Alice Munro - Kleine Aussichten / Lives of Girls and Women

  • ... Ein Roman von Mädchen und Frauen

    auch als ISBN 3423109165 (dtv 1988), entspricht der Ausgabe von Klett Cotta ISBN 978-3608950137


    Verlagstext

    Del Jordan wächst in einer ereignislosen Stadt in Kanada auf. Ziemlich früh muss sie feststellen, dass sie mit ihren Freundinnen nicht viel gemeinsam hat die nur ein Ziel haben: zu heiraten. Schließlich verlässt Del die muffige Kleinstadt und zieht in die Welt hinaus. Dass auch dieser Weg mit Illusionen verbunden ist, wird ihr erst später bewusst.


    Inhalt

    Del Jordan, die Icherzählerin im einzigen Roman Alice Munros, wächst außerhalb der Stadt Jubilee/Ontario auf einer Farm auf. Eine unbefestigte Straße, der nächste Laden und zwei geisteskranke Bewohner markieren den Heimatort von Del und ihrem Bruder Owen. Dels Vater züchtet auf seiner Farm Füchse, die Familie lebt vom Verkauf der Felle. Die Kinder vergnügen sich beim Angeln mit Onkel Benny, dem Arbeiter des Vaters, und saugen begierig die üblichen Familiengeschichten auf. Del wächst mit dem Vorbild ihres genügsamen und fleißigen Vaters auf. Besonders Mädchen wird Bescheidenheit gepredigt. Mädchen sollen nicht "überspannt" sein und besonders Frauen müssen auf Geld, Ruhm, eine Berufsausbildung oder die Fahrerlaubnis verzichten können. Dels Mutter erfüllt ihre Pflichten auf der Farm, bis sie durch ihren Umzug nach "Jubilee-City" mit den Kindern aus dem provinziellen Trott ausbricht und fortan vom Verkauf von Enzyklopädien lebt. Mutter und Tochter verbindet der Hunger nach Wissen. Der Vater betreibt weiter seine Fuchszucht. Die Entdeckung, dass es außer dem jüngeren Bruder noch andere Jungen gibt, läutet - unter den strengen Blicken der Dorfbewohner - Dels Erwachsenwerden ein. Ihr Drang, den für ein Mädchen in der Provinz vorgezeichneten Weg zu verlassen, ist nicht mehr zu bremsen. Dels Mutter mit ihren ungewöhnlichen Ideen ist daran nicht unschuldig. Sie überlegte z. B., ob man Ontarios Schneemassen in der Zukunft evtl. bewältigen könnte, indem die Bewohner unter Kuppeln leben.


    Fazit

    Die Ich-Erzählerin Del gehört zur Generation der Autorin, ihre Lebensumstände ähneln stark der der jugendlichen Alice Munro in den 40ern. Mit der Veröffentlichung der biografischen Erzählungen Munros (engl. 2006) "Wozu wollen Sie das wissen? Elf Geschichten aus meiner Familie" (2008) hat sich mein Blick auf diesen Roman komplett verändert. Während ich zuvor Munros zeitlos-scharfsichtige Darstellung der kanadischen Provinz bewunderte, entdecke ich beim zweiten Lesen, wie stark Munros eigene Biografie diesen Roman prägte. Auch Munros Vater hat sich als Fuchszüchter durchgeschlagen, bis in der Folge des Zweiten Weltkriegs der amerikanische Markt für Pelze einbrach. Munros Schauplatz ist auch in ihrem einzigen Roman die kanadische Provinz, ihr Thema das Schicksal von Frauen und heranwachsenden Mädchen auf der Suche nach eigenen Wegen. Wie Munros Kurzgeschichtensammlungen beeindruckt auch ihr 1971 erschienener Roman durch seine Zeitlosigkeit und den scharfsinnigen Blick der Autorin für ihre Figuren.


    Zitat

    "Am Nachmittag saßen sie auf der Veranda, nachdem sie ihre morgendliche Dauerleistung im Bodenschrubben, Gurkenhacken, Einmachen, Pökeln, Waschen, Stärken, Wäschesprengen, Bügeln, Waschen, Backen hinter sich hatten. Sie saßen dort nicht müßig; sie hatten den Schoß voller Arbeit - Kirschen, die entsteint, Erbsen, die enthülst, Äpfel, die entkernt werden mussten. Ihre Hände, ihre alten, dunklen Schälmesser mit den Holzgriffen bewegten sich mit wunderbarer, fast rachsüchtiger Schnelligkeit. Zwei oder drei Wagen kamen in der Stunde vorbei, verlangsamten gewöhnlich die Fahrt, und die Stadtleute, mit denen sie besetzt waren, winkten. Tante Elspeth und Tante Grace riefen dann die Formel ländlicher Gastfreundschaft: "Kommt doch eine Weile herein, weg von dieser heißen, staubigen Straße!", und die Leute im Wagen riefen zurück: "Täten wir, wenn wir Zeit hätten! Aber sagt, wann kommt ihr denn mal bei uns vorbei?" " (S. 39/40)


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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow