Sören Kittel - An guten Tagen siehst du den Norden

  • ... Südkorea zwischen Geistern und Glasfassaden


    Verlagstext

    Fast eineinhalb Jahre lebt Sören Kittel in Korea, schreibt Artikel, interviewt Künstler, Wirtschaftsexperten und Politiker und bereist schließlich das ganze Land. Es ist die Zeit, in der Trendscouts aus der ganzen Welt Südkorea entdecken, sie sagen, es sei hier wie in Japan vor zehn Jahren. Mode, TV-Serien, Pop-Kultur und die technische Entwicklung kommen plötzlich für ganz Asien aus Südkorea, und Kaffee wird im Land der Tee-Liebehaber zu einem hippen Getränk. Gleichzeitig ziehen sich diese modernen Koreaner in Tempel zurück und besuchen Originalschauplätze von vergangenen Kriegen. Vielleicht, weil Südkorea offiziell noch immer im Krieg ist, mit dem einzigen Land, in dem ebenfalls Koreanisch gesprochen wird: Nordkorea. Die Trennung geht mitten durch die Nation und beeinflusst den Alltag. Kittel geht diesem Konflikt, der allgegenwärtig das Leben mitbestimmt, nach. Ihm gelingt ein tiefer Einblick in eine gespaltene Nation, und er zeigt den Weg Koreas zu einem modernen „Powerhouse“.


    Der Autor

    Sören Kittel wurde 1978 in Dresden geboren. Er studierte in Leipzig, Amsterdam und Berlin die Fächer Ethnologie und Südostasienwissenschaften, lernte Chinesisch, Swahili und Indonesisch. Nebenbei absolvierte er Auslandspraktika bei Medien in Jakarta, Peking und Nairobi. Nach dem Volontariat an der Axel Springer Akademie war er fünf Jahre Reporter der „Berliner Morgenpost“, er gewann mit Reportagen unter anderem den Medienpreis Mittelstand, den EMMA-Männerpreis und für eine Reisereportage in Nordkorea den „Meridian- Reisejournalistenpreis“. Im Jahr 2014 beschloss er, für eineinhalb Jahre nach Seoul zu ziehen und arbeitete von dort als freier Journalist für „Die Welt“, „FAS“, „brandeins“ und „Cicero“. Aktuell lebt er in Berlin und arbeitet für die Zentralredaktion der Funke- Mediengruppe.


    Inhalt

    Es ist sicher kein Zufall, dass Sören Kittel sich zu Korea hingezogen fühlt; denn den zugänglichen südlichen Landesteil und Deutschland verbindet die sehr spezielle Situation in einem früher oder noch immer getrennten Land. Kittel sah die Welt jenseits der deutschen Mauer zum ersten Mal mit 10 Jahren. In Deutschland wurde er u. a. bekannt mit einer Foto-Reportage über Kneipen in Süd-Korea mit ungewöhnlich „deutschen“ Namen.


    Kittels Kapitel über die Hauptstadt Seoul liest sich wie die Beziehung zu einer kapriziösen Geliebten. Ein Fluss und ein Hügel sind unbedingt nötig für eine Stadt, trägt ihm Herr Yang aus der Sicht des Geomanten vor. Kittels erste Begegnungen mit in Süd-Korea lebenden Ausländern bestätigen das eigenwillige Verhältnis zwischen dem Gastland und Einwanderern, die zwischen sich und ihre Heimatländer offensichtlich eine möglichst große Distanz legen wollten. Süd-Korea hat derzeit ein sehr cooles Image bei jungen Ausländern. „Es gibt viel Arbeit, freundliche Menschen, sehr gutes Essen und wohl eins der besten Transport-Systeme weltweit. Hier gilt das umgedrehte New-York-Prinzip: 'If you can’t make it anywhere – you can make it in Seoul.' " (Seite 19)


    Kittels Reisereportagen entstanden auf Busreisen zu Orten, die ganz im Zeichen des „Han“ stehen, einer so nur in Süd-Korea möglichen Traurigkeit. Eine charakteristische Verbindung aus Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem und der lebenslangen Unfähigkeit, loslassen und vergessen zu können, nimmt er bei seinen Gesprächspartnern wahr. Konfuzianisch geprägte Länder wie China zeichnen sich durch ihr hohes Harmoniebedürfnis aus, durch den gesellschaftlichen Zwang das Gesicht des Anderen zu wahren und nur nicht aus der Reihe zu tanzen. Aus dem Schweigen hat sich in Süd-Korea das Vertuschen von Katastrophen und Skandalen entwickelt, das für Betroffene leidvolle Folgen hat. Beispiele sind der Untergang der Sewol mit hunderten von Todesopfern 1980 und der Amoklauf eines Polizisten 1982 mit über 50 Opfern. Beide Katastrophen wurden aufgrund von Denkverboten aus der Zeit der Militärdiktatur nicht aufgearbeitet.


    Der Autor bereist ein Land, das ehemals japanisches Protektorat und lange von fremden Großmächten abhängig war. Der Korea-Krieg (1950 bis 1953) ließ das Land geteilt und auf dem Stand eines Entwicklungslandes zurück. Mit der langen Fremdbestimmung erklärt der Autor das Bedürfnis der Südkoreaner unter sich zu sein, einmal nicht mit Fremden Englisch sprechen zu müssen, nicht mehr vom Ausland abhängig zu sein. So verständlich diese Einstellung im Privaten sein mag, steht sie doch den Anforderungen des Arbeitsmarktes entgegen. „Der Frosch muss aus dem Brunnen, weil das, was er darin sieht, für ihn die Welt ist“, bringt ein Gesprächspartner das Problem des südkoreanischen Bildungssystems auf den Punkt. Ein bunter Strauß an Themen umfasst die Situation von jungen Leuten auf Partnersuche, die alter Menschen in einer überalterten Gesellschaft, deutsch-koreanische Ehen, aus Südkorea adoptierte Kinder, sowie koreanische Bergarbeiter und Krankenschwestern als Arbeitsemigranten, die aus der Erinnerung in Deutschland fast wieder verschwunden waren.


    Fazit

    Kittels Reportagen sind erstaunlich emotional und zeugen von tiefem Verständnis für sein Gastland. Die Trauer um den Riss, der durch das Land und durch betroffene Familien geht, kann wohl nur jemand nachvollziehen, der das in ähnlicher Form erlebt hat. Eine klug zusammengestellte Reise aus dem Jahr 2013, die den Lesern Türen öffnet und mit Sicherheit dem Nutzen bringt, der in einem internationalen Team eng mit Süd-Koreanern zusammenarbeitet.


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Autor: Sören Kittel

    Titel: An guten Tagen siehst du den Norden

    Seiten: 383

    ISBN: 978-3-7701-8297-8

    Verlag: Dumont/mairdumont


    Autor:

    Sören Kittel wurde 1978 in Dresden geboren, studierte nach der Schule in leipzig, amsterdam und Berlin Ethnologie und Südostasienwissenschaften, lernte verschiedene Sprachen und lebte in Jakarta, Peking und Nairobi. Für die Berliner Morgenpost schrieb er verschiedene Reportagen und gewann u.a. den EMMA-Männerpreis, sowie für eine Reisereportage über Nordkorea den Meridian-Journalistenpreis. 2014 zog er nach Seoul und arbeitete dort für verschiedene Zeitungen und Magazine als freier Journalist. Zurzeit arbeitet er für die Funke-Mediengruppe. Kittel lebt in Seoul und Berlin.


    Inhalt:

    Unterwegs im Land der Extreme


    Südkorea scheint nur Rekorde zu kennen: die längsten Arbeitszeiten, die niedrigsten Geburten- und höchsten Wachstumsraten. Reporter Sören Kittel arbeitete eineinhalb Jahre in der ostasiatischen Republik und erzählt die besten Geschichten aus dem Land im Aufbruch: Geschichten vom Wandel einer Diktatur zur Demokratie, von Verliebten, die sich nur noch per App verständigen, und mordernen Koreanern, die es zurück in die Tempel zieht. (Klappentext)


    Rezension:

    Es ist ein Land, welches schon aufgrund der Entfernung zu Europa kaum auf die Liste der zu besuchenden Reiseziele steht und auch sonst eher in den Nachrichten nur im Zusammenhang mit den bösen Nachbarn steht. Nordkorea ist das einzige Land, mit dem es eine gemeinsame, wenn auch spannungsintensive Grenze gibt. Theoretisch befindet sich Südkorea immer noch im Krieg. Der Schwebezustand, in dem sich Land und Leute befinden, existiert seit 1953, als nach dem Koreakrieg ein Waffenstillstandsvertrag geschlossen wurde.


    Der 38. Breitengrad ist seither Staatsgrenze und Zone allerlei Konflikte. Grund für das Han, den Zustand der Traurigkeit, den nur Koreaner verstehen können. Sören Kittel begibt sich auf die Suche nach dem Han und erkundet dabei das Land, entlang der Küste von Seoul bis zum südlichsten Punkt des Landes, und wieder zurück zur Grenze, in mitten der Halbinsel. Es sind die Geschichten der Menschen, die ihn interessieren und denen er nachspürt. Kittel entdeckt dabei ein Land im Auf- und Umbruch, ein Land zwischen Tradition und Moderne, auf der Suche zu sich selbst und Menschen, die nicht mit aber in keinem Fall ohne Südkorea können.


    Im reportagenhaften Stil berichtet Sören Kittel von seinen Begegnungen. Die kurzweiligen Kapitel sind nach den örtlichen Stationen gegliedert, die er bereist, betitelt jeweils mit dem Synonym für die jeweilige Gegend, die Besonderheit, auf der sich der Abschnitt herunterbrechen lässt und jeweils einem koreanischen Begriff. Der Autor versucht einen Zugang zu den Menschen zu finden, zunächst mit den eigenen Erfahrungen, schließlich war auch Deutschland einst geteilt, ein Beispiel, welches man sich in beiden koreanischen Staaten genau anschaut, welches jedoch aktuell in weiter Ferne gerückt ist, dann über die Extreme selbst, die Südkorea zu bieten hat.


    Unbemerkt zwischen den geopolitischen Globalplayern China und Japan hat sich längst eine neue wissenstechnologische Supermacht etabliert, die im ständigen Balanceakt nicht nur sich selbst sucht, sondern auch, zumindest in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht längst Weltgeschicke bestimmt. Kittel spricht mit den Menschen über die Auswirkungen, in einer autoritären Demokratie zu leben, die aufgrund der politischen Situation unsicher im Umgang mit der eigenen Geschichte zu sein scheint. Ein Zustand, der sich quer in der Gesellschaft zeigt. Thematisch wird dabei kaum ein Thema unberührt gelassen, gerade deshalb ist "In guten Tagen siehst du den Norden" eine vielschichtige und sensible Reisereportage, die dieses Land dann doch auf die Liste potenzieller Reiseziele ganz weit nach Oben rückt. Und vielleicht versteht man dann auch, was Han eigentlich genau ist.