Robert Stallman - Der Findling / The Orphan

  • Der Autor (nach Wikipedia): Robert Lester Stallman war ein am 6. Januar 1930 in Kankakee, Illinois, geborener Schriftsteller, Literaturkritiker und Anglist. Er ist bekannt für Werwelt (OT: Book of the Beast), eine zwischen Horror und Science-Fiction einzuordnene Romantrilogie, die in Deutschland als Fantasy vermarktet wurde. Nachdem ihr erster Band „Der Findling“ (OT: The Orphan) erschienen ist, verstarb Stallman am 1. August 1980 in Kalamazoo, Michigan, an Krebs. „The Orphan“ war 1981 für den Nebula Award und den Balrog Award nominiert. Beim Locus Award kam „The Orphan“ in der Kategorie Roman auf den zweiten Platz. Der Autor war 1981 und 1982 Finalist im John W. Campbell Award for Best New Writer in Science Fiction. Unter den des Lobes über „The Orphan“ vollen Schriftstellerkollegen waren u.a. Fritz Leiber, Charles L. Grant und Peter Straub.


    Klappentext (Goldmann-TB 23811): Ein goldener Bär, eine riesige Katze, ein übermenschliches Westen, das deinen Willen herrscht. Das Tier ohne Namen. Wie kam es in diese neue, unvertraute Welt, wie sollte es ihre Bewohner je verstehen? Fremder in einer fremden Welt traf es auf den Findling Robert – und verwandelte sich. Endlich schien so etwas wie Begreifen, Verständnis, Hilfe möglich. Doch die Triebe des Tieres überstehen vieles …


    Der Roman „The Orphan“ erschien im Original zuerst 1980 bei Pocket Books in New York. 1982 erschien die deutsche Übersetzung von Mechtild Sandberg als „Werwelt, Erstes Buch: Der Findling“ in München bei Goldmann in der Fantasy-Sparte als Taschenbuch 23811. Diese Ausgabe verwendet die Umschlagillustration von Don Maitz der amerikanischen Erstauflage. Diese Ausgabe umfasst 249 Seiten. 1986 erschien die Trilogie als Goldmann-Taschenbuch 23900 gesammelt in dem Band „Werwelt“.


    Dem Roman ist als Motto ein Zitat des amerikanischen Lyrikers Wallace Stevens aus dessen Gedichtband „The Man With the Blue Guitar“ von 1937 vorangestellt:

    Den Roman habe ich vor Jahren schon einmal gelesen. Ich war von der Grundkonstellation fasziniert und fand ihn wirklich lesenswert, erinnere mich aber auch, ihn etwas schwergängig gefunden zu haben. Was ich jetzt überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann:lol:: Die Seiten fliegen nur so dahin! :thumleft:Wahrscheinlich war ich seinerzeit von etwas außerhalb meiner Buchwirklichkeit abgelenkt, dass ich nicht völlig in die Geschichte eintauchen konnte. Beim Wiederlesen finde diese ungewöhnliche Mischung aus Horror, Fantasy, Coming-of-age und "Roman vom Lande" - der im bäuerlichen Nirgendwo in Michigan und Illinois zu Zeiten der Großen Depression Anfang der 1930er-Jahre spielt - richtig umwerfend. Mit einem Quentchen Huckleberry-Finn. :applause:


    Es ist die Geschichte eines Gestaltwandlers – obwohl so ganz trifft dieser Begriff dann doch nicht zu, eher: ein monströses Tier, das den Geist anderer Wesen als Untermieter bewohnt, dann ist sein tierischer Körper nicht zu sehen; zu sehen ist es nur, wenn es keinen Menschen „bewohnt“ oder ihn verlässt –, das sich temporär mit einem Menschen verbindet bzw. unterschwellig in einem Menschen "verwirklicht“, wie als zweites tieferes Bewusstsein, das manchmal an die Oberfläche kommt (und dann verwandelt sich der Mensch in das Biest, offensichtlich eine Mischung aus Bär, wildem Hund und Berglöwen, vor allem nachts, um wild und frei herumzustreifen und Beutetiere zu reißen), zunächst in den etwa fünfjährigen Jungen Robert, danach, als das Biest diesen Menschen aus bestimmten Gründen verlassen muss, in den etwa Zwölf- bis 14-jährigen Jungen Charles. Wie jeweils Momente der sozialen bzw. sexuellen Reifung (erst Doktorspiele, dann Pubertät) mit dem Motiv des Biestes, dem Tierischen im Menschen, mit Anderssein und einer "inneren Stimme" verknüpft werden, ist wirklich clever und sehr erhellend. Das wirkt die meiste Zeit wie ein direkter Einblick in die menschliche Psyche, wie ein veräußerlichter Dialog zwischen dem Ich und dem Es, das mühsam im Zaum gehaltene Tier im Menschen, das Unzivilisierte, das sich seine Bahn bricht. Diese Interpretation kann so bestehen, da über die Herkunft des Biestes im ersten Band der Trilogie noch gar keine Angaben gemacht werden. Oder handelt es sich bei ihm etwa um ein außerirdisches Wesen oder um eine Art kollektives Astralwesen, eine spirituelle Entität, zu der manche Menschen Zugriff haben? :-# All das bleibt spannungssteigernd im Ungewissen. Auch, um wem es sich bei den Personen handelt, derer sich das Biest annimmt: Sind es vielleicht Verstorbene, deren Hüllen und Seelen erneut auf der Erde wandeln, solange das Tier ihrer bedarf?:-#


    Der Roman ist stellenweise sehr spannend, wenn die Geschehnisse nach und nach mehrmals in fast ausweglose Situationen gelotst werden. „Der Findling“ erstrahlt von einer literarischen Kraft, die völlig fremde Geisteszustände erfahrbar macht. Sein Autor führt seine Leser mit sicherer Hand und in eleganten Sätzen, mit Witz und großem narrativen Können an zwar bekannte Orte, aber in großenteils völlig ungewohnte Situationen. Auch wenn die deutsche Titelschmiede die Geschichte im Bereich des Werwolf-Mythos verordnet, hat sie mit den mondfühligen Wolfsmenschen im Grunde nichts gemein. Die Bezüge liegen eher beim französischen Volksmärchen der „Schönen und des Biestes“ oder beim Monster Grendel aus der Beowulf-Saga. Das Biest bei Stallman ist nicht einfach ein armes, trauriges Monster, das auf seine Erlösung wartet (quasi erdacht, um getötet zu werden), sondern eine wilde Urmacht, die ins Leben drängt. Und der Roman ist im Grunde ein literarisch-psychologisches Abwägen widerstreitender Gefühle im Spannungsfeld innerer Wünsche und äußerer Reize: Das Erwachen des eigenen Selbst (des Kindes, des Heranwachsenden) und wie es im sozialen Miteinander der Menschen an seine notwendigen Grenzen stößt. Robert Stallman ist wirklich ein großer Geschichtenerzähler: poetisch, gewalttätig, sinnlich, tiefsinnig, überraschend und sehr spannungsreich. Volle Höchstwertung: Fünf :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne.:thumleft:



    Hier noch „die drei Lektionen“ des Tieres, über die man auch länger nachdenken kann, als man zunächst meint::wink:


    Ich bin und ich werde sein.
    Es gibt keine Zeit,
    zu der ich nicht bin.
    Dies ist die erste Lektion.
    Mein Bedürfnis schafft mein Selbst.
    Dies ist die zweite Lektion.
    Alleinsein ist sicher sein.
    Dies ist die dritte Lektion.


    (S. 9) Na, was ist "das Tier"... :-,

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (189/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Das Original "The Orphan" als englische Neuausgabe bei Kinnell, 1989.

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  • Dieser deutsche Sammelband im Goldmann-Verlag enthält neben "Der Findling" auch die Folgebände "Der Gefangene" und "Der Nachkomme".

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