Bernhard Jaumann - Sehschlachten

  • Verlagstext

    Sydney, Australien: Daß ein nackter Rollschuhläufer an der Hafenpromenade Fotoapparate stiehlt, ist ungewöhnlich. Ein Fall wird für Chief Detective Sam Cicchetta aber erst daraus, als der flüchtende Dieb durch die Trümmer eines explodierenden Hauses getötet wird und der ihn verfolgende Polizist sein Augenlicht verliert. Die Spuren führen ins Rotlichtmilieu. Abgründe von Gewalt und Voyeurismus tun sich vor Cicchettas Augen auf, und langsam wird ihm klar, daß Blicke auf sehr unterschiedliche Art töten können.

    Ein spannend erzählter, psychologisch genauer Krimi rund um das Sehen, der die Atmosphäre der australischen Metropole in fast filmischen Szenen erstehen läßt.


    Inhalt

    Stell dir vor, du verfolgst als Polizist im Laufschritt einen Verdächtigen, der auf Inlinern flieht. Der Abstand zu ihm wird immer größer und du wünschst dir mit letzter Kraft, dass der Typ im nächsten Moment vom Blitz getroffen wird. Dein Wunsch geht in Erfüllung - der Typ wird von einem einstürzenden Haus begraben. Genau so ging es PD Lachlan O’Neill, der sich zur Aufklärung einer Serie von Kameradiebstählen als Fotograf getarnt unter Sydneys Touristen gemischt hatte. Was haben der skatende Nackte und die Kameradiebstähle mit zwei Kindern zu tun, die in irgendeinem Keller gefangen gehalten wurden und feststellen, dass die Tür zu ihrem Verlies plötzlich unverschlossen ist? Von den Kindern erfahren lange nur die Leser aus Jaumanns Krimi, während O’Neill und Kollegen sich mit Zeugenbefragungen zum Kameradieb und zur Explosion des Hauses plagen. Die Kinder haben sich, vermutlich aus Selbstschutz, in eine Phantasiewelt mit Hexen und gefährlichen Drachen geflüchtet, so dass man Schlimmes über ihre mögliche Traumatisierung befürchten muss. In der sonderbaren Gedankenwelt ihres ausgedachten Australien vor 200 Jahren sind sie gerade aktiv und selbstbewusst dabei, ihr Problem allein zu lösen.


    Da Bernhard Jaumann sich in diesem Band seiner Krimireihe zu den fünf menschlichen Sinnen mit dem Sehen, dem Wegsehen, dem Bezeugen und dem Blindsein befasst, muss man als Leser seine Sehgewohnheiten ständig infrage stellen. Vielleicht sind die Kinder doch keine Opfer oder in einem völlig anderen Sinn als sich das Krimileser vorstellen. Der höchst sonderbare Fall aus Kameraraub, nacktem Skater und die Typen dieses Romans wirken reichlich durchgeknallt. Neben seinem sonderbaren Kriminalfall zeichnet Jaumann seinen Schauplatz Australien mit beachtlichem Verständnis als Einwanderungsland, in das Menschen einwandern, dort heimisch werden oder auch nicht. Herausragend fand ich Jaumanns Sorgfalt in Sprache und Recherche und die von ihm geschaffene ungewöhnliche Gedankenwelt seiner kindlichen Helden.


    Zitat

    Cichetta hatte nie verstanden, wieso Vernehmungen und Verhöre in der Polizeiarbeit angeblich so wichtig sein sollten. Das musste aus den Krimis in die Realität herübergeschwappt sein, aus der Art von Krimis, in denen der Gute als Zeuge getarnten Schurken so lange heimtückische Fragen stellt, bis der sich endlich in Widersprüche verwickelt, sein Schurkentum damit zweifelsfrei unter Beweis stellt und, von der Macht der Argumente überwältigt, in einem umfassenden Geständnis zusammenbricht. In Wirklichkeit war jede Aussage voller Widersprüche und abstruser Ungereimtheiten. Man konnte froh sein, wenn ein Zeuge seinen Namen fehlerfrei so buchstabieren konnte, wie er im Ausweis eingetragen war. Von schwierigeren Fragen ganz zu schweigen, wie zum Beispiel der Frage, was jemand um 13.15Uhr um das Haus 30, Victoria Street beobachtet hatte. Die Frage war eindeutig zu schwer. Die Zeugen wollten nichts verheimlichen, sie logen nicht etwa, sie waren nur nicht in der Lage, zu sehen, was tatsächlich geschah. Das heißt, sie sahen irgendeinen Schwachsinn, der mit der Realität nichts zu tun hatte. Es war fast so, als ob jeder in der Außenwelt nur die Zwangsvorstellungen und Wahnsysteme erkennen könnte, die er selbst im Kopf herumtrug. Als ob sich die eigenen fixen Ideen wie ein innerer Filter vor die Augen geschoben hätten." (S. 88/89)


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Weber - Bannmeilen (Paris)

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow