Francisco Azevedo - Der Hochzeitsreis / O arroz de Palma

  • Verlagstext

    Eine Fazenda in Brasilien. Erstmals seit Tante Palmas Beerdigung trifft sich die gesamte Familie wieder. Es ist noch früh am Morgen, als Antonio (88) mit den Vorbereitungen für das besondere Festessen beginnt. Unterdessen wandern seine Gedanken zurück zur Hochzeit seiner Eltern genau 100 Jahre zuvor. Das Brautpaar war damals mit Unmengen Reis beworfen worden, der fortan auf geheimnisvolle Art und Weise das Geschick der Familie bestimmte …


    Der Autor

    Francisco Azevedo, 1951 in Rio de Janeiro geboren, ist ehemaliger Diplomat und langjähriger Drehbuch- und Theaterautor. Neben etlichen Theaterstücken hat er über 250 Drehbücher für Spiel- und Dokumentarfilme, preisgekrönte Multimedia- und TV-Werbespots geschrieben. ›Der Hochzeitsreis‹ (›O arroz de Palma‹) ist sein Romandebüt.


    Inhalt

    Antonio steht in der Küche, um das Festmahl für ein großes Familientreffen vorzubereiten. Kochen ist Antonios Glück und größte Leidenschaft. Seine Gedanken schweifen bei der Arbeit in die Vergangenheit. Noch vor ihrer Auswanderung nach Brasilien hatten Antonios Eltern in Portugal geheiratet. Paloma, die Schwester von Antonios Mutter, sammelte jedes Reiskorn wieder auf, das auf das Brautpaar geworfen wurde und machte dem jungen Paar den Hochzeitsreis zum Geschenk. Damals in schlechten Zeiten als liebevolle Geste gemeint, werden Tante Palomas Reis in den Familienanekdoten inzwischen glückbringende Kräfte zugeschrieben. Palomas Reis wird in Ehren gehalten und bringt der Familie Custódio bis in Antonios Generation Glück. Mit 88 Jahren zweifelt Antonio nun, ob die großen Erwartungen an den Glücksbringer der Familie nicht zur Last geworden sein könnten.


    Glücklich in Brasilien wurden Antonios Eltern und Paloma wohl aufgrund ihrer Bescheidenheit und Opferbereitschaft. Paloma hat mit ihrer Rolle als kinderlose Tante nie gehadert und Antonios Vater akzeptierte selbstverständlich die Hierarchie zwischen dem Grundbesitzer und sich als seinem Verwalter. Als Antonio und seine Geschwister das Elternhaus verlassen, bricht der Kontakt zwischen ihnen ab. Mitschuld daran trägt der Neid als Vater aller Familienstreitigkeiten. Antonios erwachsene Geschwister haben tatsächlich übelgenommen, dass der Älteste allein Palomas Reis bekommen hat. Der klassische Geschwisterstreit entzündet sich in Antonios Familie an dem jahrzehntealten Sack Reis, dem magische Fähigkeiten zugeschrieben werden.


    Fazit

    "Das mit den Erinnerungen ist manchmal wirklich sonderbar. Das Wesentliche entfällt einem, während Kleinigkeiten aus dem Alltag hängen bleiben." (S. 197) Antonios Gedankenreise wird zunehmend selbstkritischer. Wäre er so selbstlos gewesen wie Paloma, hätte er schon viel früher die persönlichen Glücksvorstellungen seiner Kinder respektiert.


    Azevedos vier Generationen einer Einwandererfamilie in Brasilien umfassender Familienroman folgt gemächlich den Erinnerungen eines 88-jährigen Patriarchen. Das Kochen spielt in Antonis Leben eine wichtige Rolle, ist jedoch nicht Hauptthema des Buches. Gelungen fand ich die Rolle der Tante Paloma, deren Persönlichkeit mich darüber sinnieren lässt, ob das Familienleben früher wirklich einfacher war oder ob wir das nur gern glauben möchten.


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