt auf den Spuren seiner Verwandten nach Newport/Rhode Island und wieder zurück nach Ihrhove/Ostfriesland. Das Grotollenhuus, das Haus des Urgroßvaters und Stammsitz der Familie, steht zum Verkauf, ein ehemaliger Kolonialwarenladen an einer belebten Straße, an dem vor 100 Jahren buchstäblich alle Wege zusammentrafen. Der Kolonialwarenladen als Ort sozialer Kontrolle erzählt eine wenig romantische Geschichte über eine Zeit, in der der Ladeninhaber alles über seine Kunden und ihre Schwächen wusste. Teil dieser Kaufmannsdynastie ist die Drogisten-Familie Kuper in Brandts „Gegen die Welt“. Die Familiengeschichte der Brandts erzählt von einer Epoche, in der mehrere Generationen einer Großfamilie samt Gesinde noch unter einem Dach wohnten und Lebensmittel für den Eigenbedarf im Selbstversorger-Garten anbauten. Wer nicht im Familienbetrieb unter seinem strengen Vater arbeiten wollte, wanderte aus oder gründete einen eigenen Betrieb.


    Der bevorstehende Verkauf des ehemaligen Brandtschen Kaufhauses markiert Strukturprobleme einer rein äußerlich intakten Kultur von Berufspendlern. Wenn die Leute nicht mehr im Ort einkaufen, lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen. Jan Brandt fragt sich, ob er sich ein Leben in Berlin noch leisten kann – und ob er sich dieses riesige alte Haus in Ostfriesland leisten will, nachdem der optimale Zeitpunkt zum Kauf längst verpasst ist.


    Das Handwerkliche
    Brandts Spurensuche erscheint, mit zahlreichen SW- und Farbfotos, samt Lesebändchen als Wendebuch, das man von beiden Seiten beginnen kann, den Berlin-Teil von der grauen Seite aus oder den Ostfriesland-Teil von der schwarzen Seite. Ich habe chronologisch mit dem - längeren - Berlin-Teil begonnen und bin zufrieden mit dieser Entscheidung.


    Fazit
    Jan Brandt musste nach dem Abitur Ihrhove verlassen, um Autor zu werden, und steht nach Lehr- und Wanderjahren nun vor der Entscheidung, ob er wieder in seinen Heimatort zurückkehren will. Das Haus der Großeltern konfrontiert ihn in der Lebensmitte mit der Geschichte seiner Familie und der Region. Lesern von „Gegen die Welt“ liefert Brandt hier interessante Blicke auf die realen Vorfahren seiner Drogisten-Dynastie Kuper.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Ravik Strubel - Blaue Frau

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow