Was es für Eltern bedeutet, wenn das einzige Kind spurlos verschwindet, ist schwer nachzuempfinden. Einen kleinen Einblick vermittelt der Thriller "Als Grace verschwand" von Kathryn Croft. Sie erzählt von Simone Porter, die mit einem schweren Schicksalsschlag fertigwerden musste. Vor achtzehn Jahren wurde ihre sechs Monate alte Tochter entführt. Als ein Mädchen mit Namen Grace sich bei ihr meldet und erklärt, ihre Tochter zu sein, glaubt Simone ihr nicht. Doch das Stofftier, das Grace bei sich hat, lässt sie zweifeln. Genauso einen Plüschhasen hat ihre Tochter besessen. Grace aber behauptet noch etwas anderes: dass sie aus Notwehr einen Mord begangen hat und dass sie dringend Hilfe braucht. Simone ist hin und her gerissen – und dann verschwindet Grace wie ihre Tochter damals.
Das Cover des Buches ist interessant. Unwillkürlich fühlt man sich an eine Fensterscheibe erinnert, durch die man durch ein heftiges Unwetter auf eine graue Straße hinausblickt. Der nüchterne Titel ist in einer blutroten Schrift gestaltet worden, wobei sich die einzelnen Buchstaben des Vornamens "Grace" in ihre einzelne Bestandteile auflösen.
Im Mittelpunkt dieses Roman steht die Journalistin Simone Porter, die vor 18 Jahren einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen musste. Das Geschehen wird aus ihrer Sicht vermittelt, hin und wieder finden sich Einträge einer unbekannten Person, die an die Form eines Tagebuches erinnern und aus der Retrospektive wie das Schuldbekenntnis eines Täters anmuten.
Für mich war es die erste Begegnung mit der Schriftstellerin Kathryn Croft. Sie hat einen beeindruckenden Thriller vorgelegt, der mich von der ersten bis zur letzten Seite in Atem gehalten hat. Stilistisch gesehen, schreibt sie auf einem hohen Niveau. Sie schafft es mühelos, von einem dramatischen Prolog an eine hohe Spannung aufzubauen, die sie mittels vieler unerwarteter Wendungen und falscher Fährten bis zum (versöhnlichen) Epilog hindurch halten kann. Man staunt über die zahlreichen einzelnen Handlungsstränge ihres Werkes, die zu einem erschütternden Ganzen verwoben werden. Auch die Auflösung des Falles erscheint logisch und überzeugend, alle offenen Fragen werden beantwortet, und man bleibt tief erschüttert zurück. Unbedingt lesenswert!